Bekleidung macht schnell
Den größten Luftwiderstand – 75 Prozent – macht beim Rennradfahren der Fahrer, die Fahrerin aus. So lautet die Erkenntnis unserer Grundlagenforschung in punkto Aerodynamik im Windkanal. Das bedeutet: Windschnittige Körperhaltung und Kleidung bieten riesiges Potenzial, schneller Rennradzufahren (wenn man das will).
Da Stoff schneller ist als nackte Haut, bieten immer mehr Hersteller explizit aerodynamische Radbekleidung an. So wie das von uns getestete Castelli-Bekleidungsset aus Free Aero Race S Bib Shorts, Aero Race 8S Jersey und Fast Feet 3 Socks. Genau damit sind übrigens die ausgestatteten Radprofis des Teams Soudal-Quick Step um den Deutschen Maximilian Schachmann unterwegs. Wir haben das Set getestet – zwar nicht im Windkanal und im Vergleich mit anderen schnellen Sets, dafür ausgiebig in der Praxis.

In den Stoff eingearbeitete Längsstreifen an Hose, Trikot und Socken sollen - neben dem Material selbst - den Luftwiderstand reduzieren.
Die allgemeine positive Nachricht zuerst: Trikot, Hose und Socken sind sehr gut verarbeitet – nach acht Wochen intensiver Nutzung und zahlreichen Waschmaschinengängen wirken Hose, Trikot und Socken wie neu. Keine losen Fäden, sauber verarbeitete Nähte, kein Abrieb, kräftige Farben (mit geringen Abstrichen bei den ursprünglich leuchtend weißen Aero-Socken). Das ist erfreulich, angesichts der Preise für Hose (199,95 Euro), Trikot (159,95 Euro) und Aero-Socken (39,95 Euro) aber auch das Mindeste, was man erwarten kann. Hinweis: Die Preise sind wie immer UVP-Preise – sowohl auf der Herstellerwebsite, als auch bei manchen Händlern sind die Teile mitunter deutlich günstiger zu haben.
Sowohl Hose als auch Trikot bieten kleine reflektierende Elemente. Was die Größenauswahl angeht, fallen die Teile – anders als bei manch anderem italienischen Hersteller – nicht auffällig klein aus: Größe M – die Standardgröße des 1,90 Meter großen und 75 Kilogramm schweren Testfahrers – passte perfekt.
Die Hose: Castelli Free Aero Race S Bib Shorts
Castellis Aero-Bib Shorts kommen mit einem auffällig glatten Stoff, der schon beim Fühlen den Eindruck vermittelt, dass Fahrtwind daran leichter vorbeigleitet als an grobmaschiger Lycra. Kehrseite der Medaille ist, dass der glatte Stoff auf dem Sattel zu einem etwas rutschigen Sitzgefühl führt. Mitunter rutscht man fröhlich auf dem Sattel hin und her, bis man eine gute Position gefunden hat.
Dafür ist der Stoff (65% Polyamid, 35% Elastan) recht dehnbar und macht seinem Namen – Forza2 Stretch – alle Ehre. Positiv bemerkbar macht sich der hohe Tragekomfort: Einmal angezogen, schmiegt sich die Hose angenehm an, die Hosenbeine behalten dank großzügiger Silikonstreifen an den Abschlüssen zuverlässig ihre Position. Die Hosenbeine treffen übrigens eine gute Länge – weder zu lang, noch zu kurz.

Silikonstreifen halten die Beinabschlüsse verlässlich in Position.
Sichtbarer Hinweis auf das Entwicklungsziel Aerodynamik sind die eingenähten Längsstreifen auf beiden Beinen. Diese Erhöhungen sollen die Luftströme leiten und laut Castelli den Luftwiderstand um drei Prozent verringern – wir lassen das einfach mal so stehen. Spürbar auch für Normalsterbliche ist das sehr angenehme, nahtlose Sitzpolster Progetto X2 Air: Sowohl bei kurzen, aber intensiven Einheiten, als auch jenseits der vier Stunden Fahrtdauer dämpfte das Polster jederzeit sehr gut.
Ebenfalls positiv: Am Rücken befindet sich ein deutlich dünnerer Mesh-Stoff – für gute Belüftung und hohe Atmungsaktivität. In der Praxis bewährte sich das Konzept. Das gilt hingegen nur eingeschränkt für den Schnitt an der Front: Die Hose ist dort vergleichsweise hoch geschnitten, bis annähernd zum Bauchnabel. Bei der Pipi-Pause, muss man das Material recht weit dehnen, was zwar wegen des Stretchmaterials gut gelang, die Nähte mitunter aber schon sehr stark spannte.
Größter Kritikpunkt sind die Träger: Diese verdrehen sich extrem schnell beim Anziehen. Dann wird aus den eigentlich breiten Trägern eine sehr schmale, eingerollte und dadurch straff gespannte Schnüre, die erst sorgfältig wieder begradigt werden will. Auf Dauer etwas nervig, zumal kein Anziehen ohne Verdrehen möglich war.

Auf Dauer nervig: Die Hosenträger verdrehen sich bei jedem Anziehen und wollen dann, um nicht einzuschneiden, sorgfältig in Position gebracht werden.
Was den Temperaturbereich angeht, so wurde die Hose ohne Auffälligkeiten zwischen 12 und 32 Grad Celsius eingesetzt. Positiv: Das Material bietet einen UV-Schutzfaktor 50+.
Dass mit der Hose Rennen gefahren werden, verdeutlicht eine kleine Tasche, die sich auf der Rückseite am unteren Rücken befindet. Die in Italien hergestellte Hose ist in sieben Größen von XS bis 3XL und vier Farben erhältlich. Preis wie bereits angegeben 199,95 Euro.
Das Trikot: Aero Race 8S Jersey
Ähnlich wie bei der Hose ist das Material des Aero Race 8S Trikots dehnbar, glatt und weich, der Tragekomfort ist sehr hoch. Das leichte und luftige Sommertrikot ist vor allem für warme Temperaturen gedacht – eingesetzt wurde es zwischen 18 und 32 Grad Celsius und gab in diesem Bereich keinen Anlass zur Kritik. Dank seines dünnen Stoffes (75 % Polyester, 14% Elastan, 11 % Polyamid) ist die Atmungsaktivität sehr hoch, bergauf sorgt zur Not der durchgängige, sehr leicht laufende Frontreißverschluss mit gut zu greifendem, großem Zipper für zusätzliche Kühlung.

Der Zipper ist leichtgängig und gut zu greifen, die Rückentaschen geräumig und gut zugänglich.
Die Oberarme, als am stärksten im Fahrtwind exponierte Flächen, sind auf der Oberseite mit eingenähten Längsstreifen versehen. Dies soll die Aerodynamik um sechs Prozent verbessern. Zudem kommt hier ein anderes, etwas dickeres und starreres Material zum Einsatz als am Rest des Trikots. Ob die Konstruktion schneller macht, ist ohne Windkanalmessung seriös nicht zu beurteilen. In der Praxis ist aber deutlich spürbar, dass es an den Oberarmen durch den dickeren Stoff wärmer wird als an der mit Netzstoff versehenen Unterseite der Ärmel sowie am Rest des Trikots mit dünnerem Stoffmaterial. Unangenehm ist dies sicher nicht, aber ungewöhnlich. Je nach mentaler Veranlagung vielleicht auch ein Placebo für mehr Speed!

Am Oberarm bietet die Oberseite ein spürbar dickeres, starreres Material mit Längsstreifen, die Unterseite sorgt mit Netzstruktur für gute Belüftung.
Die Armabschlüsse halten die Ärmel auch ohne Silikonstopper an Ort und Stelle. Dank des Stretchmaterials sollten auch kräftigere Oberarme als beim Testfahrer von Druckstellen verschont bleiben. Drei Rückentaschen nehmen – auch hier nicht zuletzt dank des dehnbaren Stoffes – alles für die Tour Notwendige auf. Auch voll beladen bei langen Touren hing das Trikot nicht unangenehm durch, ein umlaufender, breiter Silikonstreifen am Bund sorgt für stabilen Sitz. Eine zusätzliche, mit Reißverschluss gesicherte Schlüsseltasche bietet das Trikot nicht.
Das in Rumänien hergestellte Trikot ist in sieben Größen von XS bis 3XL und vier Farben erhältlich. Preis wie bereits angegeben 159,95 Euro.
Die Socken: Fast Feed 3
Die Aero-Socken reichen nicht ganz bis zur Hälfte des Unterschenkels und bieten wie Hose und Trikot Längsrillen, um die Aerodynamik zu verbessern. Während der Fußbereich aus weicher Baumwolle gefertigt ist, setzen die Socken vom Unterrand der Knöchel auf ein speziell entwickeltes Lycra. Am oberen Rand soll ein Anti-Rutsch-Einsatz aus Polyurethan die Socken in Position halten. Das funktionierte im Testverlauf auch jederzeit einwandfrei.
Größter Kritikpunkt ist jedoch, dass der Anti-Rutsch-Einsatz am oberen Rand der Socken so gut klebte, dass er nach jedem Waschen erst wieder händisch aufgetrennt werden musste. Sprich: Mal eben schnell die Socken aus dem Schrank holen und reinschlüpfen, geht nicht!

Die Aero-Socken von Castelli sind recht hoch geschnitten. Der Anti-Rutsch-Einsatz am oberen Rand klebt nach jeder Wäsche aufs Neue fest zusammen.
Die Fast Feed 3-Aero-Socken sind in drei Größen – S/M, L/XL, XXL – und in vier Farben erhältlich. Preis wie oben angegeben: 39,95 Euro.
Fazit
Das neueste Aero-Bekleidungsset von Castelli bestehend aus Free Aero Race S Bib Shorts, Aero Race 8S Jersey und Fast Feet 3 Socks überzeugte weitgehend im Praxistest. Insbesondere der Tragekomfort ist hervorzuheben. Dazu sind die Atmungsaktivität, die Verarbeitungsqualität und die Haltbarkeit hoch.
Weniger gut gefallen haben der etwas rutschige Sitz auf dem Sattel und die sich leicht verdrehenden Hosenträger. Ob die Sachen wirklich schneller machen, ist ohne Windkanalmessung seriös nicht zu beantworten. Positiv ist zweifellos das große Angebot an Größen und Farben.

Das Castelli Aero-Set besteht aus Free Aero Race S Bib Shorts (199,95 Euro), Aero Race 8S Jersey (159,95 Euro) und Fast Feet 3 Socks (39,95 Euro) und ist in zahlreichen Größen und je vier Farben erhältlich. Die Preise sind UVP - Straßenpreise liegen mitunter darunter.