UPDATE: Aktuelle Rennradschuhe um 150 Euro im Test: Das komplette Testfeld finden Sie hier
Kennen Sie noch Abebe Bikila? Der Äthiopier lief 1960 in Rom zum Olympiasieg im Marathon – barfuß! Für Rennradfahrer ist das keine Option, spezielle Schuhe gehören zur unverzichtbaren Grundausstattung, an die hohe Anforderungen gestellt werden: Sie übertragen die Kraft aus den Beinen auf das Rad – pro Ausfahrt viele tausendmal. Rund 20 000 Pedalumdrehungen sind nötig, um 100 Kilometer zu fahren, wer 5000 Kilometer im Jahr schafft, hat gute Chancen, die Million vollzumachen. Es lohnt sich also, seinen hart arbeitenden Füßen etwas Aufmerksamkeit zu widmen.
Einfache Rennrad-Schuhe gibt es bereits ab rund 80 Euro, Sie können aber auch problemlos das Vierfache investieren. Das kann und möchte sicher nicht jeder Radsportler, Schuhe um 100 Euro das Paar gehören zu den meistverkauften. Deshalb hat RoadBIKE 15 aktuelle Modelle dieser Preisklasse für Damen und Herren zum Test geladen: Was darf der Sportler für diese Summe erwarten? Und wo gilt es, im Vergleich zu den Top-Modellen, Abstriche in Kauf zu nehmen? Getestet hat RoadBIKE die Schuhe in der Praxis wie im Labor: Die Stuttgarter Firma Corpus.e hat sämtliche Schuhe von innen per Laser-Scanner vermessen. Sohlenkrümmung, Länge, Breite und Höhe der Schuhe lassen sich so schnell vergleichen.
Außerdem hat sich RB angeschaut, wie sich Schuhe individuell anpassen lassen – entweder der gesamte Schuh oder über spezielle Einlegesohlen.
Die Passform entscheidet
Was macht einen guten Rennrad-Schuh aus? Das wichtigste Kriterium beim Kauf ist die Passform: Der Schuh muss den Fuß speziell am Spann sicher umschließen, ohne zu drücken und – besonders wichtig – an der Ferse rutschsicher fixieren, um auch im Wiegetritt und beim Ortsschildsprint perfekten Kraft fluss zu garantieren. Probieren Sie deshalb vor dem Kauf immer verschiedene Modelle und Größen aus!
Im Test überzeugten vor allem Shimanos SH-R088 und der Sport Road von Specialized mit angenehmem Sitz und gleichmäßiger Druckverteilung am gesamten Fuß. Selbst bei harten Antritten saßen die Füße der Tester bombenfest im Schuh.
Beim ebenfalls satt sitzenden RRS08 von Rose fiel zudem der weiche Einsatz am oberen Abschluss der Zunge positiv auf, wohingegen das Pendant an Giros Treble am Spann etwas drückte. Das war besonders bei kraftvollem, niedrigfrequentem Treten am Berg spürbar. Gerade bei solchen Belastungen kommt es auch auf guten Fersenhalt an – hier glänzte der Sonic3S von Northwave, der schon optisch mit seiner weit nach innen gezogenen Ferse auffällt.
Bei den Damenmodellen punkteten vor allem Shimanos SH-WR42 und der Spirita Road von Specialized mit ihrer angenehmen, von allen Testfahrerinnen gelobten Passform. Bei Giros Sante kritisierten sie dagegen den eher schlechten Fersenhalt.
Die Kraft muss auf die Straße
Und wie erledigen die Schuhe ihren wichtigsten Job — die Kraft optimal auf die Straße zu bringen? Ganz allgemein gilt: Je steifer die Sohle, desto besser die Kraftübertragung, denn so fließt weniger Energie in die Verformung des Materials. Oberklasseschuhe setzen deshalb ausschließlich auf steife Carbon-Sohlen. In der 100-Euro-Preisklasse werden die schwarzen Fasern nur im Ausnahmefall verbaut. Hier dominieren Verbundsohlen auf Nylonbasis, für Hobbyfahrer in aller Regel ausreichend steif, zumal die meisten deutlich weniger Kraft aufs Pedal bringen als gestandene Profis. Die Leistungseinbußen sind daher zu vernachlässigen. Einige Hersteller vergeben für die Steifigkeit ihrer Sohlen einen „Stifness Index“ – etwa Scott, Shimano und Specialized. Was aber nicht bedeutet, dass die Werte vergleichbar sind: Den Index legt jeder Hersteller für sich fest. „Die Zahl ist nur ein Indikator“, sagt etwa David Heine von Specialized: „Je höher der Wert, desto steifer die Sohle.“
Wie gut die Kraft übertragung funktioniert, hängt aber nicht an der Sohlensteifigkeit allein. Wichtig ist auch, dass der Druck über eine möglichst große Fläche verteilt wird und nicht ausschließlich auf den Fußballen lastet. Deshalb ist eine Unterstützung des Fußgewölbes durch entsprechend ausgeformte Einlegesohlen wichtig. Festen Halt im Schuh fördert auch das richtige Obermaterial, das nicht
zu nachgiebig ausfallen sollte: Bei harten Antritten beginnt der Fuß sonst zu „schwimmen“. Das zeigte sich im Test bei Northwaves Sonic3S: Mit sehr steifer Sohle ausgerüstet, zählt das Obermaterial zu den nachgiebigsten im Testfeld – dem Fuß fehlt es bei kraftvollen Attacken an Halt.
Insgesamt erhalten alle Testkandidaten für die Kraftübertragung gute bis sehr gute Noten. Extreme Ausreißer nach oben oder unten hatten die Tester nicht zu bemängeln.
Auch innen alles gut?
Ganz anders stellt sich die Situation bei den Innensohlen dar: Obwohl alle Schuhe preislich in einer Liga spielen, waren die Unterschiede auffällig groß. Dabei sind die Einlegesohlen für das Wohlbefinden des Radsportlers essenziell, was auch Sportwissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Potthast von der Deutschen Sporthochschule Köln bestätigt.
Lob gab’s von den Testern für das Innenleben von Giros Treble und dem Damen-Pendant Sante – beide bieten gute Unterstützung. Auch Shimanos Einlegesohlen überzeugten – beim Damen- wie beim Herrenmodell. Ärgerlich beim Diadora Trivex: Die fest verklebte Sohle lässt sich nicht gegen höherwertige Modelle tauschen.
Die Einlegesohle von Northwaves Sonic3S besteht nur aus einer dünnen Schaumstoffeinlage, die schnell zusammengedrückt ist. Aus dem gleichen Grund fiel auch die Innensohle von Rose bei den Testern durch. Wer Probleme mit seinen Füßen hat, sollte gerade bei diesen Modellen darüber
nachdenken, sie mit besseren Einlegesohlen aufzuwerten.
Klett oder Ratsche?
Große Unterschiede im Testfeld fanden sich auch bei den Verschlüssen. Während bei Top-Schuhen oft leichte, fein justierbare Boa-Drehverschlüsse oder hochwertige Ratschen zum Einsatz kommen, dominiert in der 100-Euro-Klasse die Variante mit 3 Klettverschlüssen. Nur Bontrager, Shimano und Rose setzen auf je 2 Klettriegel mit zusätzlicher Ratsche, bei den Damen macht das nur Shimano. Abhängig von der Ausführung funktionieren alle Systeme ordentlich bis sehr gut. Für Klettverschlüsse spricht vor allem das geringere Gewicht und die simple, wenig anfällige Machart, Ratschenverschlüsse lassen sich feiner justieren – nützlich speziell während der Fahrt.
Im Test überzeugten vor allem die Verschlüsse von Bontrager, Shimano und Specialized, die eine feine Anpassung an jeden Fuß ermöglichen. Weniger gute Noten vergaben die Tester an Diadoras Trivex: Beim Festziehen der Klettverschlüsse warf das Obermaterial unschöne Falten – Druckstellen drohen. Beim Road Comp von Scott griff die Ratsche zwar gut, die Klettverschlüsse zeigten sich wegen des störrischen Materials aber etwas widerspenstig. Das galt auch für das Damenmodell Road Comp Lady, bei dem dieser Mangel wegen fehlender Ratsche schwerer wiegt.
Große Gewichtsunterschiede
Apropos Gewicht: Fast 200 Gramm liegen zwischen dem leichtesten Modell, dem Trivex von Diadora mit 491 g/Paar, um dem schwersten, dem CX160 von Lake mit 682 g/Paar. Bei den Damen hingegen beträgt die Spannweite gerade mal rund 20 g. Den Sieg in dieser Disziplin sichert sich der Northwave Starlight3S, schwerster Schuh ist der Sante von Giro.
Wichtig für das Fußklima ist die Belüftung. Alle Modelle im Test sind dank luftdurchlässiger Einsätze im Obermaterial, teilweise auch über Öffnungen in der Sohle, grundsätzlich gut belüftet. Persönliche Vorlieben und der Einsatzzweck geben hier den Ausschlag, weshalb RB auf eine Bewertung verzichtet.
Testfazit kompakt
In der 100-Euro-Klasse finden sich überzeugende Schuhe mit Top-Preis-Leistungs-Verhältnis – hier sollte jeder Hobbyfahrer das Passende finden. Mit überragendem Tragekomfort und sehr guter Passform sicherte sich Specialized bei den Damen und Herren den Testsieg – jeweils knapp vor Shimano.