Nina Graf: Genau, seit dem 01.01. fahre ich für das französische Team Lapierre Racing Unity. Und es fühlt sich schon richtig nach einer Einheit an. Wir hatten das erste kleine "Get-Together" im Oktober in Kanada, gefolgt von einem Teamtreffen im HQ von Lapierre in Dijon,Frankreich. Das ist eine wichtige Zeit aktuell, denn jetzt lerne ich den Staff, die Teamkolleg*innen, aber auch die Strukturen im Team kennen. Darauf kann man dann aufbauen, denn wir werden in den nächsten zwei Jahren viel Zeit miteinander verbringen. Die Professionalität und die Weitsicht haben mich auf jeden Fall schon begeistert.

Ab 2025 mit Lapierre auf der Brust: Nach zwei Jahren auf Felt bzw. Superior und drei Jahren auf Scott wird Nina Graf 2025 und 2026 u. a. auf dem Lapierre XR unterwegs sein.
Auf jeden Fall. Freiburg ist einfach genial – privat, sowie beruflich. Es gibt so viele coole Trails und schöne Rennradstrecken, man kann in die Berge, man kann aber auch in der Rheinebene in flachem Terrain fahren, im Winter kann man morgens oben im Schwarzwald Langlaufen und mittags unten im Tal aufs Bike hüpfen. Und dann ist da natürlich noch der Olympiastützpunkt mit Kraftraum und Physiotherapie-Angeboten. Und wenn ich mal nicht auf dem Rad sitze, gibt es in Freiburg viele Möglichkeiten, abzuschalten und das Leben zu genießen. Freiburg ist einfach genau mein Vibe!
Steckbrief: Über Nina Graf
Nina Graf ist längst kein unbeschriebenes Blatt mehr, wenn auch ihre EM-Medaille in Rumänien 2024 erst der endgültige Durchbruch war: 2020 fuhr sie für das JB Brunex Felt Team und gewann ihren ersten Deutschen Meistertitel, in dem Jahr noch in der U23. 2022 wechselte sie nach weiteren Erfolgen und Fortschritten ins Lexware Mountainbike Team. In den folgenden drei Jahren folgten nicht nur Höhepunkte, sondern auch zwei Verletzungen.
Doch 2024 war es dann soweit: Nina hat sich in der Weltspitze der Cross-Country-Mountainbikerinnen etabliert, gewint EM-Bronze im XCO in Rumänien, startet bei Olympia und gewinnt vier deutsche UCI-Rennen. Derzeit ist sie 29. der Weltrangliste (Stand 07.01.2025). Auch abseits des Sports läuft es bei ihr: Nach der Ausbildung zur Bankkauffrau begann sie ein VWL-Studium in ihrer Wahlheimat Freiburg. Aktuell ist Nina Mitglied der Sportfördergruppe der Bundeswehr und hat einen Zweijahresvertrag (2025/26) bei der französischen Equipe Lapierre Racing Unity unterzeichnet.
Schwierige Frage. Der Gewinn meiner EM-Bronzemedaille ist noch immer ein unbeschreibliches Gefühl. Das war einfach das absolut wildeste Rennen. Kalte Temperaturen, schwierige Bedingungen auf der Stecke durch den ganzen Regen und Blindflug auf der letzten Runde, weil ich absolut nichts mehr gesehen habe mit meinem rechten Auge. Aber auch die Betreuer, die sich für uns in der Tech- & Feedzone ihren Hintern abgefroren haben. In einem so harten Rennen meine erste internationale Einzelmedaille einzufahren, macht mich mega stolz und glücklich. Das war ein Sahne-Tag! Und die Medaille hat natürlich ein dickes Ausrufezeichen hinter meinen Namen gesetzt. Wichtig als Empfehlung für potentielle Teams, aber auch im Hinblick auf die Qualifikation für Paris.

Vom Traum zur Qualifikation. Von der Quali zur Nominierung. Von der Nominierung nach Paris. Hier sitzt Nina vor dem Rennen in den olympischen Ringen im Olympischen Dorf, das sie mit den Herren-Startern Julian Schelb und Max Brandl besuchen konnte.
"Olympia war der Grund, warum ich meinen Kopf nicht in den Sand gesteckt habe."
Du hast dich dann nicht nur qualifiziert, sondern wurdest auch für Olympia nominiert.Ja! Ein Lebenstraum, der in Erfüllung ging. Das Gefühl, als ich mit dem Zug nach Paris gefahren bin, war unbeschreiblich. Ein Gefühl von Stolz, Vorfreude und Neugierde, was mich dort in den nächsten sieben Tage erwarten würde. Die olympische Ziellinie in Paris zu überqueren, war mein Antrieb der letzten drei Jahre. Das war der Grund, warum ich Tag täglich bei jedem Wetter raus bin und mein Training durchgezogen habe. Das war der Grund, warum ich meinen Kopf nach meinem Sprunggelenksbuch 2022, während einer äußerst durchwachsenen Saison 2023 und während der Knieverletzung im Frühjahr 2024 nicht in den Sand gesteckt habe. Ich hatte Menschen um mich herum, die an mich geglaubt haben. Also habe ich auch an mich geglaubt und immer weiter gemacht. Die olympische Ziellinie als 16. überquert zu haben, in einem Zielsprint, den ich sogar gewonnen habe, ist ein ganz großes Highlight meiner Saison 2024. Zu meinen Olympia-Highlights gehört aber auch, dass ich mit meinem Mann, meinen Eltern und meinen Freunden danach auf den Eifelturm gestiegen bin, dass wir zusammen einen Moment innegehalten haben und realisiert haben, was da an dem 28. Juli 2024 passiert ist, was wir gemeinsam erreicht haben. Gefolgt von einem Anruf in der Schweiz bei meinem Trainer Fabian Neunstöcklin und meiner Sportpsychologin Anke Precht, um Danke zu sagen. Anschließend wurde in Paris ordentlich gefeiert!
Paris war einfach krass. Die Stadt war in einem Ausnahmezustand. Das Olympische Dorf war gigantisch, es gab einfach alles da drin. Sicherheitsvorkehrungen, wie an einem Flughafen, ein eigenes Café, einen Gaming Room und natürlich die ganzen neuen Hochhäuser. Die Größe der Mensa kann man sich kaum vorstellen. Mein Highlight war die Tauschbörse der Pins unter den Sportler*innen. Es treffen so viele Nationen aufeinander und mit den Pins hat man die Möglichkeit, mit den unterschiedlichsten davon mal ins Gespräch zu kommen und es sind greifbare Erinnerungen. Mein ganzes Akkreditierungs-Lanyard ist voll mit Pins und hängt prominent in unserer Wohnung. Wir Mountainbiker waren aber nicht im olympischen Dorf untergebracht und nur zu Besuch dort, was auch besser für die direkte Wettkampfvorbereitung war. In meinem Hotelzimmer konnte ich einfach die Tür schließen und den Olympia-Trubel aussperren. Dort gab es nur mich und so viel von der Außenwelt, wie ich wollte. Besonders in Erinnerung werde ich die Atmosphäre am Renntag an der Strecke behalten. Da waren viele Gänsehautmomente dabei, zwei davon sind noch besonders präsent. Zum einen der letzte Anstieg des Elancourt Hill, der voller Zuschauer war, auch meine Familie stand dort und alle riefen lauthals meinen Namen. Das war schon magisch. Da musste ich sogar kurz lächeln, obwohl es da doch einfach nur weh tat. Ich hatte ja noch eine Konkurrentin im Nacken, die ich unbedingt abhängen wollte.

Im Zielsprint bei den Olympischen Spielen 2024 konnte Nina Isabella Holmgren auf Platz 17 verweisen und verpasst damit die Top 15 nur ganz knapp.
Die Ziellinie zu überqueren. Ehrlich gesagt habe ich mir die Zielgerade in meiner Version als größeren Genussmoment ausgemalt. Schlussendlich war es ein Fight bis zum letzten Meter. Aber das war cool, denn a) hatte ich meinen ersten Zielsprint überhaupt, b) konnte ich den gewinnen und c) konnte ich mein Rennen nochmal komplett wenden. Denn in das Rennen selbst war ich suboptimal gestartet. Mit einem Platten , den ich mir in der ersten Abfahrt geholt hatte. Nach dem Wechsel in der Techzone in Runde zwei konnte ich dann aber richtig aufdrehen und einige Positionen wieder gutmachen. Im Ziel war es dann Platz 16, was solide war. Mit dem Vorbereitungszeitraum habe ich für mich das Maximale rausgeholt.
Ja, das trifft es ganz gut. 2024 war ein wirklich emotionales Jahr mit sehr vielen Highlights. So richtig realisiert habe ich das erst in den letzten Wochen und Monaten. Ich würde sagen, 2024 wird mir für immer in Erinnerung bleiben. Die wildeste Woche meines Lebens, könnte man auch sagen! Innerhalb von sieben Tagen war Olympia, mein Geburtstag in Paris, mein Junggesellinnenabschied und zurück in Deutschland unsere standesamtliche Hochzeit. Wir haben ordentlich gefeiert nach Olympia, mein Rad habe ich eine Woche in die Ecke gestellt. Die Zeit hat nur mir, meinem Mann, unseren Familien und Freunden gehört. Und die ganz große Party stand dann im Oktober nach den Weltcups in Kanada und den USA bei der kirchlichen Hochzeit an. Danach gab's erstmal Urlaub und Wellness! Statt der Bikes waren Klettersteigausrüstung, Wanderschuhe und jede Menge "Dolce Vita" unsere täglichen Begleiter!
Ich blicke zurück auf Höhen und Tiefen, auf Ziele, die wir gemeinsam erreicht haben. Aber auch an Zeiten, in denen bei mir nicht alles lief wie erhofft, in denen das Team mir viel Freiraum gelassen und keinen Druck aufgebaut hat. Das Besondere war unsere Gemeinschaft im Team zwischen Teamchef Daniel, den Mechanikern, Physios und uns Fahrer*innen. Wir hatten immer eine richtig gute Zeit zusammen. Auch unsere Anreise zu den Rennen werde ich vermissen: Treffpunkt morgens irgendwo in Freiburg, danach Café-Stopp und Techno-Party im Teambus. Es herrschte immer gute Laune und Vorfreude aufs Rennwochenende. Die Lexware-Gang wird immer einen Platz in meinem Rennfahrerherz behalten. Mit Max Brandl kann ich bei Lapierre sogar einen Teamkollegen an meiner Seite behalten, was richtig cool ist, weil Max in der Zeit bei Lexware auch zu einem guten Freund geworden ist. Ich finde es genial, dass wir jetzt weiterhin zusammen zu den Rennen fahren. Wir beide werden diesen Spirit auch bei Lapierre einbringen und mit den neuen Teamkolleg*innen eine gute Zeit auf und abseits des Bikes verbringen.
"Mein Fokus wird auf den Meisterschaften und auf meiner Konstanz bei den Weltcups liegen."
Wann startest du in die Saison? Worauf freust du dich besonders?Ich starte schon Anfang Februar mit den spanischen Frühjahrsklassikern in La Nucia und Chelva in die Saison. Ungewöhnlich für mich, da ich immer gerne erst im März in die Saison gestartet bin, da der letzte Weltcup erst im Oktober ist und es somit eine sehr lange Saison ist. Durch den Teamwechsel möchte ich mich allerdings mit dem neuen Material, den Mechanikern sowie dem Teamablauf vertraut machen und dadurch wichtige Erfahrung sammeln, damit dann bei den Weltcups alles reibungslos läuft. Die ersten beiden stehen im April in Brasilien an. Und da geht’s dann richtig los! Mein Fokus wird auf den Meisterschaften [DM, EM, WM] und auf meiner Konstanz bei den Weltcups liegen.
Primär bedeutet das, dass die Bundeswehr mein Arbeitgeber ist. Mein Job als Sportsoldatin ist es, bestmöglich meine Wettkämpfe zu bestreiten, die Bundeswehr und somit Deutschland zu repräsentieren. Dafür bekomme ich als geförderte Spitzensportlerin ein Gehalt. Meine Sportfördergruppe ist in Todtnau/Hochschwarzwald stationiert, nicht weit von Freiburg entfernt. Wie lange man die Förderung erhält, ist nicht pauschal zu beantworten und von mehreren Faktoren abhängig, unter anderem an meinem Nationalkaderstatus gekoppelt. Es ist, wie alles im Leistungssport, abhängig von meinen Ergebnissen. Die Laufbahn beginnt mit vier Wochen Grundausbildung, was für Sportsoldat*innen zwar leicht verkürzt, aber definitiv ebenfalls herausfordernd ist. Ich kam auf einmal in eine ganz andere Welt, hatte mit Dingen umzugehen, mit denen man im Sport-Alltag nichts zu tun hat. Nach der Grundausbildung ist man erstmal für 12 oder 24 Monate Freiwillig Wehrdienst Leistender (FWDL).
Nach dieser Zeit entscheidet man sich, ob man Soldat auf Zeit sein möchte oder nicht. I.d.R. Verpflichtet man sich für ein Jahr und dann wird das wieder verlängert oder eben nicht. Ich habe mich dafür entschieden und muss dadurch in verschiedenen Zeitabständen Lehrgänge zu suchen. Dieses Jahr war ich im Herbst noch 3 Wochen auf Übungsleiter-Lehrgang in Warendorf, was also kein militärischer Lehrgang, aber wirklich spannend und super lehrreich war. Wir waren nur 5 Sportler*innen und der Rest waren "normale" Soldat*innen. Wir hatten zusammen eine richtig gute Zeit, was am ersten Tag nicht abzusehen war, als die erste Sportlerin, man munkelt, dass ich das gewesen sein könnte, gleich mit falsch angebrachten Schulterklappen aufgekreuzt ist. Naja, am Abschlussabend wurde gemeinsam herzlich darüber gelacht. In der Zeit der Lehrgänge haben wir Sportler*innen natürlich eine Doppelbelastung, da der Trainingsalltag weitergeht. Ich bin nach den Wochen daher auf jeden Fall immer froh, dass ich mich in den anderen elf Monaten im Jahr komplett auf das Training und meine Regeneration fokussieren kann.