„Nachts kann es in der Wüste saukalt werden”, hallt Nirs Warnung in meinem Kopf nach. Was heißt das, wenn es von einem Israeli kommt? Etwas ratlos stehe ich deshalb vor einer zu großen Auswahl an Bikeklamotten: Arm- und Beinlinge sowie Thermounterhemden und Regenjacke oder doch gleich Softshelljacke und lange Hose? Für den Trip nach Israel durch die Wüste Negev möchte ich lediglich kleines Gepäck. Daher entscheide ich mich am Ende für maximal leichte Ausrüstung und hoffe, dass im Notfall doch ausreichend warme Decken zur Verfügung stehen.
Warum in die Ferne reisen?
Der Tourismus in Israel boomt seit Jahren, das milde Klima im Winter lockt jedes Jahr mehr Europäer an und knackt neue Besucherrekorde. Wenn Deutschland unter klirrender Kälte erstarrt, genießt man von München nur knapp vier Stunden Flugzeit entfernt unter der wärmenden Sonne mediterran-orientalisches Urlaubsfeeling. Von dem Trend profitieren auch Radfahrer, denn diese werden in Israel massiv gefördert und so hat sich Tel Aviv mit einem Radwegenetz von 120 Kilometern und 150 Radverleihstationen bereits den Titel des “Amsterdam Israels” redlich verdient. Aber auch für uns Mountainbiker hat sich eine starke Lobby gebildet, die sich in den vergangenen Jahren für die Umsetzung der „Israel Bike Trails”, eines zirka 1000 Kilometer weiten Radwegenetzes durch Israel, eingesetzt hat. Einer der Schwerpunkte bildet hierbei der Negev, und ich wurde eingeladen, mir von der Trail-Infrastruktur und dem Erlebnis des Wüstenbikens einen Eindruck zu machen.
Mitzpe Ramon ist ein kleines Wüstenstädtchen mit 5000 Einwohnern und liegt auf 900 Metern Höhe im zentralen Negev, nur zirka 15 Kilometer von der ägyptischen Grenze entfernt. Nach der Ankunft im Dunkel des gestrigen Abends und einem üppigem, traditionell israelischen Abendessen aus Reis, Gemüse und Hühnchen sowie regionalem Wein habe ich zusammen mit anderen Mountainbikern aus ganz Europa in einfachen, aber gemütlichen Lehmhütten übernachtet. Erst mit dem Sonnenaufgang bekommen wir einen Eindruck von unserer Umgebung. Es ist kühl aber nicht kalt, und einige von uns laufen bereits vor dem Frühstück die rund hundert Meter hinunter zum Rand des Machtesh Ramon, des mit 40 Kilometern Länge größten Erosionskraters der Welt, um das Schattenspiel der aufgehenden Sonne in der überwältigend schönen Wüstenlandschaft zu bestaunen.





Auf welchem Bike durch den Negev?
Bereits einige Wochen vor Beginn der Reise werde ich vor die Wahl gestellt, auf welchem Bike ich den Wüstentrip machen will. Vor uns liegen drei Tage mit durchschnittlich 50 Kilometern Länge aber kaum nennenswerten 500 bis 700 Höhenmetern. Ich habe mir bereits einige Videos angeschaut und rechne mit jede Menge losem, grobem Schotter aber auch reichlich Platz um Spaß zu haben. Beeindruckt war ich vom luxuriösen Angebot an Leihbikes: Aus der nahezu vollständigen 2018er-Palette TREK-Mountainbikes wähle ich schließlich das Slash 9.8, ein 29er-Carbon-Enduro mit 150 mm Federweg, SRAM GX Eagle, SRAM Guide-Bremsen und fetten Bontrager-Schlappen. Mit Sicherheit hätte es auch ein Fuel (All-Mountain) oder Top Fuel (Race-Fully) getan, wie ich aber rückblickend behaupte, habe ich mit dem 15 Kilogramm schweren Enduro die richtige Wahl getroffen.

Zurück in der Wüste: Das Frühstück nutzen wir, um uns gegenseitig kennenzulernen und wir werden durch die israelischen Guides und einen Vertreter des Tourismusministeriums offiziell begrüßt. Anschließend kümmern wir uns um das Setup unserer Bikes und sind schon ganz ungeduldig, endlich Wüstenboden unter die Stollen zu nehmen. Als wir aus dem kleinen Hof des Eco-Camps “Desert Shade” hinaus in die endlose Felslandschaft rollen, ist die Kühle des Morgens einer trockenen Hitze gewichen, und nur ein paar Wolken säumen den Himmel. Der erste Tag führt uns entlang des Kraters nach Nordosten, vorbei an Steinskulpturen aus großen Felsbrocken, die sich wie archaische Kunstwerke am Rand der Klippe erheben. Alle paar Kilometer aber halten wir für Fotos und starren in die Tiefe unter uns, wo Wasser und Wind in den letzten 200 Millionen Jahren Gesteinsschichten in unterschiedlichsten Farben freigelegt haben.
Craftbier in der Mondlandschaft
Gegen Mittag erreichen wir auf einer Anhöhe ein kleines Camp, füllen Wasservorräte auf und stärken uns mit Tee, Kaffee und großen, süßen Datteln. Direkt hinter dem provisorischen Zelt und den geparkten Land Rovern fällt die Wand des Kraters steil ab und ein schmaler, geschotteter Weg schlängelt sich hinunter, vorbei an den Wracks zweier völlig verrosteter Autos. Am Horizont schießen Sonnenstrahlen durch einige dunkle Fetzen von Regenwolken. Was für eine wunderbare Location! Während wir die Abfahrt vorbereiten, haben die Fotografen bereits Stellung bezogen. Amir, der immer wieder in einem Wüstenbuggy vorangefahren ist, steht mit einer großen Fernsteuerung etwas abseits am Kraterrand und lässt seine Phantom 4-Drohne über dem Krater schweben. Geduldig warten wir auf das Zeichen zur Abfahrt. Dann schießen wir, eine Staubwolke hinterlassend, mit offenen Bremsen und einem breiten Grinsen vorbei an den Wracks 400 Meter tief hinunter ins Tal.

Die Trails sind ausschließlich für Mountainbiker gemacht, werden regelmäßig gepflegt und ausgeräumt und sind für den richtigen Flow stellenweise an die sanften Hügel der Landschaft angepasst. Der Ritt durch die Wüste verlangt auch kein Vorbereitungstraining, sondern gleicht einem riesigen Spielplatz für Anfänger wie Fortgeschrittene. Trotz der großen Gruppe bekommen wir die vielen Guides und Begleitfahrzeuge nur in den Pausen zu sehen. Der Tag in der Wüste fühlt sich an wie ein Freeride durch unbekanntes Terrain, wissend, dass man im Notfall in sicheren Händen ist. Denn Odet und seine Guides sind erfahrene Mountainbiker und überlassen nichts dem Zufall. Seit vielen Jahren sind sie regelmäßig mit dem Bike in der Wüste unterwegs und können Gefahren und Wetter sehr gut einschätzen. „Der Israel Bike Trail hier im Negev ist so gut ausgeschildert, du könntest ihn allein fahren”, grinst Odet und fügt hinzu: “Aber wir raten dringend davon ab, sich allein in die Wüste zu begeben. Das Gelände ist riesig, es gibt, bis auf einige vereinzelte Beduinencamps, sogenannten Khans, keine Zivilisation. Und großteils keine Funkverbindung. Eine Verletzung oder ein Defekt können unter Umständen lebensbedrohlich sein”.
„Beer at the end of desertbiking!” – mit diesen Worten begrüßt uns Nir, der Organisator unseres Wüstentrips, im Zeltlager und deutet auf eine große Wanne voller Eiswürfeln und Bier. Craftbier ist in Israel so populär wie Radfahren und ich erinnere mich an meine erste (Bi)erfahrung in Tel Aviv, einem Double-Stout Craftbier aus der Hertzl-Brewery in Jerusalem mit einem Alkoholgehalt von 8,6 Prozent, malzig-dunkel, leichte Honignote und: köstlich! Deshalb genießen wir nahezu jeden Abend unterschiedlichste Sorten, von IPA über Desert Dew bis hin zu einem Smoked Date Lager mit dem leicht schokoladigen Geschmack gerösteter Datteln. Nach einem grandiosen Abendmahl aus Fladenbrot, Linsensuppe, Gemüse, Hummus, Tahin und Fleischeintopf sitzen wir auf Teppichen rund um ein großes Lagerfeuer. Nach und nach zieht sich einer nach dem anderen in das große Zelt auf die Matratzen zurück. Von der angekündigten Kälte ist nichts zu spüren. Nur ein harter Kern sitzt noch bis spät in die Nacht am Feuer, tauscht Erfahrungen und Eindrücke aus und mag den Tag nicht enden lassen.





Bewundere und respektiere die Wüste
Ein Wadi ist ein ausgetrocknetes Flussbett, dass sich bei Regenfällen innerhalb kürzester Zeit mit Wasser füllt und zu einem reißenden Strom wird. Ein Teil des Israel Bike Trails führt durch den Nekarot Creek, der den Großteil des Jahres trocken und befahrbar ist. Um uns herum sind daher vom Wasser rund geschliffenen Steine und Lehmteppiche, die das Gefühl, am Grunde eines Flussbettes entlangzufahren, noch verstärken. Etwas mulmig wird uns aber doch als Asaf, einer der Begründer des Wüstenbike-Projektes, uns ein Video zeigt, das vor ein paar Wochen aufgenommen wurde: “Eine Gruppe unvorsichtiger Touristen wurde in ihrem Land Rover von den Wassermassen fortgerissen, ehe sie sehr viel später gerettet werden konnten.” Nicht immer aber endet die Konfrontation mit den Naturgewalten glimpflich. Die Wüste ist zwar friedlich, fast meditativ, doch sollten wir Menschen niemals den Respekt vor ihr verlieren.”
Noch nicht einmal 9 Uhr, aber die Sonne hat bereits enorme Kraft und glüht ohne Gnade vom wolkenlosen Himmel herab. Ringsum erstreckt sich über zig Kilometer die felsige Landschaft des von Bergen, Tälern und Kratern durchzogenen Negev, der mit sechzig Prozent einen Großteil der Landesfläche Israels bedeckt. Während die gelben Steine unter den Reifen knirschen und mein Schweiß unablässig auf den Lenker tropft, stelle ich mir die nasskalten, nebligen Wälder in Deutschland vor. Von derartiger Herbsttristesse ist Mitte November hier in der Wüste nichts zu spüren – und das motiviert mich umso mehr, die letzten Höhenmeter auf ein karges Plateau hinaufzukurbeln, auf denen die Überreste einiger antiker Gemäuer wachen. Ich rolle vor bis an den Rand einer steil abfallenden Klippe und blicke in ein weites Tal, von dem sich auf der gegenüberliegenden Seite die mächtigen jordanischen Berge wie eine dunkle Mauer erheben.
Video: Nabatäische Ruinen
Doch bevor es rund 400 Tiefenmeter hinab in die Aravasenke geht, haben die israelischen Guides einen schattenspendenden Pavillion aufgebaut und Tee, Limonade, Datteln sowie Mangomus zur Stärkung bereitgestellt. Odet winkt mich zu sich. Er geht in die Knie und wühlt mit den Fingern durch die Steine. Dazwischen liegen unzählige tonfarbene Splitter: „Das sind Gefäße der Nabatäer. Krüge, Vasen, Karaffen. Das ganze Plateau ist voll davon, die größten Scherben wurden natürlich schon mitgenommen.” Er grinst mich an und drückt mir eine der größeren Scherben als Andenken in die Hand. Etwas ungläubig wandle ich durch die uralten Mauern der Ruinen. Vor 2000 Jahren standen hier Soldaten und hielten Ausschau nach den reich beladenen Kamelkarawanen auf ihrer langen Reise von Damaskus über den Sinai bis nach Ägypten. Und mir wird nun richtig bewusst, dass wir durch ein riesiges, antikes Freiluftmuseum fahren.





Ausflug in die Menschheitsgeschichte
Irgendwann vor ungefähr 7500 Jahren, also noch vor den ersten altägyptischen Dynastien, wurden die Menschen der Wüste auf die rostroten Felsen im südlichen Jordangraben aufmerksam und entdeckten ihre reichhaltigen Kupfervorkommen. Der Timna-Nationalpark beherbergt somit auch die ältesten Metallbergwerke und Schmelzanlagen der Welt. Nach drei Tagen feiern wir hier in einer von Palmen gesäumten Oase das Ende unseres Wüstentrips. Etwas wehmütig schaue ich zu, wie die Bikes in den Transporter geladen werden. “Jungs, ihr fahrt morgen nicht mit dem Bus zurück nach Tel Aviv, sondern ich hab euch einen Flug von Eilat gebucht”, überrascht uns Nir plötzlich und erzählt: „Hier wird ein Bikepark gebaut und Yaron, der Projektleiter der Timna Trails, möchte sie euch unbedingt zeigen.” Eine Sondertour für vier von uns? Unsere Erwartungen werden sogar noch übertroffen. Denn am nächsten Morgen führt uns Yaron Deri, der seit zwanzig Jahren hier in der Wüste lebt, durch “seinen” Timna Park. Ausgebaute Biketrails führen zu durch Winderosion geformten Kunstwerken wie den Säulen von Salomon und dem Steinernen Pilz bis tief hinein in den zerklüfteten Canyon, in dessen Felswänden hunderte von Stollen die Geschichte jahrtausendealten Bergbaus erzählen. „Im Februar organisiere ich hier eine Etappe eines dreitägigen Marathons“, erzählt Yaron stolz und grinst breit.
Noch immer ziemlich überwältigt von den Eindrücken aus dem Timna Park werden wir zum nahe gelegenen Flugplatz in Eilat gefahren. Wir sind uns bewusst, dass wir nur einen Bruchteil der Wüstenwunder gesehen haben. Ich habe wirklich wenig Lust, nun wieder zurück ins kalte, herbstliche Deutschland zu fliegen.
Und die Thermounterhemden liegen immer noch ungetragen im Rucksack.

Alle Informationen zum Wüstentrip in Israel
- Nächster Termin: Das nächste Wüstenabenteuer findet Ende Februar, vom 28.2. – 4.3.2019 statt.
- Wie hinkommen? Flug ab München (mit Zwischenstopp) ab ca. 200 Euro.
- Veranstalter: Desert BikeAir, Kosten liegen bei 730 € (ohne Flug, inkl. Transfer vom und zum Flughafen Tel Aviv, Kost & Logis inkl. Getränke), Leihbikes für 120 Euro. Alle weiteren Informationen auf der Website des Veranstalters unter: https://desert-bikeair.co.il
- Empfehlung: Unbedingt zwei Tage dran hängen und in Tel Aviv mit dem Elektrobike die Stadt erkunden. Eine günstige aber gute Übernachtungsempfehlung ist das Abraham Hostel (https:abrahamhostels.com/tel-aviv, Übernachtung im 4-Bett-Zimmer ab 25 €inkl. Frühstück). Von Tel Aviv gibt es eine direkte Zugverbindung nach Jerusalem (ca. 5 €, 25 Min. Fahrt). In Jerusalem ist das The Post-Hostel eine günstige Übernachtungsempfehlung (https:www.theposthostel.com, Übernachtung im 4-Bett-Zimmer ab 28 € inkl. Frühstück).
- Event: Samarathon 2019: Racer fliegen etwas früher und nehmen vom 13.2.-16.2. am CC/Marathon-Etappenrennen Samarathon (https://en.samarathon.co.il/) teil, das ebenfalls im zentralen Negev (Start: Mitzpe Ramon, Ende: Timna Park) stattfindet.
- Wichtig: Unbedingt Auslandskrankenversicherung abschließen.