"Fahr doch mal mit beim Sportful Dolomiti Race, und wir machen eine Reportage darüber", hatte Moritz gesagt. Klar, warum nicht? Bislang hatten sich alle Anfragen, die von der ROADBIKE-Redaktion kamen, als interessant erwiesen: Fotoshootings, Materialtests, kleinere Berichte von Events. Diesmal werde ich nach getaner Arbeit aber per WhatsApp ein Selfie an Moritz schicken, das mich völlig zerstört zeigt. Ungläubig, kopfschüttelnd, schmerzgeplagt: "Was hast du uns angetan?" Das Sportful Dolomiti Race ist eine echte Hausnummer. Das habe ich auf die harte Tour gelernt!

Dieses Selfie verschickt Emilia unmittelbar nach Erreichen des Ziels beim Sportful Dolomiti Race mit folgendem Text: "Moritz, was hast du uns angetan?" Redakteur Moritz Pfeiffer plagt daraufhin (kurzzeitig) ein schlechtes Gewissen.
Es gibt viele Anekdoten zu erzählen von meiner Teilnahme 2025. Die erste hat leider nie stattgefunden: die gewissenhafte Recherche, was mich eigentlich genau erwartet. Vielleicht habe ich Moritz einfach vertraut, als er mir vorschwärmte, das Sportful Dolomiti Race sei eine lohnende Veranstaltung. Ich kannte nur die Rahmendaten: Start und Ziel in Feltre, gelegen in der norditalienischen Provinz Belluno; 204 Kilometer mit 5000 Höhenmetern, verteilt auf sechs Dolomitenpässe. Nichts, was man mal so eben nebenher fährt, aber trotzdem machbar. Alles in einem eher überschaubaren Ambiente, so meine Vorstellung.
Als mein Freund Tobi und ich zwei Tage vor dem Event in Feltre ankommen, über die riesige Expo wandern und inmitten von vielen Hundert Gleichgesinnten unsere Startnummern abholen, schwant mir erstmals, dass das hier vielleicht doch eine etwas größere Nummer ist. Erst im Anschluss habe ich recherchiert: 1995 erstmals ausgetragen, hat sich der Gran Fondo in Feltre zu einem der größten und beliebtesten in ganz Italien entwickelt – vielleicht weil er so beinhart ist und jährlich viele Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer anlockt? Klar, die Maratona dles Dolomites ist noch größer, aber Vergleiche mit dem Ötztaler Radmarathon drängen sich auf. Seit 2009 ist die in Feltre ansässige Bekleidungsmarke Sportful Namenssponsor.

Startaufstellung frühmorgens in Feltre - doch ein größeres Event als erwartet...
Die Strecke variierte im Lauf der Jahre. Führte mal über mächtige Dolomitenpässe wie Manghen und Rolle, mal – wie aktuell – über weniger namhafte, dafür landschaftlich herausragende Geheimtipps in den südlichen Belluneser Dolomiten. In diesem Jahr führte die Strecke unter anderem über Forcella Staulanza, Passo Duran und Passo Cereda. Fester Bestandteil seit Jahren: der Croce d’Aune, Hausberg von Feltre. Der Legende nach entwickelte Tullio Campagnolo hier 1924 die Idee für den ersten Schnellspanner, weil er bei einem Rennen wegen kalter, klammer Finger die Flügelmuttern am Hinterrad kaum öffnen konnte. An der Passhöhe erinnert heute ein fast drei Meter hohes Denkmal an diese Episode.

Der Gran Fondo in Feltre – zwischen Trento und Venedig gelegen – sammelt in den Belluneser Dolomiten ordentlich Höhenmeter. Die Pässe sind zwar weniger namhaft als bei anderen Events, dennoch wunderschön, schmal und nicht zu steil. Die Straßen sind vollständig gesperrt bzw. gesichert, überwiegend sind Einheimische am Start. 2026 findet das Sportful Dolomiti Race am 21. Juni statt.
Technisches Ungemach ereilt auch mich – beim Aufbau meines Renners bemerke ich, dass eine Speiche meines Hinterrades gebrochen ist. Statt darauf – wie Tullio Campagnolo – mit einer genialen, weltverbessernden Erfindung zu reagieren, entscheide ich nach einer kleinen Proberunde, mein Ersatzlaufrad auf Tubeless umzurüsten. Schlechte Idee – keine Experimente unmittelbar vorm Rennen, never change a running system! Denn wie im Nachhinein nicht anders zu erwarten, klappt das Set-up nicht. Mehr als einmal rutscht der Reifen mit lautem Knall zurück ins Felgenbett – die schon eingefüllte Dichtmilch spritzt in alle Richtungen durch unsere Ferienwohnung.
Mitten in der Nacht geben wir auf und suchen stattdessen am Samstagmorgen einen ortsansässigen Fahrradladen auf. Die Problematik bleibt die gleiche: Auch der Fachmann mit Tubeless-Booster sprenkelt seine Werkstatt mehrfach mit Dichtmilch – und quittiert es mit vermutlich nicht jugendfreien italienischen Flüchen. Für Außenstehende sicher ein amüsantes, weil reichlich absurdes Bild: ein störrischer Tubeless-Reifen, der nicht daran denkt, am Felgenhorn einzurasten, ein verzweifelter Mechaniker und eine zunehmend um ihre Teilnahme besorgte Rennradfahrerin, die mithilfe von Händen, Füßen und ChatGPT zu kommunizieren versucht. Irgendwann hält das Set-up dann doch. Mit unzähligen "Scusa, per favore" und "Grazie mille" trete ich den Rückzug an und lasse den bedröppelt aussehenden Mann in seiner nun auffällig nach Dichtmilch riechenden Werkstatt zurück.

Beim Sportful Dolomiti Race führen die Straßen verdammt oft bergauf. Wenn dies - wie 2025 - bei weit über 30 Grad der Fall ist, wird die Teilnahme zur Härteprüfung.
Es wartet eine weitere skurrile Anekdote: der Social Ride. Peter Sagan und Paolo Bettini, zwei Markenbotschafter von Sportful, haben am Vortag des Gran Fondos zu einer gemeinsamen Ausfahrt geladen. Und ein Riesenpeloton von sicherlich 400 Rennradfahrerinnen und -fahrern ist gekommen. Anhand der Menschentraube, die sich um die beiden Ex-Profis bildet, weiß man zwar immer genau, wo die sich gerade befinden – doch trotz Führungs- und Schlussfahrzeug verfährt sich ein Teil der Gruppe, andernorts artet die Ausfahrt in ein Rennen aus, am Ende kommen nur 15 Leute gleichzeitig mit Sagan und Bettini wieder in Feltre an. Immerhin: Tobi und ich sind dabei, und ich bekomme ein Foto mit dem Dreifach-Weltmeister Sagan.

ROADBIKE-Testfahrerin Emilia Welte mit Ex-Weltmeister Peter Sagan nach dem Social Ride in Feltre.
Wenn ich noch irgendwelche Zweifel an der Größe des Sportful Dolomiti Race hatte, werde ich am Wettkampftag endgültig eines Besseren belehrt: Über 3000 Heißsporne warten auf der Via Guglielmo Marconi im Schatten der Stadtmauer auf den Startschuss. Soweit mein Auge reicht: nur Rennradfahrerinnen und -fahrer. Viele in Renneinteilern, auf teuren Maschinen, mit gerade mal ein bis zwei Gels in der Trikottasche. Ich stecke in meinen normalen Klamotten, bin mit 14 Gels beladen, habe wohl als Einzige ein Rücklicht montiert, dazu zwei schwere Trinkflaschen am Rad. Schon jetzt brennt die Juni-Sonne unbarmherzig auf uns nieder.
Ein Knall – zum Glück nicht schon wieder mein Hinterradreifen, sondern der Startschuss. Das Peloton setzt sich in Bewegung und wird von einer vierspurigen Straße gleich durch ein Nadelöhr über Kopfsteinpflaster geführt. Flaschen fliegen aus den Haltern, aufgeregte Rufe, Ziehharmonikaeffekt – nicht ungefährlich. Schließlich sind wir raus aus Feltre, das Tempo geht hoch. Sehr hoch.

Hektische Startphase: Emilia investiert früh viel Kraft, um so weit wie möglich nach vorne zu kommen.
Ich will so weit wie möglich nach vorn, um dem Gedrängel aus dem Weg zu gehen, also investiere ich früh so manches Korn. Tobi fährt sein eigenes Tempo und bleibt zurück – so ist es abgesprochen und erprobt bei vielen Marathons, bei denen ich auf Ergebnis fahren will. Ganz nach vorn in die Spitzengruppe, in der sich vier Fahrerinnen behaupten können, wie ich später erfahre, schaffe ich es nicht. Aber ein paar Frauen befinden sich auch in der zweiten Gruppe, in der ich mitfahre. In hohem Tempo geht es über einige Wellen Richtung Nordosten, dann hinein in den ersten Anstieg – die Forcella Franche. Und schon auf diesem ersten 500-Höhenmeter-Anstieg zeigt sich: Das wird fies heute. Spaß zwei. Wegen des Tempos. Und wegen der Hitze: Obwohl es noch früh am Tag ist, klettert die Temperaturanzeige auf meinem Computer bereits unaufhaltsam Richtung 30 Grad. Bald darüber hinaus. Umso wichtiger, sich kontinuierlich mit Wasser einzudecken.
Jetzt zeigt sich: Einige Männer in meiner Gruppe fahren für eine Frau. An Verpflegungsstellen hält sie nicht an – ihre Begleiter besorgen ihr Getränke, Riegel, Gels. Ich muss in aller Eile meine Flaschen selbst auffüllen, um anschließend die entstandenen Löcher wieder zuzufahren.

Das Sportful Dolomiti Race führt durch die malerischen Belluneser Dolomiten - über manchen weniger bekannten, dafür umso schöneren Pass.
Man muss dazu wissen: Ich habe panische Angst vor Magenkrämpfen auf dem Rad. Deshalb experimentiere ich auch nie mit den Riegeln und Gels, die Rennveranstalter anbieten, sondern nehme lieber alles mit, was ich brauche. Auch Salztabletten. Vor allem an so heißen Tagen. Was ich noch nicht weiß: Schon an der ersten Verpflegungsstelle verliere ich meine Salztabletten, als ich leere Gelpackungen aus meinem Trikot ziehe und in den Mülleimer werfe. An der zweiten Verpflegungsstelle, auf der Forcella Staulanza – mit 1766 Meter der höchste Pass des Tages –, suche ich fieberhaft meine Trikottaschen ab. Erkenne die Tragödie und möchte am liebsten losheulen.
Zwar kann ich in der Abfahrt das Loch zu meiner Gruppe wieder schließen, doch im nächsten Anstieg – Passo Duran, der steilste Pass des Tages – kommt es, wie es kommen muss: Nach über 100 Kilometern in wahnwitzigem Tempo, bei mittlerweile 37 Grad, dehydriert, mit Salzkrusten an Trikot und Hose kriege ich die Krämpfe meines Lebens. Ich rette mich zur Verpflegungsstelle auf der Passhöhe und in die Abfahrt, doch am Fuß der 700 Höhenmeter zur Forcella Aurine bin ich verzweifelt. Noch drei Pässe. Wie soll ich das überstehen?

Bei der großen Hitze besonders wichtig: regelmäßiges Trinken und Nachfüllen der Flaschen.
Ich muss das Tempo komplett rausnehmen, bringe kaum noch richtig Druck aufs Pedal. Trete ich zu stark, krampfen sofort die Beine. In Ermangelung der Salztabletten erhöhe ich die Zufuhr an Gels – auch wenn das heißt, nicht mit meinen eigenen Vorräten bis ins Ziel in Feltre zu kommen. Und ich fange an, mir selbst gut zuzureden: "Einfach entspannen, mental nicht reinsteigern, dann geht’s schon." Ich würge mich regelrecht den Berg hoch, nach 150 Kilometern kann ich nicht mehr geradeaus gucken – noch nie war ich so fertig auf dem Rennrad.
An der nächsten Verpflegungsstelle überwinde ich meine Bedenken und decke mich mit Riegeln, Gels und Pulver ein. Produkte, die ich nicht kenne. Und wäge ab: Krämpfe in den Beinen und vielleicht aufgeben müssen oder mögliche Bauchkrämpfe, aber aus eigener Kraft wieder in Feltre ankommen.
Doch ich habe Glück: Mein Magen rebelliert zwar etwas, doch die Krämpfe in den Beinen werden weniger, in Ansätzen kriege ich wieder Druck aufs Pedal. Und ich erkenne: Allen um mich herum geht es ebenfalls richtig dreckig – Hitze und Höhenmeter fordern ihren Tribut. Bis zum letzten Anstieg – besagtem Croce d’Aune – bin ich wieder halbwegs hergestellt.

An der Passhöhe des Croce d'Aune gilt: nur noch bergab ins Ziel. Fast.
Noch mal zwölf Kilometer und 600 Höhenmeter. Mental entwickle ich eine "Ich-habe-nichts-mehr-zu-verlieren"-Stimmung – und drücke wieder kräftiger in die Pedale. Die Gruppe fliegt nach und nach auseinander. Und – was für eine Genugtuung – auch die von so vielen Männern unterstützte Konkurrentin sehe ich plötzlich wieder. Ihr geht es ganz offensichtlich nicht gut. Bald ist sie hinter mir verschwunden.

Die letzten paar hundert Meter führen noch einmal steil hinauf ins Stadtzentrum von Feltre - ein letzter Kraftakt.
Die größte Gemeinheit wartet in Feltre. Nicht unten an der Stadtmauer, wo wir gestartet sind, rollt man ins Ziel – sondern am Ende einer 400 Meter langen, zehn Prozent steilen Kopfsteinpflasterpassage rauf zur Piazza Maggiore. Oben hinter der Ziellinie falle ich vom Rad, sinke auf den Boden, meine Beine zucken, ich habe keine Kontrolle mehr. Es dauert lange, bis ich wieder halbwegs zu mir komme. Ich sehe andere gezeichnete Gestalten zombieähnlich die Ziellinie überqueren. Massiere meine schmerzenden Beine. Schicke besagtes WhatsApp-Selfie an Moritz: "Was hast du uns angetan?"
Doch je länger ich sitze und mich erhole, desto entspannter wirken die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die reinkommen. Ich rekapituliere noch einmal. Vielleicht habe ich mich einfach viel zu früh aus dem Leben geschossen, bin das Event zu aggressiv angegangen. Dazu das Pech mit den Salztabletten, die Hitze. Plötzlich erinnere ich mich an perfekt abgesperrte Straßen, an Volksfeste in den Dörfern, klatschendes Publikum, Familien mit Kindern, Menschen, die auf E-Bikes neben uns hergefahren sind, um uns mit kaltem Wasser zu überschütten. An die freundlichen Helferinnen und Helfer an den großzügig ausgestatteten Verpflegungsstellen. Ich erinnere mich, dass immer ein Sanitäter-Motorrad in meiner Gruppe dabei war, dazu eine weitere Maschine mit Mechaniker. Ich sehe die Gebirgsseen wieder vor mir, an denen wir vorbeigefahren sind. Die kaum berührte Natur hier in den südlichen Dolomiten, schmale, nicht zu steile Passsträßchen. Fantastische Ausblicke auf mächtige Felsformationen, Wiesen und Wälder ...

Emilia beim Überqueren der Ziellinie in Feltre.
Tobi kommt ins Ziel, gut 30 Minuten nach mir. Erstmals kommt mir in den Sinn, die Ergebnisse zu checken. Ich bin als fünfte Frau ins Ziel gekommen, meine Altersklasse habe ich gewonnen, Gesamtrang 194 von 1403, die es auf der Langdistanz ins Ziel schaffen. Knapp 1500 finishen zudem den Medio Fondo über 100 Kilometer, viele haben bei diesen Bedingungen aber auch aufgeben müssen.
Als wir zu unserer Ferienwohnung rollen, diskutieren Tobi und ich über das Erlebte. Ein empfehlenswertes Event? Auf jeden Fall! Sehr italienisch. Sehr echt. Sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Und sehr erlebnisreich und lohnenswert. Umso mehr, wenn man es in mancher Hinsicht entspannter angehen lässt als ich an diesem Wochenende.





