Das Projekt
Eine Saison lang trainiert Redakteur Moritz Pfeiffer angeleitet vom Radlabor streng nach Plan: 5–10 Stunden pro Woche im Familien- und Berufsalltag. Leistungsexplosion oder Stimmungskiller? Die Ziele: Eschborn–Frankfurt und der Granfondo La Stelvio Santini. Ein Selbstversuch zum Mitmachen.
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Noch besser in Form kommen mit diesen Tipps:
Das Dilemma
Es ist nicht so, dass ich keine Lust hätte auf ein, zwei Wochen Mallorca, Grundlagenkilometer "kurz-kurz" und Intervalle an den Anstiegen der Serra de Tramuntana. Aber für ein Trainingslager Frau und Kinder alleine lassen, um gepflegt im Süden in der Sonne Rennrad zu fahren? Und das, obwohl ich durch berufliche Termine und Wettkämpfe schon oft genug unterwegs bin? Irgendwie auch nicht fair. Gleichzeitig weiß ich aber: Die Einheiten eines Trainingslagers – also gezielte Überstunden im Vergleich zur Trainingsroutine – setzen im Formaufbau einen wichtigen Reiz, von dem man im Idealfall lange zehrt. Formzuwachs, aber Familienkrise? Oder intakter Haussegen, aber business as usual im Training? Ein Dilemma!
Die Lösung
In Absprache mit Radlabor-Coach Michi Ecklmaier integriere ich einfach zwei abgespeckte Trainingslager in den Familien- und Berufsalltag, die wichtige Trainingsreize setzen, aber deutlich weniger zeitintensiv sind. Erstens eine HIIT-Blockwoche mit mehreren hochintensiven, dafür erfreulich kurzen Trainingseinheiten auf der Rolle – abends wenn die Kinder schlafen oder tagsüber als Lunch Ride. Und zweitens im April ein dreitägiges Mini-Trainingslager in den Vogesen, um Grundlagenkilometer und Höhenmeter zu sammeln. Ein guter Kompromiss. Und drei Tage Abwesenheit sind leichter mit der Familie zu verhandeln als zwei Wochen Malle …

Überstunden ansammeln: Ein Trainingslager - egal ob im Süden oder daheim - ist ein intensiver Trainingsreiz, der über das sonst übliche Pensum hinausgeht. Wer sich danach die dringend notwendige Regeneration gönnt, verbessert die eigene Form.
Das Experteninterview: "Für einen gezielten Trainingsreiz muss man nicht ins Trainingslager fahren."
Sportwissenschaftler Michael "Michi" Ecklmaier ist Trainer beim Radlabor in München, coacht Redakteur Moritz Pfeiffer und bietet im Interview Hilfe zur Selbsthilfe.
ROADBIKE: Wie lang sollte das perfekte Trainingslager dauern?
Michi Ecklmaier: Die eine richtige Dauer gibt es für Hobbysportlerinnen und -sportler nicht, da ja bei allen die Trainingsziele, körperlichen Voraussetzungen und auch Lebenssituationen unterschiedlich sind. Wer kinderlos ist, in Teilzeit arbeitet und auf einen Triathlon trainiert, kann ein Trainingslager natürlich ganz anders gestalten als jemand, der die eigenen Sportambitionen mit Familie und Vollzeitberuf unter einen Hut bringen muss. Und Alleinerziehende stehen noch mal vor ganz anderen Herausforderungen.
Ist ein Trainingslager dennoch sinnvoll?
Der Begriff Trainingslager suggeriert, dass man dafür irgendwo hinfahren muss. Das ist aber gar nicht so. Nennen wir es lieber mal einen gezielten Trainingsreiz. Und den kann man überall setzen, auch von zu Hause aus. Und ja, sinnvoll ist so etwas auf jeden Fall! Es ist wichtig, von Zeit zu Zeit mal aus der Trainingsroutine auszubrechen, sich gezielt stärker zu fordern als üblich. Eine sehr gute Regeneration vorausgesetzt, hebt man sein Leistungsvermögen dadurch auf ein neues Niveau. Um noch mal auf die Dauer sprechen zu kommen: Länger als zwei Wochen sollte dieser Trainingsreiz im normalen Hobbysport nicht gesetzt werden – selbst dann nicht, wenn man die Zeit dafür hätte.

Sportwissenschaftler und Radlabor-Coach Michael "Michi" Ecklmaier (r.) trainiert ROADBIKE-Redakteur Moritz Pfeiffer für die Artikelserie "Training nach Plan".
Wie plane ich so etwas?
Egal ob Trainingslager im Süden oder zu Hause: Ein ordentlicher Trainingsreiz übersteigt das übliche Pensum um das zwei- bis zweieinhalbfache. Sprich: Trainiere ich regulär zehn Stunden in der Woche, dürfen es dann auch mal zwanzig bis 25 Stunden sein. Das Verhältnis gilt auch, wenn ich statt den Umfängen die Intensität steigere: Wenn ich bislang pro Woche eine, höchstens zwei intensive Einheiten absolviert habe, fahre ich in einer HIIT-Blockwoche drei oder vier, immer mit mindestens einem Ruhetag dazwischen. Hochintensiv trainiert man dann zum Beispiel montags, mittwochs, freitags oder dienstags, donnerstags, samstags und montags. An den anderen Tagen nur lockere KB-Einheiten oder Ruhetage!*
Worauf muss ich noch achten?
Zunächst sollte man einen solchen Trainingsreiz – ob hochintensiv oder auf Umfang ausgelegt – gut ausgeruht angehen. Sprich: spätestens mittwochs die letzte intensive Einheit gefahren sein, freitags und samstags noch mal je 1,5 Stunden Grundlage, am Sonntag ist Ruhetag. Dann geht’s ins Trainingslager oder in die Trainingswoche daheim. Bei Letzterem sollte man darauf achten, dass nicht ausgerechnet dann wichtige Familienfeiern oder Berufstermine anstehen. Bewusst auf Regeneration achten. Stress vermeiden. Gut schlafen. Sehr gut essen.
Wie geht es danach weiter?
Hat man das Trainingslager bzw. den Trainingsreiz daheim absolviert, sollte man Trainingsumfang und -intensität deutlich reduzieren. Eine Woche lang nur lockeres Training und aktive Erholung, erst in der zweiten Woche vielleicht einmal mit einer etwas intensiveren Einheit antesten – mehr aber nicht. Und wenn man sich noch nicht gut fühlt, man die Beine noch stark spürt oder die Herzfrequenz auffällig ist, lieber noch etwas länger "locker machen". Erst die Regeneration bringt den Formzuwachs.
Welche Fehler sollte man vermeiden?
Im Trainingslager ist die größte Gefahr, am ersten Tag zu lang oder viel zu intensiv zu fahren und gleich die Kohlenhydratspeicher komplett zu leeren. Locker bleiben, behutsam steigern, bewusst in den Körper hineinhören. Lieber gegen Ende steigern als hintenraus einbrechen! Weitere Fehler: Energiedefizite. Also bitte vor, während und nach dem Training beim Essen richtig reinhauen! Auch zu wenig Erholung ist ein häufiger Fehler. Und viel Stress unmittelbar vor und nach der freien Trainingszeit ist ebenfalls kontraproduktiv.

Decreasing-Intervalle, also Intervalle mit abnehmender Intensität, verlangen Stehvermögen: Nach einer Minute bei 125 % der FTP ist man schon ordentlich angeknockt, muss dann aber noch drei Minuten bei 105 bis 110 % durchhalten. Ein gutes Training auch für den Kopf. Gesamtdauer: 1 Stunde.

Zeit ist relativ: Denn die 30 Sekunden Belastung erscheinen überlang, während die 15 Sekunden Erholung wie im Flug vergehen. Ziel der unvollständigen Regeneration: den Puls hochtreiben, den Trainingsreiz erhöhen, die Anpassung an die Belastung auf Dauer verbessern. Gesamtdauer: 1 Std.

Haarscharf über dem Wohlfühlpunkt liegen diese langen Intervalle, die am besten als letzte Einheit eines HIIT-Blocks gefahren werden. Gesamtdauer: 1:15 Std. Bei allen Workouts gilt: auf ausreichend Kohlenhydratzufuhr vor, während und nach dem Training achten. Und bewusst regenerieren!
Die Erfahrung HIIT-Blockwoche
Meine HIIT-Blockwoche ist ein Wechselbad der Gefühle: 3 x 8 40/20-Intervalle (Workout siehe ROADBIKE 03/24 bzw. Teil 2 der Artikelserie) bringen mich schon am ersten Tag an die Leistungsgrenze – ich zweifle bereits, ob ich vier Einheiten durchhalte. Die 4 x 4 Minuten Decrease und die 3 x 8 30/15-Intervalle laufen dann jedoch fast wie von selbst – in meiner Fantasie sprenge ich schon mit Bärenkräften jedes Peloton. Als gerechte Strafe holen mich die abschließenden 3 x 8 Minuten HIIT schmerzhaft auf den Boden der Tatsachen zurück. Danach bin ich mehrere Tage platt. Aber auch stolz, zufrieden und motiviert – jedes absolvierte Workout ist ein kleiner Etappensieg. Die größte Herausforderung ist es, nicht krank zu werden, sich die dringend nötige Regeneration zu holen. Nach anderthalb Wochen Ruhe spüre ich, wie neue Kraft in die Beine einzieht. Ein tolles Gefühl!

Die hochintensiven, aber kurzen Trainingseinheiten einer HIIT-Blockwoche lassen sich sehr gut auf dem Rollentrainer durchführen. Und familienverträglich: abends, wenn die Kinder schlafen.

Zum Auftakt eines Mini-Trainingslagers kann man eine kleine Einheit zur Verbesserung des Fettstoffwechsels einbauen. Wichtig bei allen Volumeneinheiten: auf ausreichende Energiezufuhr während und nach dem Training achten. Gesamtdauer: ca. 3 bis 3,5 Std., 75 bis 90 Kilometer

Fahren kommt von fahren. Neben einem gewissen Warmup und Cool-down kommt es bei dieser Einheit lediglich darauf an, nicht in den gelben oder roten Bereich zu kommen. Ob’s gelingt, hängt auch von der Dynamik der Gruppe ab. Gesamtdauer: 3,5 bis 4,5 Stunden, 90 bis 110 km.

Kurze Sprints zu Beginn der Tour bringen Abwechslung in den Trainingstag, ansonsten gilt auch hier: ruhig bleiben, Gesellschaft und Landschaft genießen und auf regelmäßige und ausreichende Energiezufuhr achten. Gesamtdauer: 4 bis 5 Stunden, 100 bis 120 km.
Die Erfahrung dreitägiges Mini-Trainingslager
Die Idee war ja gut: Drei Tage in den Vogesen, um mit überschaubarer Anfahrt in einer schönen Landschaft viele Kilometer und vor allem Höhenmeter zu sammeln. Gemeinsam mit Redakteurskollege Eric, Fotograf Björn und ROADBIKE-Leser Christoph, der diese schöne Tour zur ROADBIKE-Tourensammlung beigesteuert hat und zum Trainingspartner von Eric rund um Frankfurt geworden ist. Ein gutes Team, um gemeinsam in den Vogesen an der Form zu feilen.
Am Wochenende vor und am Wochenende nach unserem Aufenthalt hätte man das auch gut tun können. Just an dem von uns ausgesuchten Termin vom 19. bis 21. April sorgten vorgezogene Eisheilige jedoch für epische Bedinungen: niedrige einstellige Temperaturen, starker Wind, Schnee, Regen, Graupel und alles dazwischen sowie nur hin und wieder mal ein paar sonnige Momente.

Die Vogesen zeigten sich wettertechnisch von ihrer herausfordernden Seite.
Radlabor-Coach Michi Ecklmaier hatte die Idee entwickelt, aus dem Mini-Trainingslager in den Vogesen und einigen Einheiten in der Woche davor einen Block mit etwas größeren Umfängen zu basteln. Falls es jemand nachtrainieren möchte:
- Sonntag, 14. April: 5 Stunden mit 6x 10min K3 (GA2 mit Trittfrequenz 50-55 am Berg)
- Montag, 15. April: 1 Stunde KB
- Dienstag, 16. April: 2,5 Stunden mit 2 Serien á 5x 3min EB
- Mittwoch, 17. April: 45 Minuten KB
- Donnerstag, 18. April: Ruhetag
- Freitag, 19. April: Mini-Trainingslager Tag 1 = 3,5 Stunden mit ca. 1500 Höhenmetern
- Samstag, 20. April: Mini-Trainingslager Tag 2 = 4,5 Stunden mit ca. 2500 Höhenmetern
- Sonntag, 21. April: Mini-Trainingslager Tag 3 = 3,5 Stunden mit ca. 2000 Höhenmetern
Lexikon: Die wichtigsten Begriffe fürs Rennradtraining verständlich erklärt
Die Einheiten zu Hause fanden alle wie geplant statt, und unter den gegebenen Umständen haben wir in den Vogesen das Beste rausgeholt. Dreieinhalb Stunden im strömenden Regen waren es am Freitag mit immerhin 1400 Höhenmetern, unter anderem über den Col Amic und Col du Hundsruck. Und satte 5:45 Stunden mit 2250 Höhenmetern am Samstag: Über Geishouse kletterten wir auf einem asphaltierten Radweg mitten durch den Wald zum Col du Haag unterhalb des Grand Ballon – die letzten anderthalb Kilometer auf geschlossener Schneedecke mit durchdrehenden Hinterrädern. Aufgrund von Webcam-Aufnahmen hatten wir uns der Illusion hingegeben, die Vogesen-Höhenstraßen Route des Crêtes sei geräumt. Fehlanzeige, dreißig Zentimeter Schnee auf der Fahrbahn.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Die Reisegruppe mit Redakteur Eric, Fotograf Björn, Kumpel und ROADBIKE-Leser Christoph und Redakteur Moritz am Col du Haag unterhalb des Gipfels des Grand Ballon.
Der guten Laune tat das keinen Abbruch, teils zu Fuß, teils mit blockierenden Hinterrädern ging es zurück ins Tal und entlang des Flusses Thur hinauf zum Col du Bramont – erfreulicherweise auf schneefreien Straßen und bei Sonnenschein. Oben drehten wir um und fuhren am malerischen Lac de Kruth entlang, um mit Col d'Oderen und Col du Page zwei weitere Pässe unter die Reifen zu nehmen. Bei der Abfahrt vom Page und der kurzen Passage zum Col de Bussang erwischte uns dann leider ein Graupelsturm – pitschnass und eiskalt ging es nun nur noch darum, die Ferienwohnung in Thann zu erreichen.
Tag 3 war dann mit 1,5 Stunden und "nur" 520 Höhenmetern kürzer als gedacht, da im Schneeregen bei der erneuten Auffahrt auf den Col du Hundsruck die mentale Schmerzgrenze erreicht war und wir auch früher als gedacht aus unserer Unterkunft raus mussten. Spaß gemacht hat's trotz aller Widrigkeiten – und seien wir mal ehrlich: Unseren Enkeln erzählen wir sicher eher von einer verrückten Schneetour am Grand Ballon als von einem perfekten Trainingslager irgendwann damals...

Grün und trocken war es zwischendurch auch - zumindest kurzzeitig.
Nun wartet die nächste Phase des Experiments "Trainieren nach Plan" mit Unterstützung des Radlabors: die konkrete Aufbauphase für den Radmarathon. Bei hoffentlich besserem Wetter... ;-)

Die Vogesen rund um den Grand Ballon haben uns sehr beeindruckt - und sind ein attraktives Rennradrevier. Vermutlich noch mehr bei angenehmeren Witterungsbedingungen...