Rennrad-Übersetzung: Die richtige Trittfrequenz
Pässe fahren: So finden Sie den richtigen Gang

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Pässe fahren mit dem Rennrad – faszinierend, aber auch anstrengend! Mit der richtigen Übersetzung und Trittfrequenz kommen Sie besser oben an: würdevoll – und mit mehr Spaß.

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Foto: Ralf Schanze

Mit dem Rennrad aus eigener Kraft einen Berg zu bezwingen, das heißt: Schweiß in den Augen, Pudding in den Beinen, die Sinnfrage im Kopf. Aber auch: atemberaubende Ausblicke über Berge und Täler, Glücksgefühle, Stolz. Und nicht zuletzt: Geschwindigkeitsrausch bei der Abfahrt. Für Außenstehende mag es schwer nachvollziehbar sein, sich mit dem Rennrad Anstiege hinaufzukämpfen, doch für viele von uns ist genau das ein Kern der Faszination Rennrad – egal ob im Mittelgebirge oder an den kilometerlangen Anstiegen in den Alpen, Dolomiten und Pyrenäen.

Maratona dles Dolomites
Pässe fahren: Aus eigener Muskelkraft einen Anstieg zu bezwingen, wie hier beim Maratona dles Dolomites, ist die Königsdisziplin des Rennradsports.

Doch was ist – neben effektivem Training – der wichtigste Tipp, um die Passhöhe nicht würdelos mit Hängen und Würgen zu erreichen, sondern das Erlebnis bestmöglich zu genießen? Die Antwort ist vergleichsweise simpel: kleine Übersetzungen und eine hohe Trittfrequenz. Eine Binsenweisheit, könnte man meinen. "Tatsächlich nutzen aber viele dieses Potenzial nicht", weiß Uli Plaumann, Sportwissenschaftlerin beim Radlabor München:

"Effizientes Pedalieren mit hoher Trittfrequenz ist bei Hobby-Rennradlern leider schon in flachem Terrain die Ausnahme, von der Kadenz an Anstiegen ganz zu schweigen. Die überwältigende Mehrheit tritt einfach zu dicke Gänge."

Radlabor/Baschi Bender
Uli Plaumann - die studierte Sportwissenschaftlerin und zertifizierte Fahrtechniktrainerin leitet das Radlabor in München.

Eine Trittfrequenz zwischen 90 und 110 Umdrehungen pro Minute ist aus biomechanischer und physiologischer Sicht beim Rennradfahren ideal. "Wenn die Frequenz am Berg auf 80 absinkt, ist das völlig normal", sagt Uli Plaumann, "weniger als 70 Umdrehungen pro Minute sollten es aber auf Dauer nicht sein." Das ist nicht bloß eine Erkenntnis aus dem Elfenbeinturm der Sportwissenschaft, sondern gelebte Praxis, wie ein Blick auf die Radprofis beweist: dauerhaft hohe Kadenzen, selbst bergauf kreiseln die Beine im Nähmaschinen-Tempo besonders eindrücklich zu sehen bei Top-Fahrern wie Primoz Roglic und Tadej Pogacar.

Doch warum genau sind leichte Gänge und hochfrequentes Treten eigentlich so empfehlenswert? "Man muss für dieselbe Geschwindigkeit etwas weniger Watt treten", erklärt Sportwissenschaftlerin Plaumann, "ausführlicher ausgedrückt: Die hohe Kadenz ist energetisch hocheffizient, denn die Tretbewegung entsteht durch Anspannen und Entspannen von Muskeln – je schneller man pedaliert, umso kürzer werden die Muskeln angespannt. Das bedeutet, die einzelne Belastung ist geringer, die Muskeln ermüden nicht so schnell wie bei langsamen Bewegungen mit hohem Krafteinsatz. Und: Das Blut kann besser zirkulieren und so schneller Sauerstoff heranbringen und ‚Abfallstoffe‘ wie Laktat abtransportieren."

Kleine Gänge, hohe Kadenz

Ein weiteres Argument für kleinere Gänge und hohe Trittfrequenzen: Die schnellen, dafür aber weniger kraftintensiven Bewegungsabläufe schonen die Gelenke. Dies ist besonders wichtig für Menschen, die zum Beispiel unter Knieproblemen leiden. Aber auch Rennradneulinge oder -wiedereinsteiger, deren radsportspezifische Muskulatur sich noch im Aufbau befindet, profitieren von leichten Gängen. "Ein Gelenk ist nur so stark wie die Muskulatur um es herum", sagt Sportwissenschaftlerin Ulrike Plaumann. "Wer nun ohne eine stabile Muskulatur kraftintensiv pedaliert, kann seinen Gelenken Schaden zufügen – auch in jungen Jahren."

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Darüber hinaus wirken sich Fehlhaltungen auf dem Rad bei kraftintensivem Fahren noch negativer aus als ohnehin schon. Zum Beispiel wenn die Pedalplatten falsch eingestellt sind, die Sitzposition nicht stimmt oder der Sattel zu hoch bzw. zu niedrig eingestellt ist. Folge: Je dicker die Gänge, umso früher setzt Erschöpfung ein, umso größer und anhaltender sind mögliche Beschwerden.

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Rennradtraum Berge fahren - damit man das Erlebnis richtig genießen kann, sollte man - neben dem richtigen Training - auch den richtigen Gang mitbringen. Um leichtfüßig gen Passhöhe zu pedalieren, wie hier Richtung Mendelpass.

Viele gute Argumente für kleine Gänge und hohe Kadenzen, sollte man meinen. "Leider sehen wir bei unseren Analysen und Bike-Fittings, dass Jedermänner und -frauen sehr oft mit zu niedriger Trittfrequenz unterwegs sind und enorm kraftintensiv fahren", sagt Uli Plaumann. "Wer bei der Sonntagsrunde die Augen offen hält, kann das Phänomen auch bei den Mitfahrenden oder entgegenkommenden Gleichgesinnten beobachten."

Warum tun sich viele so schwer mit leichten Gängen und hohen Trittfrequenzen? Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst fordern die schnelleren Bewegungsabläufe das Herz-Kreislauf-System stärker. Subjektiv hat man das Gefühl, schneller "außer Puste" zu sein. "Entscheidend beim Radfahren ist aber die zu erbringende Leistung", betont Uli Plaumann, "und die ist mit kleinen Gängen und hoher Kadenz niedriger." Andere wiederum überfordert womöglich die koordinative Herausforderung, die schnelles Pedalieren mit sich bringt. "Wer schnell tritt, braucht dafür die richtige Technik und Beweglichkeit. Andernfalls hüpft oder rutscht man bei hoher Kadenz im Sattel herum, verändert ständig seine Sitzposition und damit den Bewegungsablauf."

Die gute Nachricht: Effizient hohe Trittfrequenzen zu treten, kann man lernen, zum Beispiel mit Übungen wie hier vorgestellt (siehe weiter unten). Die schlechte Nachricht: "Man lernt schnelles Pedalieren nicht über Nacht", so Uli Plaumann:

"Wir beobachten, dass viele Hobbysportler oft ungeduldig sind, schnell Ergebnisse sehen wollen und das Thema 'effezientes Pedalieren' frustriert abschließen, wenn sich nicht sofort ein gutes Gefühl einstellt. Dann wird eben doch die ‚dicke Berta‘ gekettet und gedrückt, weil es auf den ersten Blick einfacher zu sein scheint."

Ein weiterer Grund ist die Historie: Wer schon länger Radsport betreibt, wurde mit dicken Gängen sozialisiert. Erst mit Aufkommen supersteiler Anstiege wie Mortirolo und Angliru in den 1990er Jahren gingen die Radprofis dazu über, am Berg leichtere Gänge zu ketten. Nach und nach folgten die Hobbysportler dem Vorbild.

Breites Übersetzungsangebot

Die gute Nachricht: Die Zeiten, in denen man gar nichts anderes als dicke Gänge fahren konnte, sind vorbei. Alle Komponentenhersteller haben mittlerweile Kompaktkurbeln, Super-Kompaktkurbeln und Ritzel mit vielen Zähnen im Angebot – ein "Rettungsring" für den Berg, eine große Entfaltung für die Abfahrt und enge Gangabstufungen dazwischen sind inzwischen kein Problem mehr. "Mit den heutigen Übersetzungen kriegt man es hin, dass jeder das Gefühl hat, einen Berg gut zu bewältigen", sagt Dan Lorang, Trainer unter anderem von Kletterspezialist Emanuel Buchmann.

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Nicht nur am Berg, auch im Flachland treten viele Hobbyrennradler zu dicke Gänge.

Allein, man muss diese Möglichkeiten auch nutzen – keine Selbstverständlichkeit, weiß Sportwissenschaftlerin Plaumann:

"Leider gelten dicke Gänge immer noch als Zeichen vermeintlicher Stärke. Manche tun sich deshalb schwer, die für sie eigentlich besser geeigneten Gänge zu montieren. Aus meiner Sicht muss man diese Denke und das Gerede à la ‚Kette rechts‘ hinter sich lassen und abfällige Bemerkungen über leichte Gänge einfach überhören."

Eine Möglichkeit, die individuell passende Übersetzung zu finden, besteht darin, sich an Leistungswerten zu orientieren. "Wer mit Powermeter trainiert, kann oft ganz gut einschätzen, was für Wattzahlen er oder sie realistisch über einen längeren Zeitraum bergauf treten kann", weiß Uli Plaumann. "Wenn man dann eine Trittfrequenz von mindestens 75 bis 80 am Berg ansetzt, kann man ‚seine‘ Übersetzung ableiten." Die folgende Tabelle bietet dafür eine Orientierung.

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Die Tabelle zeigt für einige verbreitete Übersetzungen aus kleinem Kettenblatt und größtem Ritzel die Geschwindigkeit sowie die notwendige Leistung, um bei 10 Prozent Steigung eine effiziente Kadenz von 80 zu treten – als Orientierung, damit Sie Ihre individuell passende Bergübersetzung finden können.

Wer ohne Leistungsmessung unterwegs ist, kann mithilfe von Übersetzungsrechnern und Entfaltungstabellen ableiten, welche Geschwindigkeit eine bestimmte Übersetzung und Trittfrequenz bedeutet – und sich dann selbstkritisch fragen, ob er oder sie diese Geschwindigkeit am Berg auch tatsächlich fahren kann (z. B. www.ritzelrechner.de).

Sportwissenschaftlerin Uli Plaumann betont:

"Eine ehrliche Selbstreflexion ist bei der Wahl der Übersetzung wichtig, sonst würgt man einen zu dicken Gang den Berg hoch. Und ganz wichtig: Die Wahl der Übersetzung muss immer vom Ende der Tour her gedacht sein, denn entscheidend ist, dass man einen Gang dabei hat, den man am letzten Berg des Tages gut treten kann, wenn man bereits erschöpft ist. Wählt man aus zu großem Ehrgeiz, Unwissenheit oder falschem Stolz eine Übersetzung, die nur am ersten Berg funktioniert, büßt man das hintenraus."

Die richtigen, leichten Gänge vorausgesetzt, steht dem Erlebnis Rennradfahren in den Bergen – und dem Spaß dabei – nichts mehr im Wege.

Trittfrequenz-Training

Effizient mit hoher Kadenz zu pedalieren, kann man lernen. Zum Beispiel mit diesen Übungen.

1. Trittfrequenz-Pyramide

Bei dieser Übung steigern Sie kontinuierlich die Trittfrequenz bis zu einem Höhepunkt, um dann in gleichen Zeitintervallen wieder langsamer zu pedalieren.

BEISPIEL:

  • 15 Minuten Warmfahren
  • 30 Sekunden 90 Umdrehungen/Minute
  • 30 Sekunden 100 Umdrehungen/Minute
  • 30 Sekunden 110 Umdrehungen/Minute
  • 30 Sekunden 120 Umdrehungen/Minute
  • 30 Sekunden 110 Umdrehungen/Minute
  • 30 Sekunden 100 Umdrehungen/Minute
  • 30 Sekunden 90 Umdrehungen/Minute

Danach zehn Minuten "normales" Pedalieren und ggf. weitere Durchgänge. Achten Sie darauf, dabei nicht im Sattel zu hüpfen.

2. Einbeiniges Pedalieren

Diese Übung können Sie sehr gut in eine lockere GA1-Ausfahrt integrieren. Klicken Sie mit einem Bein aus dem Pedal aus und treten Sie bei mittlerer Intensität eine Minute einbeinig mit 90 bis 110 Umdrehungen. Wechseln Sie anschließend das Bein. Gönnen Sie sich fünf Minuten aktive Erholung, bevor Sie erneut nacheinander einbeinig pedalieren. Insgesamt drei bis fünf Wiederholungen je Seite. Die Übung schult auch intensiv die Hubphase und den "runden Tritt". Achten Sie auf saubere Ausführung und versuchen Sie, ruhig im Sattel sitzen zu bleiben. Beide Übungenbieten sich übrigens auch auf der Rolle an.

Eric Gutglück
Einbeiniges Pedalieren schult die Beweglichkeit, Koordinierung und den runden Tritt.
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Erscheinungsdatum 10.05.2023