Gewichts-Vergleich: Scott Addict und Schmolke Leggerissima.

Rennräder unter sechs Kilo
Leichtbau-Renner

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Veröffentlicht am 26.04.2025
boxing ring with illumination by spotlights.
Foto: iStockphoto

Bereit für den großen Schlagabtausch: Wer holt sich die Leichtgewichtskrone im großen ROADBIKE-Duell? In der einen Ecke: das jüngst vorgestellte Addict RC Ultimate von Scott. Angetreten mit dem Claim, "das leichteste Serien-Rennrad der Welt" zu sein. Auf der anderen Seite steigt das Leggerissima des deutschen Carbon-Spezialisten Schmolke in den Ring. Welcher der beiden hat über den auf fünf Runden angesetzten Kampf den härteren Punch – und die besseren Argumente? Denn klar, Leichtbau ist das eine. Aber wer sehr viel Geld für solch ein exklusives Rennrad ausgibt, erwartet zu Recht ein Modell, das nicht nur in puncto Gewicht herausragt. Es muss sich auch in der Praxis als absolut durchsetzungsstark erweisen. Denn klar ist auch: Günstig kommt keiner der beiden Supersportler, die sich als Speerspitze der aktuellen Rennradentwicklung verstehen. 12 999 Euro kostet das Scott Addict RC Ultimate, das Leggerissima von Schmolke liegt mit 15 600 Euro noch einmal deutlich drüber. Wer nach dem Schlussgong die Arme nach oben reißt? Wollen wir in diesem Vergleich herausfinden. Ring frei!

Runde 1: Das Gewicht

Wie beim Profiboxen üblich, geht es für die Kontrahenten vor dem Wettkampf zum Wiegen – mit einem überraschend eindeutigen Sieger. 5,4 Kilogramm zeigt die ROADBIKE-Waage beim Schmolke an, das Scott messen wir mit 5,9 Kilogramm. Beide extrem leicht, dennoch geht das Schmolke mit einem sehr deutlichen Vorsprung von 500 Gramm ins Rennen. In einer Liga, in der die Entwickler oft um jedes einzelne Gramm ringen und feilschen, sind das Welten. Der Blick ins Detail offenbart jedoch, dass beide Räder in der Basis, also beim Rahmen, gar nicht so weit auseinanderliegen: So wiegt der Leggerissima-Rahmen in Größe M 690 Gramm, beim Addict sind es 599 Gramm. Bei der Gabel setzt sich das Addict an die Spitze: Nur 270 Gramm bringt dessen Forke auf die Waage, die des Leggerissima wiegt 350 Gramm. Es zeigt sich: Das Komplettrad von Schmolke mag leichter sein, beim Set Gewicht aus Rahmen und Gabel schiebt sich das Scott mit seiner superleichten Gabel um 180 Gramm nach vorn. Die erste Runde endet damit unentschieden.

Runde 2: Die Anbauteile

Ein Blick auf die Komponenten lässt schnell erkennen, woher der große Gewichtsvorteil des Leggerissima rührt: Während das Addict RC Ultimate fast unscheinbar-nüchtern daherkommt und beispielsweise auf eine "normale" Sram Red AXS inklusive Powermeter sowie auf einen herkömmlichen Sattel setzt, finden sich am Leggerissima einige Besonderheiten. Einzig die Dura-Ace-Di2-Bremshebel nebst -Kassette, -Schaltwerk und -Umwerfer kommen von der Stange. Als Kurbel verbaut Schmolke eine noble THM-Clavicula-SE aus Carbon, die Dächle-Bremsscheiben stammen von Trickstuff, die Fahrerin oder der Fahrer nimmt auf einem extrem dünnen Carbon TLO55-Sattel Platz, den eine runde Carbon TLO-Sattelstütze trägt. Beides aus dem Hause Schmolke. Auch bei den Laufrädern setzt Schmolke auf Eigenentwicklungen: die niedrigen Carbon TLO-37-Laufräder mit flachem Felgenprofil und 25/28 mm breiten TT-Reifen von Continental. Gewicht für das Set inkl. Reifen, Disc und Kassette: beeindruckende 1830 Gramm. Das Addict kommt mit Capital SL-Aero-Laufrädern, die mit ihren 40 mm hohen Felgen aerodynamisch besser sind. Aufgezogen sind die noch nicht offiziell vorgestellten Aerothan-Reifen von Schwalbe in 29 mm Breite. Das macht auf der Waage ebenfalls starke, 2091 Gramm. Das ergibt in Summe einen weiteren Gewichtsvorteil von 261 Gramm zugunsten des Leggerissima.

Gesteuert werden beide Räder über voll integrierte Cockpits: am Schmolke das frontale Aero-Cockpit von THM in 38 Zentimetern Breite, das nur 250 Gramm auf die Waage bringt. Einzelpreis: exklusive 1599 Euro. Am Scott ist das IC-R100- SL-Cockpit der Eigenmarke Syncros verbaut, das oben 40 Zentimeter in der Breite misst und 285 Gramm wiegt. Kleiner Nachteil bei den noblen Carbon-Anbauteilen des Schmolke: Montage und Wartung erfordern eine erfahrene Hand. Dazu den Einsatz eines präzisen Drehmomentschlüssels plus Carbon-Montagpaste, damit die empfindlichen Teile nicht überlastet werden. So darf die Vorbauklemmung nur bis maximal 3,5 Nm angezogen werden. Ein schmaler Grat zwischen "hält sicher gegen etwaiges Verdrehen" und "nach fest kommt ab". Außerdem begrenzen die Anbauteile das Systemgewicht auf 100 Kilogramm: Nix für kräftige oder sehr große Athleten. Das Scott Addict gibt sich da unkritischer (max. Systemgewicht: 120 kg). Auch seine etwas weniger grazilen Anbauteile präsentieren sich nutzerfreundlicher. Insgesamt sammelt das Leggerissima beim Gewicht der Anbauteile, vor allem mit den leichten Laufrädern, weitere Punkte. Das Scott landet hingegen mit seinem höheren zulässigen Systemgewicht und den wartungsfreundlicheren Teilen einige Wirkungstreffer, sodass ein Unentschieden auch am Ende dieser Runde steht.

Runde 3: Handling, Geometrie und Komfort

Sowohl Scott als auch Schmolke sind echte Sportler – das spürt man schon beim ersten Aufsitzen. Das Scott verlangt im direkten Vergleich eine etwas gestrecktere Sitzposition. Das Schmolke fällt – trotz nominell gleicher Rahmengröße –etwas kürzer aus. So misst der Reach beim Testbike nur 393Millimeter – rund zehn Millimeter weniger als am Addict. Hinzu kommen der beim Scott zwei Zentimeter längere Vorbau und ein vier Millimeter kürzeres Steuerrohr. So sitzt man auf dem Addict RC insgesamt aggressiver als auf dem – immer noch sportlichen – Leggerissima. In Sachen Handling sortieren sich beide Räder auf der agileren Seite ein, das Schmolke gibt sich dank der leichten Laufräder und des kürzeren Radstands sogar noch etwas quirliger. In puncto Komfort hat das Scott die Nase leicht vorn. An der Front wie am Heck flext es etwas besser, außerdem bietet Scott an, das Addict optional mit einer noch komfortableren Sattelstütze auszuliefern. Insgesamt ergibt sich in Runde 3 ein leichter Vorteil nach Punkten für das Addict.

Runde 4: Die Praxis. Teil 1: Bergauf

Endlich geht es für die beiden Renner in die Berge, ihre Paradedisziplin: Dort können die Superleichtathleten in der Praxis zeigen, was in ihnen steckt. Und wie sie das können: Das Leggerissima muss man bergauf fast einbremsen, so leichtfüßig sprintet es voran. Motto: "Je steiler, je geiler". Gerade hochprozentige Rampen fliegt das Leggerissima förmlich hinauf. Die leichten Laufräder mit den TT-Reifen von Conti erweisen sich als betörend rollwiderstandsarme Kombination, fast schon schwerelos strebt das Leggerissima nach oben. An den Füßen ist – obschon eingeklickt – irgendwie kein Gewicht zu spüren. Auch mit ordentlich Kraft auf dem Pedal im Wiegetritt erweist sich der leichte Leggerissima-Rahmen als angenehm steif und verwindet sich nicht über das für Leichtbaumodelle übliche Maß. Insgesamt eine mehr als beeindruckende Performance. Die Messlatte für das Addict liegt also hoch. Sehr hoch. Fast schon erwartbar kann es die nicht ganz überspringen. Denn das Addict fährt sich bergauf im direkten Vergleich fast unspektakulär. Klar, auch das Addict klettert herausragend, aber es fühlt sich dabei – egal ob im Sattel oder im Wiegetritt – stets absolut zuverlässig an und eben nicht wie ein Superleichtbau-Renner, der es ja zweifellos ebenfalls ist. Am Ende der Runde "Fahrerlebnis bergauf" halten die Punktrichter deshalb fest: Vorteil Leggerissima.

Runde 5: Die Praxis. Teil 2: Bergab

Auf der Passhöhe ist allerdings nur der erste Teil der Herausforderung gemeistert. Denn gerade bei solchen Leichtbaumodellen schwingt doch die Sorge mit, dass die Rahmen bei hohen Geschwindigkeiten und in schnellen Kurven Schwächen in der Steifigkeit offenbaren. Davon ist beim Addict nichts zu spüren: Es liegt trotz des superleichten Rahmens satt und sicher auf der Straße. Reifen, Laufräder und das gut zu greifende, steife Syncros-Cockpit vermitteln viel Sicherheit. Dazu kommt die angenehme Laufruhe. Auch in schnellen Kurven mit viel Schräglage lenkt das Addict präzise. Die Sram-Bremsen lassen sich perfekt dosieren, beim Verzögern aus hohen Geschwindigkeiten bleibt das Addict extrem stabil, erfordert wenig Handkraft und lässt keine Unsicherheit aufkommen, was für eine steife Gabel spricht. Konnte das Leggerissima dem Addict bergauf etliche Meter abnehmen, dreht sich bergab der Spieß um. Zwar erweist sich das Leggerissima auch dieser Aufgabe problemlos gewachsen, steuert präzise durch schnelle Kurven. Es vermittelt aufgrund der leichteren Laufräder und seines insgesamt agileren Charakters aber nicht ganz die Sicherheit und Laufruhe eines Addict. Außerdem lassen sich die Trickstuff-Discs weniger präzise dosieren. Spaß machen bergab beide klar. Doch das Addict liegt vorn.

Bjoern Haenssler

Die Entscheidung der Kampfrichter

Ein vorzeitiger K.o. gelingt keinem der Kontrahenten, es bleibt also eine Entscheidung der Kampfrichter. Wie sieht es bei der Punktewertung aus? Für das Schmolke Leggerissima spricht neben dem deutlich geringeren Kampfgewicht vor allem die extrem starke Performance bergauf: Viel leichtfüßiger kann ein modernes Disc-Rennrad nicht klettern. Verbaut ist hier zudem, was schön, edel, leicht und – leider auch – teuer ist. Das Addict RC Ultimate von Scott kommt beim Komplettgewicht mit 5,9 kg nicht ganz an das Leggerissima heran, was allerdings vor allem in den etwas schwereren Anbauteilen begründet liegt. Insgesamt fährt es sich deutlich unauffälliger – im besten Sinne. Dafür gibt es sich etwas unempfindlicher, alltagstauglicher, mit breiterer Performance-Palette. Es sichert sich so den hauchdünnen Sieg nach Punkten. Wer es sich leisten kann, bekommt mit dem Leggerissima aber ohne Zweifel eines der faszinierendsten, leichtesten Rennräder, die es aktuell zu kaufen gibt.