Im Dezember 2023 verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer unter Radsportfans: Der Getränkekonzern Red Bull plant eine Mehrheitsübernahme des Profiteams Bora-hansgrohe. Spätestens seit die österreichische Kartellbehörde Ende Januar 2024 grünes Licht für den Deal gegeben hat, wird nun spekuliert: Wie verändert sich der Profiradsport durch das Engagement des Brauseherstellers? Denn Red Bull ist kein Sponsor wie viele andere. Unglaubliche 1,65 Milliarden Euro gaben die Österreicher allein 2019 für Marketingzwecke aus. Und Red Bull nutzt Mannschaften oder Einzelsportlerinnen und -sportler nicht bloß als Werbeplattform, sondern verändert mitunter maßgeblich die Rahmenbedingungen der geförderten Sportarten, zu denen die Formel 1, Fußball, Eishockey und diverse Extremsportarten zählen.
Beispiel Fußball: In Österreich kaufte der Konzern 2005 einen vor sich hin dümpelnden Traditionsverein, warf dessen Farben und Historie über Bord und gewann dank massivem Finanzeinsatz bislang 14 Meisterschaften. In Deutschland hievte man den 2009 gegründeten Verein RB Leipzig mit zumindest in den niedrigeren Spielklassen wettbewerbsverzerrenden Finanzmitteln aus der Oberliga bis in die Champions League und machte ihn zum zweimaligen DFB-Pokalsieger. Für viele Fußballfans ist Red Bull deshalb ein rotes Tuch.
Dass Geld nicht nur Tore schießt, sondern auch Etappen und Rundfahrten gewinnt, ist jedoch nichts Neues. Seit Jahren dominieren im Radsport finanzstarke Teams wie Ineos Grenadiers, Visma–Lease a Bike oder UAE. Red Bull wird den Profizirkus also wohl kaum auf links drehen. Vielmehr hat Bora-Teamchef Ralph Denk einen Partner gesucht und gefunden, der seine Equipe auf Augenhöhe mit den Topmannschaften hebt und das große Ziel ermöglichen soll: den Sieg bei der Tour de France, der wichtigsten Rundfahrt der Welt. Mit dem Startschuss der Tour 2024 wird Ralph Denks Team als Red Bull-Bora-hansgrohe im Peloton vertreten sein – neue Trikots, neues Material, eine neue Optik sind bereits angekündigt. Unklar ist derweil noch, ob mittelfristig neue Fahrer verpflichtet werden. Gerüchte über ein Superteam mit den von Red Bull gesponserten Topstars Wout van Aert und Tom Pidcock, aber auch dem Supertalent Remco Evenepoel machten bereits die Runde. Weitere, konkrete Details der Liaison von Red Bull und dem Team Bora-hansgrohe werden wohl erst zur Tour de France und in den Wochen und Monaten danach bekannt werden.
Analyse Radsportsponsoring
Doch schon jetzt zeigt der Einstieg von Red Bull: Der Radsport ist ein attraktives Werbeumfeld. "Das ist ein starkes Signal, denn was Red Bull macht, wird weltweit beobachtet und ausgewertet – weitere Großunternehmen könnten folgen", sagt Pascal Schulte, Vice President Sales Operations and Account Management beim weltweit führenden Marktforschungsunternehmen Nielsen Sports, das Akteure vor allem aus dem Sport- und Entertainmentmarkt berät. Und auch den Radsport kontinuierlich analysiert. Dem stellt Schulte ein gutes Zeugnis aus: "Es ist eine sehr facettenreiche Sportart, die aus vielen Gründen attraktiv ist für Unternehmen: Milliarden Menschen fahren Fahrrad und verbinden damit positive Assoziationen; der Profiradsport ist international, mit Rennen auf der ganzen Welt und globaler, überwiegend kostenfrei empfangbarer TV-Präsenz; die Wettkämpfe und damit die Übertragungszeiten sind zudem recht lange; und im Radsport ist es selbstverständlich, dass Teams den Namen des Sponsors tragen, der dadurch sehr präsent ist."
Topsponsoren erreichen so im Radsport übers Jahr gerechnet Medienäquivalenzwerte im dreistelligen Millionenbereich – durch die umfangreiche TV-Berichterstattung sowie redaktionelle Beiträge in Tages- und Fachpresse und Onlinemedien sowie durch Social Media. "Der Return on Invest liegt beim Radsport bei bis zu eins zu zehn. Sprich: Jeder investierte Euro wird bis zu zehnfach vergolten – das ist ein sensationeller Wert", analysiert Pascal Schulte von Nielsen. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Trikotsponsor in der Fußballbundesliga erreicht einen Faktor von eins zu sieben, in der Formel 1 gilt bereits ein Wert von eins zu drei als gut.
"Wenn Unternehmen global ihre Sichtbarkeit erhöhen wollen, bietet der Radsport dafür ein hervorragendes Umfeld mit attraktivem Preis-Leistungs-Verhältnis", so Schulte weiter. Besonders für Unternehmen, deren Hauptabsatzmärkte in großen Radsportnationen wie Italien, Frankreich, Spanien, Belgien oder in den Niederlanden liegen, sei die Investition in den Radsport eine Überlegung wert. "Aufgrund seiner breiten Zielgruppe decken Sponsoren im Radsport vielfältige Branchen ab. Besonders stark vertreten sind naturgemäß Sportartikelhersteller mit Radsportnähe. Aber auch der Einzelhandel, Lebensmittelketten oder internationale Dienstleister engagieren sich im Radsport", erklärt Sponsoringfachmann Pascal Schulte.
"DER RADSPORT BIETET EIN HERVORRAGENDES WERBEUMFELD MIT ATTRAKTIVEM PREIS-LEISTUNGS-VERHÄLTNIS."
Pascal Schulte, Nielsen Sports
Wichtig sei natürlich vorab zu analysieren, ob die eigene Zielgruppe tatsächlich Radsport betreibt und/oder verfolgt. In Deutschland liegt der Anteil an Menschen, die Interesse am Radsport bekunden, laut Nielsen-Erhebungen seit Jahren konstant im Bereich von 20 Prozent. In anderen Ländern ist das Interesse noch größer. Je nach Sponsor und verfolgtem Ziel ebenfalls interessant: Laut Nielsen-Analysen verfügen aktive Radsportfans über ein überdurchschnittliches Bildungsniveau und beziehen ein überdurchschnittlich hohes Einkommen.
Neuer Radsportsponsor
Mit solchen Analysen und Fragestellungen hat man sich in den vergangenen Monaten auch intensiv bei der Grenke AG beschäftigt – und letztlich die Entscheidung für ein Sponsoring im Radsport getroffen: Der Finanzdienstleister aus Baden-Baden ist seit Saisonbeginn Namenssponsor des Nachwuchsteams von Bora-hansgrohe. Das U19-Team Grenke-Auto Eder arbeitet daran, junge Talente wie Junioren-Vizeweltmeister Paul Fietzke zu fördern und womöglich in den Profiradsport zu bringen. Der Grenke-Schriftzug prangt 2024 aber auch auf den Trikots der Profimannschaft um Primoz Roglic, Lennard Kämna und Co.

Neuer Hauptsponsor: Finanzdienstleister Grenke unterstützt seit dieser Saison das Nachwuchsteam von Bora-hansgrohe, in dem die Radprofis der Zukunft reifen sollen, etwa der deutsche Juniorenmeister Paul Fietzke. In Schwarz: Trainer Christian Schrot (l.) und Teamchef Ralph Denk.
"Wir sind schon länger auf nationaler Ebene im Fußball und im Schach-Nachwuchsbereich aktiv", erläutert Grenke-CEO Dr. Sebastian Hirsch, "nun wollten wir ein internationales Sportsponsoring starten – das Paket aus Nachwuchsförderung im U19-Team, aber auch Anbindung an das Profiteam Bora-hansgrohe ist perfekt für uns." Obwohl Hirsch selbst gerne Rennrad fährt, sei die Entscheidung rein rational, strategisch-betriebswirtschaftlich getroffen worden. "Der Radsport bietet uns eine sehr große internationale Bühne – auf Märkten, die für uns relevant sind. Zudem bietet die Sportart viele inhaltliche Anknüpfungspunkte: Leidenschaft, Beharrlichkeit, Ausdauer, Teamwork führen zum Erfolg. Das sind tolle Themen für Key Note Speeches von Rednern aus dem Team. Und wir werden auch wichtige Radrennen nutzen, um Events mit Partnern und Kunden zu veranstalten – die Nähe zu den bekannten Radstars ist dabei natürlich sehr attraktiv."
"DER RADSPORT BIETET UNS EINE SEHR GROSSE INTERNATIONALE BÜHNE – AUF MÄRKTEN, DIE FÜR UNS RELEVANT SIND."
Dr. Sebastian Hirsch, CEO Grenke AG
Handelspartner ins VIP-Zelt an die Rennstrecke einladen, mal eine Mitfahrt im Teamfahrzeug ermöglichen oder vielleicht sogar als Gruppe selbst bei einem Jedermann-Rennen mitfahren – der Radsport bietet viel Potenzial, Kunden, Partnern und Belegschaft "Once-in-a-lifetime-Erlebnisse" zu ermöglichen und das eigene Image positiv zu beeinflussen. "Unser Sponsoring ist eine Eintrittskarte in die sehr vielseitige Radsportwelt", sagt Grenke-CEO Hirsch, "natürlich müssen wir diese Chancen aber auch selbst nutzen." Das Thema Doping sei bei den Abwägungen natürlich präsent gewesen, aber Hirsch ist sich sicher, "dass der Radsport eine Transformation durchgemacht hat. Und jede Generation hat eine eigene Chance verdient – gerade deshalb engagieren wir uns so stark in der Nachwuchsförderung." Was sich Grenke das Engagement kosten lässt, verrät der CEO zwar nicht, macht aber deutlich, "dass es sich um ein vernünftiges Investment mit sehr gutem Kosten-Nutzen-Faktor handelt."
Rennveranstalter sucht Sponsor
In die "Preis-Leistungs-Kerbe" schlägt auch Matthias Pietsch – allerdings von einer anderen Seite: Als Rennveranstalter wirbt er um Sponsorengelder. Pietsch ist Geschäftsführer der Gesellschaft zur Förderung des Radsports, einer Tochter des Tour de France-Veranstalters A.S.O., die in Deutschland die Radrennen Eschborn–Frankfurt, Deutschland-Tour und Hamburg Cyclassics veranstaltet. Pietsch und sein Team werben auf Wirtschaftsmessen und -kongressen, bei Sportevents und durch gezielte Ansprache um Sponsoren. Manchmal vermittelt das eigene Netzwerk oder purer Zufall interessante Gesprächspartner.
"Man muss Präsenz zeigen, gut netzwerken können, ins Gespräch kommen", beschreibt Pietsch die Herausforderung, "natürlich herrscht großer Konkurrenzdruck, nicht nur von anderen Sportarten. Auch Kunst und Kultur werben zum Beispiel in der Wirtschaft um Unterstützung und bieten ebenfalls gute Ideen und große Bühnen für Vermarktungspotenziale."
Die Sponsorensuche macht Pietsch dennoch Spaß. "Es ist eine total spannende, sehr menschlich-psychologische Herausforderung. Man muss in Akquise-Gesprächen genau zuhören, was das Gegenüber sucht, was für ein Produkt oder eine Dienstleistung es anbietet und wie eine passende Werbestrategie aussehen könnte. Man muss abwägen, ob man zusammenpasst. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind riesig, wir versuchen, maßgeschneiderte Lösungen anzubieten: Für den einen kann es ideal sein, Namensrechte zu erwerben, der Nächste möchte das Radrennen für ein eigenes Firmenevent nutzen, ein Dritter vielleicht Werbeartikel verteilen und einen Expostand öffnen. Ein spannendes Spiel!"
FÜR UNTERNEHMEN, ABER AUCH FÜR STÄDTE UND GEMEINDEN GIBT ES WOHL KAUM EINE BESSERE MÖGLICHKEIT, SICH EINEM WELTPUBLIKUM SO EINDRUCKSVOLL ZU PRÄSENTIEREN, WIE DURCH DIE BILDER DIE EIN RADRENNEN PRODUZIERT."
Matthias Pietsch, Veranstalter Deutschland-Tour, Hamburg Cyclassics & Eschborn-Frankfurt
Noch mal völlig andere Erwartungen und Fragestellungen haben Städte und Gemeinden, um deren Unterstützung Pietsch vor allem für die Durchführung der Deutschland-Tour wirbt. "Wir entwerfen jedes Jahr eine neue Strecke und sprechen mit unzähligen Start- und Zielorten. Tourismus und Standortmarketing sind hier wichtige Argumente – es gibt für Städte und Gemeinden wohl kaum eine bessere Möglichkeit, sich einem Weltpublikum so eindrucksvoll zu präsentieren wie durch die Bilder, die ein Radrennen produziert." Wenn die Deutschland-Tour kommt, bieten Städte und Gemeinden aber auch ihren Bürgerinnen und Bürgern etwas Besonderes und sorgen zudem für zusätzliche Umsätze in Gastronomie und Einzelhandel.

Standortmarketing, Tourismusförderung, Bürgerfest: Radrennen bieten Städten und Regionen eine große Bühne - wohl dem, der dies zu nutzen weiß.
Doch während bei Wirtschaftsunternehmen recht schnell Entscheidungen für oder gegen ein Sponsoringangebot getroffen werden, braucht man einen langen Atem, um in Stadt- oder Gemeinderäten eine Mehrheit zu gewinnen. Doch auch hier kann man maßgeschneidert auf Wünsche und zur Verfügung stehende Budgets eingehen: "Start- oder Zielort der gesamten Rundfahrt zu sein kostet natürlich mehr als ein Etappenort unterwegs. Wochentags ist es günstiger als am Wochenende, mit Side-Events wie Hobbyrennen oder Nachwuchslizenzrennen kostet es mehr als ohne. Und so weiter. Um mal eine finanzielle Größenordnung zu nennen: Schon für ein kleineres fünfstelliges Budget geht es los. Der Gegenwert, den man erhält, ist dabei um ein Vielfaches größer."
Radsportsponsoring im Kleinen
Um ganz andere, kleinere finanzielle Dimensionen geht es beim Sponsoring für Vereine, Hobbyteams oder einzelne Personen. Doch Philipp Schön, als Head of Sales beim deutschen Laufradhersteller BikeBeat auch mit Sponsoringanfragen befasst, ermutigt auch im Radsport aktive "Normalos" ausdrücklich, sich Gedanken um Sponsoring oder Kooperationen zu machen: "Warum sollte das für Unternehmen nicht interessant sein? Im Gegenteil! Man muss miteinander sprechen, ob man ein für beide Seiten stimmiges Gesamtpaket schaffen kann."
Wichtig sei jedoch, die Sicht des Unternehmens zu verstehen und seine Anfrage dahingehend abzustimmen, so Schön: "Anfragen à la ‚Ich bin geil und will Material‘ wandern unbeantwortet in den Papierkorb, selbst respektable sportliche Erfolge sind für sich alleine genommen irrelevant. Unternehmen wollen verkaufen oder ihre Bekanntheit steigern – also gilt es, sich zu überlegen, was man bieten kann. Ihr seid als Verein oder Gruppe aktiv? Warum keine Rabattpartnerschaft? Mitglieder erhalten Prozente beim Kauf eines Produkts – die Marge des Herstellers sinkt zwar, dafür verkauft er eine höhere Stückzahl und gewinnt Marktanteile. Der Verein / die Gruppe wiederum bietet den Mitgliedern Vorteile und wird attraktiver für Außenstehende.

Win-win-Situation: Instagram-Influencerin Nora Turner wird kostenlos Material von BikeBeat zur Verfügung gestellt, sie liefert dem Unternehmen dafür professionelles Bildmaterial und große Reichweite.
Anderes Beispiel: Manche Hersteller haben nicht die Zeit und die Ressourcen, kontinuierlich hochwertige Fotos oder Videos von den eigenen Produkten zu produzieren. Wer Talent hat, stellt dem Unternehmen entsprechendes Material zur Verfügung und erhält im Gegenzug kostenlose oder stark vergünstigte Ausrüstung. Wenig überraschend, aber ebenso relevant sind darüber hinaus natürlich große Reichweiten auf Social Media, eine gut gepflegte Website oder ein anderer nennenswerter Zugang zur Zielgruppe des Unternehmens."
"RADSPORTSPONSORING IST NICHT NUR WAS FÜR DEN PROFIBEREICH – AUCH VEREINE, HOBBYTEAMS, COMMUNITYS, EINZELPERSONEN KÖNNEN ATTRAKTIV SEIN FÜR UNTERNEHMEN."
Philipp Schön, Head of Sales BikeBeat
Klassische Trikotwerbung ist ebenfalls interessant, allerdings sollte man dem potenziellen Geldgeber gegenüber skizzieren können, wie die eigene Presse und Öffentlichkeitsarbeit aussieht, sprich: Wie oft, wann und wo wären die Trikots mit Sponsorenschriftzügen und -logos zu sehen? Grundsätzlich seien schnell erfassbare, aussagekräftige Bewerbungen wichtig, so Marketingexperte Schön: "Als Unternehmen will ich wissen: Wer schreibt da, was genau haben die vor, was bieten die? Eine kleine Sponsorenmappe mit Zahlen, Daten und Fakten ist immer sinnvoll – und zugleich eine erste Visitenkarte."
Grundsätzlich gelte aber: "Keine Hemmungen! Mehr als nein sagen kann das Gegenüber nicht. Und clevere Konzepte vorausgesetzt, gibt es immer einen Weg, im Radsport für ein Unternehmen interessant zu sein." Red Bull hat das erkannt.