Utrecht Ultra - Die Vorbereitung auf das Long Distance Cycling-Rennen

1000 km, 4 Länder, 4 Checkpoints, 100 Stunden Zeit
Planung und Vorbereitung auf das Utrecht Ultra

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Zuletzt aktualisiert am 21.08.2023
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Foto: Thomas Terbeck

Planung

Im Vorfeld sei erklärt, dass ich nicht blindlings beim Utrecht Ultra mitgefahren bin, sondern schon oft Langdistanzen gefahren habe. Ob eigene Streckenplanung oder bei Events, wie dem Super Berlin Express, Kilometer sammeln jenseits der 300 oder 400 Kilometer in one Go sind nicht fremd für mich.

Eine gescheite Vorbereitung mit Steigerung der gefahrenen Kilometer ist von Vorteil. Viel spielt sich dennoch im Kopf ab, daher ist die mentale Vorbereitung schon fast wichtiger als die körperliche. Ruhig bleiben in Stresssituationen, zu wissen, was kommen kann, mögliche Monotonie ausblenden, nicht ans Aufgeben denken, wenn es mal kurzzeitig schlecht läuft. Es gibt gute Möglichkeiten, sich mental auf solche Dinge einzustellen. Immer positiv denken ist eine davon.

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Thomas Terbeck/ Ruben Platte

Ein dreiviertel Jahr habe ich mich auf dieses Event, meinem persönlichen Saisonhöhepunkt, vorbereitet. Langdistanzen mit dem Rennrad haben es mir angetan und als im letzten Winter bei mir am Smartphone diese Geschichte aufploppte, konnte ich nicht anders, als mich anzumelden. Die Vorgaben klangen machbar, das Konzept spannend. Dennoch sollte ich das Utrecht Ultra besser nicht unterschätzen. Das lehrt mich meine Erfahrung. Daher war die Vorbereitung essenziell. Ich musste mir im Klaren sein, wie und mit welchem Equipment ich fahren würde.

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Thomas Terbeck

Equipment

Ich verbrachte unzählige Stunden damit, mir passendes Equipment zurechtzulegen und das Rennrad anzupassen. Besser gesagt, mein Gravelbike als Rennrad umzufunktionieren, da ich an meinem "normalen" Rennrad keine Aerobar montieren kann. Und der Profile Sonic/Ergo/35a Lenkeraufsatz ist gerade für Langstrecke ein Gamechanger. Daher war das passende Gefährt schnell gefunden.

An der Aerobar befestigte ich auch die Sram Wireless Blibs, die ich griffgünstig positionierte. Mit ihrer Hilfe konnte ich aerodynamisch im Auflieger bleiben und trotzdem die elektronische Sram Force eTap AXS schalten. Das erwies sich in der Praxis als sehr praktikabel.

Auf die schon für Gravel hervorragend geeigneten, leichtläufigen Laufräder CH40 von Leeze zog ich Rennradbereifung auf. Maximal auf 35 mm konnte ich hinuntergehen. Doch das war für den Komfort auf Langstrecke perfekt. Ich wählte die S-Works Mondo dafür aus.

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Thomas Terbeck

Normalerweise wechselt man kurzfristig nicht den Sattel vor so einer Tour. Dennoch bewog ich es mich aufgrund eines Tipps von meinem besten Bike-Buddy, dies doch zu tun. Die Marke und die Form sind identisch, allerdings wurde das Dämpfungsmaterial im neuen Modell des Ergon SR Allroad Core Comp Men geändert. Dieses sollte nochmals für wesentlich mehr Komfort sorgen.

Ich musste zwar den Stand des Sattels wegen der Änderung der Sitzgeometrie anpassen, die ich auch im Millimeter-Bereich immer wieder nachstellte, aber irgendwann hatte ich den Punkt erreicht, wo es sich wirklich gut anfühlte. Kein "nach vorn rutschen" und unangenehmer Druck im Genitalbereich. Nach einigen Testfahrten war ich hochzufrieden. Auch nach Stunden im Auflieger bei einer Bikepackingtour durch halb NRW gab es keine Nacken- oder Rückenschmerzen.

Des Weiteren musste ich genau wissen, was ich unterwegs benötigen und vor allem, was ich mitschleppen wollen würde. Für mich war das Credo "so leicht wie möglich und nur so viel wie nötig." Schlafsack, Isomatte und Zelt sollten zu Hause bleiben. Bei den Höhenmetern wollte ich das nicht über die Berge und Hügel wuchten. Der Plan war, denn ich rechnete mit dem Sommer, solange zu fahren, bis ich gewissermaßen vom Rad fallen würde. Dann mich in eine Ecke zu legen für zwei, drei Stunden und weiterzufahren. Notfalls musste eine Pension herhalten. Dieses "Notfalls" traf dann auch wegen des bescheidenen Wetters später so ein. Dies vorweg.

Da die Route durch die Eifel, Luxemburg und die belgischen Ardennen führte, durch einsame Landstriche mit wenig Versorgungsmöglichkeiten, musste ich mir auch dahin gehend viele Gedanken machen. Der Start war an einem Samstag um 18 Uhr. Das hieß, es ging also direkt durch die Nacht. Wo bekam ich also zu essen und zu trinken her? Das galt auf fast der gesamten Strecke. In Belgien zum Beispiel gibt es zwar 24h-Tankstellen, die haben aber meistens keinen Shop!

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Thomas Terbeck

Daher bastelte ich mir in Kleinarbeit eine Marschtabelle, die ich auf der Lenkertasche klebte. Dort konnte ich genau ablesen, wo es Verpflegung gab. Hilfreich war übrigens die App "Water-Map", die mir anzeigte, wo ich unterwegs in der Nähe öffentliche Trinkwasserstellen finden konnte. Das funktionierte prima. Einiges an Proviant, wie Gels, Elektrolyt-Tabletten, Riegel, Nüsse und Weingummi stopfte ich in zwei Food-Pouches am Lenker und einer kleinen Oberrohrtasche.

Hygiene ist bei solchen Langdistanzen immer ein Thema. In einer kleinen Tasche hatte ich nur das allernotwendigste drin. Reise-Zahnbürste, Zahnpasta, kleines Deo, Mückenpflaster, Mini-Duschgel. In einsameren Gegenden findet man dazu nicht so schnell eine Toilette. Feuchttücher und Hundekot-Beutel sind, so merkwürdig sich das auch liest, die beste Wahl, um nichts im Wald zurückzulassen und bei Lang-Distanzfahrern weitverbreitet als Notlösung. Nicht vergessen durfte ich die Tunap Sports Sitzcreme. Auch nicht jedermanns Sache, aber um Hautirritationen und Scheuerstellen zu vermeiden für mich persönlich sehr wichtig.

Umso autark, wie nur möglich, zu sein, benötigte ich genug Strom für das Licht, GPS-Navi und Smartphone. Eine Powerbank mit 30.000 mAh und eine weitere kleine mit 10.000 mAh sollte den Bedarf decken. Bei meiner Lupine-Lampe SL Nano AF packte ich einen zweiten Akku des Herstellers ein, der gegebenenfalls mit einem USB-Adapter auch wieder an der Powerbank aufgeladen werden konnte. Fehlen durften auch nicht entsprechende Ladekabel für alle Geräte.

Vorgeschrieben seitens des Veranstalters waren noch reflektierende Warnschutzgurte, die ich in der Aero-Tasche am Auflieger montiert hatte. Auch Bein- und Armlinge, sowie eine dünne Windweste fanden dort ihren Platz. Dazu hatte ich noch die Saddlebag von Jack Wolfskin, die sich bereits auf meinen Testfahrten bewährt hatte. Dort brachte ich zwei Ersatzschläuche, eine atmungsaktive Regenhose von Gore und Regenjacke, sowie eine Ersatz-Bib, ein Paar Socken und leichte Schlafkleidung unter.

Von der Kleidung her hatte ich ansonsten praktisch nur das, was ich am Körper trug. Großen Wert habe ich auf Merino-Kleidung gelegt, die auch nach einigen Tagen nicht unangenehm riecht. Sowohl Unterhemd als auch Jersey verrichteten einen guten Dienst. Die Brevet Bib Short von Rapha ebenfalls, die mir Probleme an den Gesäßhöckern verhinderte.

Für alle Eventualitäten, also im Falle einer Panne, hatte ich am Unterohr eine Werkzeugdose mit allen Dingen, die ich für die nötigsten Reparaturen unterwegs benötigen könnte. Bis hin zu Kabelbindern, C20332-Batterien, Ersatz-Akku für die elektronische Schaltung, Ersatz-Kettenglied, CO₂-Kartusche samt Ventilkopf, Kettenöl, Multitool und Einweghandschuhe. Das war mein Set-Up für das vor mir liegende Abenteuer.

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Ruben Platte

Das Utrecht Ultra in Kurzform zusammengefasst

Zwei Tage wollten meine Beine hinterher nicht mehr. Also ja, ich habe es geschafft. Der Weg dorthin war aber alles andere als einfach. Das Wetter spielte nicht gut mit, denn ich war zum Beispiel in der Eifel heftigen Regen ausgeliefert. Das Wasser stand zwei Zentimeter in meiner wasserdichten  Lenkertasche. Bis dorthin hatte ich jedenfalls 420 Kilometer in einem Rutsch gefahren. Die einzige Pause war ein Powernapping von 30 Minuten auf einer Holzbank irgendwo am Ufer der Maas gewesen. Die Anstiege in den Parcours waren eine echte Herausforderung. Die Eifel erwies sich als sehr zäh und knackig. In Luxemburg verpasste ich den CP2 und musste zwölf Kilometer zurück, um mir den dortigen Stempel zu besorgen. Mental war ich an dem Tag richtig ausgelaugt. Die steilen Rampen, die wie ein Stakkato kamen, taten ihr Übriges.

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Thomas Terbeck

Doch in den Ardennen wurde trotzdem noch eine Schüppe draufgelegt. Wenn bei weit über 20 %-Rampen das Schieben in Schlangenlinien kaum funktioniert und kein Vorwärtskommen spürbar ist, ist das mentale Tief vorprogrammiert. Ich schrie den Frust in die einsame Landschaft raus. Die Vorbereitung im Vorfeld auf genau solch mögliche Situationen rettete mich über den mentalen Kollaps. Das bewahrte mich auch vor der Aufgabe bei einem an sich harmlosen Kettenabwurf, wobei sich die Kette aber dermaßen verhakte, dass ich sie nur mit großer Mühe und mit heftigem Lackschaden am Tretlagerbereich wieder freibekam. Es war unfassbar. Doch ich kam durch diesen Tiefpunkt hindurch.

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Thomas Terbeck

Ab Maastricht stellte ich mich der eintönigen Landschaft, als wieder heftiger Regen einsetzte und ich froh war, kurz vorher ein Hotel bei Eindhoven genommen zu haben. Ich konnte mein eigenes Wort kaum verstehen, als ich mir kurz vor Küchenschluss die Ravioli einverleibte und der Regen unbarmherzig auf dem Glasdach über mir prasselte. Die letzten 126 Kilometer am nächsten Tag waren dagegen fast ein Spaziergang. Der Wind war gnädig, die Sonne kam immer mehr durch.

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Thomas Terbeck

Warmherziger Applaus im Ziel von anderen bereits angekommenen Fahrern, Helfern und anderen Leuten und überraschenderweise auch meiner Frau ließen mich etwas emotional werden. Das Gefühl kann man kaum beschreiben. Ich war stolz, es geschafft zu haben. Meine Grenzen habe ich trotz widriger Umstände weiter verschoben. Es war viel Leiden in allen Bereichen, mental nicht immer einfach, aber eine außergewöhnliche Erfahrung. Dazu die kurzweiligen Gespräche mit anderen Fahrern auf der Strecke, bevor man wieder allein unterwegs war oder auch hinterher im Ziel. Da bleibt vieles hängen.

Pannen hatte ich keine (bis auf den Kettenabwurf), das Set-Up funktionierte tadellos. All die mühevolle Vorbereitung und Planung erwies sich als goldrichtig. Von letztlich 92 Startern gaben 35 Fahrer vorzeitig auf. Ich war überglücklich, einer der Finisher zu sein.

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Ruben Platte