Jedes Ding hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische.“ Das Positive an München sind seine beiden Fußballclubs, das Negative die Mietpreise und das Komische Karl Valentin (1882 bis 1948) selbst. Der Urvater aller bayerischen Komiker – und neudeutsch: Comedians – war ein echter Münchner. Und ein unfreiwilliger Downhiller. Im Sketch „Der Radfahrer“ moniert ein Schutzmann an seinem Fahrrad die Ziegelsteine auf dem Gepäckträger. Seine Antwort: „Gestern in der Früh ist so ein starker Wind gegangen, da hab ich die Steine nicht dabeigehabt. Ich wollt’ nach Sendling ’nauffahren, daweil bin ich nach Schwabing ’nunterkommen.“ Mit seinem unnormalen Unsinn deckte der Valentin („Nenn mich nicht Walentin! Du nennst ja auch nicht deinen Vater Water!“) das Absurde des Alltags auf. Dabei kam er gar nicht aus Absurdistan, sondern aus dem Münchner Vorort Au.
Trailsurfen vor den Toren der Weltstadt

Apropos Vorort: Ob Au, Schwabing oder Sendling – 70 Jahre nach Valentin hat sich die Stadt ihre Vororte längst einverleibt. Böse Zungen sehen München gar nicht als Weltstadt, sondern als Ansammlung Dutzender Dörfer. Ein echter Giesinger geht in die Grünwalder Straße zum Fußball. Nicht in die Arroganz-Arena im Norden. Punkt. Wer es anders als der Valentin von Sendling nicht nach Schwabing, sondern nach Süden ’nunterrollen lässt, der kommt zum Tierpark Hellabrunn. Hier in den Isar-Auen leben über 750 verschiedene Tierarten, fein säuberlich nach Lebensräumen getrennt. Hier vergnügen sich auch Münchens „Nackerte“ auf den sommerwarmen Kieselsteinstränden der Isar – und Münchens Mountainbiker auf den sogenannten „Isartrails“.
Am Tierpark Hellabrunn startet und endet dieses wilde Gewirr aus schmalen Wegerln, welches sich an beiden Ufern der Isar entlang bis zum Kloster Schäftlarn windet. Das Feine: Ob Klapprad-Tourist oder Cross-Country-Profi, ob Gravel- Nerd oder Downhill-Junkie, ob Vorschulknirps oder E-Bike-Opi – auf den Isartrails im Süden der selbsternannten „Weltstadt mit Herz“ schlägt jedem Zweiradfan das Herz höher.
So wie das von Tino Kässner. Der radelt mit nur einem Bein schneller als 99 Prozent der Menschheit mit zwei. Und trainierte z. B. für das Cape- Epic-Rennen in Südafrika hier im Münchner Süden. „Unglaublich: Keine fünf Kilometer Luftlinie vom Stachus entfernt, und du bist mitten im Wald! Ich kenne keine Großstadt, in der man so gut trainieren kann. Und so viel Spaß dabei hat!“, sagt der 44-jährige Bikeprofi aus Murnau.
Am liebsten startet und beendet er seine Trainingsfahrten an der Isarbrücke in Grünwald. Hier an den legendären „Bombenkratern“ gingen einst BMXer und Dirtbiker in die Luft, bevor die Kicker anno 2009 von der Stadtverwaltung geplättet wurden. Auch der sagenhafte „Elefantenrücken“ – ein dickes Betonrohr, auf dem Wagemutige drei Meter hoch über ein fast schwarzes Schlammloch balancieren – ist (offiziell) illegal.
Per Bike auf den Heiligen Berg der Bayern

Hundert Prozent legal dagegen ist in München die Sauferei! Durstlöscher wie Augustiner, Spaten, Franziskaner, Hacker-Pschorr, Paulaner, Hofbräu und Löwenbräu brauen hier nach dem Münchner Reinheitsgebot – auch wenn meistens ausländische Großbrauereien die Hand am Zapf- und Geldhahn haben. Die Welthauptstadt des Bieres feiert sich in Form einer alljährigen Großlöschübung namens „Oktoberfest“. Auf der Wies’n kostet die Maß Bier um die 11 Euro. Letztes Jahr wurden 7 500 000 Liter ausgeschenkt ... Wer dem Promilletrubel entwischen möchte, der pilgert besser zum Heiligen Berg der Bayern. Hinauf zum Kloster Andechs, das hoch über dem Ammersee thront. Wenn nicht gerade „Kiwi-Tag“ ist, an dem sich Hunderte von Neuseeländern die Kehlen vor dem eigentlichen „Beer-Festival“ vor- feuchten, ist es hier oben meist recht „griabig“, wie der echte Münchner zu sagen pflegt.
Gemütlich ist auch die Andechs-Acht von Thomas Strobl. Der ist 48, kommt aus Oderding und kümmert sich beruflich um Lippenstifte. In seiner Freizeit macht er mit seinen Kumpels aus der Lenggrieser Bike-Community die Trails im Aostatal unsicher – oder geht auf zweirädrige Pilgerfahrt nach Andechs, Bayerns ältestem und (nach
Altötting) zweitwichtigstem Wallfahrtsort. „Hier oben hat man einen Wahnsinnsausblick in die Bayerischen Alpen. Und das Feierabendbier schmeckt im Biergarten des Bräustüberls doppelt gut“, schwärmt Thomas von seiner Lieblings- Mountainbiketour im Münchner Süden. Aber zuerst der Spaß, dann das Vergnügen! Vom Wanderparkplatz zwischen Pähl – dem Heimatdorf von Fußballer Thomas Müller – und Herrsching geht es erst einmal runter zum See. Zum Dampfersteg und zur bronzenen Meerjungfrau, die am Ammerseestrand auf einem Waller sitzt. Danach kurbelt er schön (und) steil hoch zum Heiligen Berg der Bayern. Und zum obligatorischen Einkehrschwung zwischen Weihwasserfläschchen, Bierkrügen und Papstbiografien. Schnell weiter! Zur Buße fährt Thomas gerne noch durchs hügelige Hinterland zwischen Ammer- und Starnberger See, bevor sich die Runde wieder schließt. Vielleicht befindet sich der Himmel der Bayern gar nicht im Hacker-Pschorr-Festzelt auf der Wies’n, sondern hier oben über dem Ammersee?
Lenggries: Bikepark oder Hüttentour?

Oder in Lenggries. Das hat zwar nur rund 8500 Einwohner, gehört aber zu den flächenmäßig größten Gemeinden Deutschlands. Lenggries kennt man gemeinhin als Skifahrerdorf mit der höchsten Weltklassedichte überhaupt. Michaela Gerg-Leitner, die Geschwister Ertl – Martina und Anderl –, die „wilde Hilde“ und ihre Cousine Annemarie Gerg stammen alle aus Lenggries. Wettergegerbte Bauernhöfe, die sich rund um den Zwiebelturm der Barockkirche ducken, überragt vom Brauneck, dem skiweltcuperprobten Hausberg – das Dorf ist Oberbayern aus dem Bilderbuch. Und mittendrin wohnt Tobi Krause. Der 39-Jährige, Typ „Michel-aus-Lönneberga-in-groß“, ist ein „Zuagroaster“, ein Zugezogener, aus dem Sachsenland. Seit fünf Jahren lebt er mit Frau und zwei Kindern in Lenggries. Warum hier? „Meine Frau arbeitete in München, ich 13 Jahre im Allgäu – da lag Lenggries genau in der Mitte!“ Bereut hat der Fahrtechniktrainer und Reiseveranstalter seinen Umzug nie. Wie auch, bei diesen Möglichkeiten? Gleich nebenan kann er im Bikepark mit seinen Kunden an deren Fahrtechnik feilen. Und von daheim auf 2000-Höhenmeter-Alpintouren Richtung Benediktenwand oder miten hinein ins Mangfallgebirge starten. „Die Vielseitigkeit macht’s. Und die Nähe zu München.“ Eine seiner Lieblingstouren führt von daheim aus rund um den Fockenstein. Mit gut 1200 Höhenmetern eine mittelschwere Biketour – außer man schwingt sich wie Tobi heute mal aufs E-MTB. Dann verliert auch der lange Anstieg zum Hirschtalsattel jeglichen Schrecken. „Wenn es schnell gehen muss, dann ist das E-Mountainbike einfach ideal“, sagt der Bikelehrer. Und düst hinüber zur gemütlichen Aueralm. Hier, im Mangfallgebirge zwischen Isar und Tegernsee, kann man sich vor Almen gar nicht mehr retten. Wer wie Tobi weiter zur Holzeralm will, kommt auf dem Weg durch das Hochmoor an der Nesselscheibe sogar in den Genuss eines kurzen, aber dafür umso knackigeren Trails. Der Rückweg vom Tegernsee über Gaißach nach Lenggries ist dann nur noch Kür.
Hirschberg statt Elefantentreffen

Ob Strauß, Streibl, Stoiber, Seehofer oder Söder: Für jeden gestandenen bayerischen Ministerpräsidenten war die Klausurtagung der CSU in Wildbad Kreuth die Pflichtveranstaltung. Pflicht für Bernd Hassmann dagegen ist „sein“ Hirschberg. Der thront knapp 1000 Meter über Wildbad Kreuth und dem Tegernsee. „An dem Berg kann ich einfach alles machen: von der schnellen Freitagabend-Runde übers Biwakieren an Silvester bis zum Ausprobieren neuer Abfahrten“, sagt der 34-Jährige. Der Münchner arbeitet bei Specialized und gehört seit vier Jahren dem kleinen Kreis der „Flow-Valley-Jungs“ rund um den Lenggrieser Robert Werner alias „Oidwirt“ an. Klar also, dass Bernd am liebsten an technischen Trails herumbastelt, bis er sie fahren kann. Sein Motto: „Wenn Trail und Wetter passen, super! Wenn nicht, macht auch nichts – Hauptsache draußen!“ Diese Einstellung ist ganz im Sinne von Karl Valentin: „Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“
