Im Interview: MTB-Star Nino Schurter

Interview mit Nino Schurter
Nino Schurter über sein Karriere-Ende: Das, was bleibt

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ArtikeldatumVeröffentlicht am 28.11.2025
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Ein Besuch bei Nino Schurter: Zuhause in Chur treffen wir einen Athleten, den viele nur vom Podium kennen – entspannt, offen und überraschend alltäglich. Beim Kaffee und im Gespräch zeigt er, wie sehr ihn seine Heimat prägt, warum er sich für das Karriereende nähe der Lenzerheide entschieden hat und welche Orte ihm besonders viel bedeuten.

Das Interview führt durch Ninos Rückblick auf 25 Jahre Rennsport, seine wichtigsten Momente, Herausforderungen und Routinen. Gleichzeitig gibt er Einblicke in neue Projekte, seine Rolle nach dem Profi-Dasein und in das Familienleben, das für ihn immer zentral geblieben ist.

Ein ruhiger, ehrlicher Blick auf einen Sportler, der viel erlebt hat – und nun mit derselben Gelassenheit in das nächste Kapitel startet.

Seit 2012 wohnt der Nino Schurter in dem Haus, das ihn am Ortsrand von Chur direkt mit dem Wald verbindet.

Nino – the G.O.A.TG.O.A.T. – Greatest of All Time – wird Nino Schurter, Jahrgang 1986, gerne genannt. Zu Recht: Kein MTB-Athlet hatte je vergleichbaren Erfolg und Einfluss auf den Sport. Seit 2007 Profi und bei Altmeister Thomas "Frischi" Frischknecht unter Vertrag, feierte er in den 2010er Jahren seine größten Erfolge. Zehn Weltmeistertitel, 36 Weltcupsiege und drei Olympiamedaillen (Gold, Silber, Bronze) zählen zu seinen zahlreichen Triumphen. Auch online bricht er Rekorde – mit über 750000 Followern auf Instagram (@nschurter).
MOUNTAINBIKE: Gefällt’s dir hier?

Nino Schurter: Ja, voll! Direkt im Hinterhof habe ich geile Trails am Mittenberg und Fürstenwald. Ich liebe meine Hometrails und bin superschnell draußen in der Natur.

Christoph Laue

Hast du jemals darüber nachgedacht, aus der Schweiz wegzuziehen?

Die Schweiz ist und bleibt mein Standort. Es ist der perfekte Ort für meine Projekte. Und meine Tochter geht hier auch zur Schule, schon in die vierte Klasse.

Was ist dein Lieblingsort in der Schweiz?

Eigentlich hier, daheim in Chur. Wenn ich oben am Mittenberg stehe, verliebe ich mich immer wieder in die Aussicht runter ins Tal und den Ort. Im Sommer waren wir sogar nebenan in der Lenzerheide im Urlaub. Es gibt viele schöne Orte in der Schweiz, aber ich habe das Paradies vor der Haustür.

In der Lenzerheide ist Nino quasi daheim – der Kurort liegt 30 Minuten Fahrt von Chur entfernt. Er ist Ambassador für den dortigen Bikepark, das Bike Kingdom, wurde hier 2018 Weltmeister und hat genau dort, sieben Jahre später, im September, einen Schlussstrich unter seine Karriere gezogen. In seinem eigenen Königreich. Doch ein Athlet wie Nino kommt auch gut herum und kennt die Welt.

Was war der geilste Ort, an dem du jemals warst?

Definitiv Stellenbosch! Ich liebe Südafrika. Da gehe ich auch immer noch gerne hin, nicht nur fürs Cape Epic. Ich habe dort sogar eine Wohnung. Es ist ein richtig cooler Ort, die Trails sind super, und ich finde die Mountainbike-Szene mega.

Du hast deine Karriere nach 25 Jahren beendet. Seit wann spielst du mit dem Gedanken, aufzuhören?

Schon nach meinem Olympiasieg wurde ich das immer wieder gefragt. Aber ich wusste: Ich möchte noch nicht aufhören. Ich wollte Rennfahrer sein – und ich habe es geliebt. Ich habe gemerkt, dass es nicht mehr ganz einfach für mich ist, ganz vorne mitzufahren, und für mich stimmt dieser Step jetzt total. Es sind tolle andere Projekte in der Pipeline, und seit klar war, dass ich mit einer Heim-WM und dem Weltcup in der Lenzerheide aufhören kann, wusste ich, dass das das perfekte Ending wäre. Freiheit ist mein neues Traumziel.

Christoph Laue
War es das?

Oh ja, das war’s – ich hätte es mir nicht besser wünschen können.

Rennen zu fahren, war dein Traum. Was hat dir am meisten Spaß gemacht?

Für mich war es allein schon das Training. Es war mein Job, die beste Version von mir selbst zu sein. Und ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Es gibt nichts Schöneres. Auch wenn natürlich irgendwann der Druck kommt. Du musst zu den Besten gehören, damit du den Sport so betreiben kannst. Es wird viel erwartet. Aber ich habe es immer als Privileg gesehen.

Und die Rennen selbst – haben sie dir auch Spaß gemacht?

Klar, die Wettkämpfe waren natürlich das Highlight. Ich mochte es, diesen Druck zu spüren – auf dieser Bühne zu stehen, die Fans um mich herum. Mir hat das Leben als Athlet Spaß gemacht.

Welches Rennen ist dir am meisten in Erinnerung geblieben?

Die Heim-WM in der Lenzerheide war das schönste Rennen. Es gab zuvor und danach nie eine WM im MTB-Sport, die so viele Zuschauer, so eine Atmosphäre hatte. Bis dahin hatte ich immer das Gefühl, der Mountainbike-Sport in der Schweiz bekommt nicht die Anerkennung, die er verdient hat. Die WM hat das geändert. 2018 wurde ich auch Sportler des Jahres. Vor Roger Federer!

Die Auszeichnung bedeutet dir viel, oder?

Ja, total! Schweizer Sportler des Jahres zu werden – in der Ära von Roger Federer –, das war schon richtig groß. Vor allem hatte ich ja 2017 schon alles gewonnen, was man gewinnen konnte. 2016 war ich Olympiasieger geworden. Trotzdem hatte ich nie eine Chance, diesen Preis zu gewinnen. Ich war immer in der Auswahl, aber zum Sieg hat es nie gereicht. Erst 2018, nach dem Sieg bei der Heim-WM, endlich.

Wir müssen los. Der Berg ruft. Wir machen uns auf den Weg in die Lenzerheide, die letzte Gondel wartet nicht. Nino sitzt neben mir im Auto und beantwortet meine Fragen ruhig und überlegt. Im Gespräch zeigt er viel Reflexion über seine Karriere, seine wichtigsten Rennen und erfüllten Träume. Eine Frage lässt mich dennoch nicht los – ich hake nach.

Würdest du sagen, der Weltmeistertitel war für dich größer als Olympia-Gold?

Zumindest für die Wahrnehmung in der Schweiz. Die Leute haben gesehen: Das ist nicht nur irgendein Sport, da gehen 30 000 Leute hin, um sich das anzuschauen. Und das verändert die Wahrnehmung. Für mich gab es keinen schöneren Sieg. Ich weiß noch, wie Lisa mich im Ziel umarmt hat. Auch nicht der Olympiasieg 2016 – selbst wenn der vom Resultat her noch größer war. Das schönste Erlebnis bleibt meine Heim-WM.

Besonders, sieben Jahre später genau dort dein letztes Rennen zu bestreiten, oder?

Die letzten zwei Rennen waren sehr speziell für mich. Ich kannte das von mir nicht – dass ich so emotional werden kann. Ich konnte mich immer gut auf große Events fokussieren. Aber plötzlich war alles anders. Das Umfeld war anders – das hatte ich nicht erwartet.

Inwiefern war das Umfeld anders?

Es kam echt jeder zu mir und hat mir noch mal auf die Schulter geklopft. Viele Wegbegleiter*innen haben mir emotionale Dinge gesagt. ‚Cool, was du gemacht hast für den Sport.‘ ‚Danke!‘ ‚Du warst eine Inspiration.‘ So was eben ... Das hat mich extrem berührt.

Was berührt dich noch?

Meine Familie. Meine Tochter. Ich genieße die Zeit mit Lisa sehr. Ja, sie ist schon oft hier. Und es wird sicherlich noch mehr, da wir ein Baby erwarten. Im Februar ist es so weit.

Herzlichen Glückwunsch! Worauf freust du dich am meisten?

Mir macht das extrem viel Spaß. Ich mag Kinder super gerne. Ich wollte immer noch mehr Kinder. Schön, dass es jetzt noch mal klappt.

Lisa ist zehn. Kommt sie nach dem Papa und bikt schon?

Ja schon, letztes Wochenende waren wir zusammen beim Downhill-Rennen. Sie fährt schon ein paar Downhill- und Cross-Country-Rennen. Aber das kommt von ihr. Natürlich hat sie immer gesehen, was ich mache. Aber sie hat das jetzt für sich selbst entschieden.

Christoph Laue
Themenwechsel. Was war die schwerste Zeit in der Karriere?

Die Zeit während Corona war nicht einfach ... Da wusste ich nicht, wie es weitergehen soll. Wir hatten zuerst keine Wettkämpfe. Damit habe ich gehadert. Wofür trainiere ich überhaupt? Und dann hatten wir Rennen ohne Zuschauer*innen. Das fand ich extrem kurios. Da hatte ich das Gefühl, ich bin wieder bei einem kleinen Vereinsrennen. Ich konnte mich nicht quälen oder es ernst nehmen.

Kamen Zweifel auf?

Schon. Es hat mir keinen Spaß gemacht in dieser Zeit. Zwischendurch habe ich gedacht: ,Das lasse ich dann bleiben, glaube ich.‘ Aber dann ging es ja weiter. Und ich durfte noch zwei Weltmeistertitel feiern (lacht).

Christoph Laue
Was sind die großen Projekte, die anstehen?

Nächstes Jahr bin ich noch unter Vertrag bei Scott-Sram. Ich bin in einer anderen Rolle, werde stärker für meine Partner und Sponsoren da sein, aber auch weiterhin Rennen bestreiten. Ich möchte ein paar Gravel-Rennen und das BC Bike Race fahren – ein cooles Enduro-Rennen suche ich aktuell noch.

Verlässt du das Team nach 2026?

Das ist noch offen. Ich denke, dass ich weiter für Scott und Sram Ambassador bleibe. Ob ich auch Rennen fahre? Mal schauen. Der Szene bleibe ich aber erhalten.

Das ist aber bestimmt nicht alles?

Ich bin jetzt Mitglied im Verwaltungsrat der Lenzerheide und werde mich im Stiftungsrat der Schweizer Sporthilfe engagieren, um auch der Region und dem Sport etwas zurückzugeben. Und dann haben wir noch eine Firma gegründet – mit GOATtrails wollen wir in den Trailbau einsteigen.

Mit GOATtrails hat Nino bereits ein weiteres Projekt gestartet. Die Fahrt vergeht schnell. Angekommen an der Talstation des Rothorns wirkt er entspannt und zufrieden. Mit dem Weltcup hat er abgeschlossen – das wird deutlich. Ganz ohne Startlinie kann er sich seine Zukunft jedoch weiterhin nicht vorstellen.

Nach so einer emotional aufreibenden Saison bist du wahrscheinlich auch froh, mal abschalten zu können – Saisonpause angesagt?

Ja, seit Lenzerheide habe ich nur ein bisschen was Freestyle gemacht und hatte auch sehr viel Stress und Termine.

Änderst du was am Training für nächstes Jahr?

Ja, ich möchte künftig etwas freier trainieren, nicht mehr so strukturiert. Vielleicht sogar ohne Coach. Wenn ich Zeit habe, mehr – wenn nicht, weniger. Ich möchte kürzertreten und mehr Zeit für anderes haben.

Gab es eine Lieblingseinheit auf dem Rad – eine bestimmte Intervall-Session vielleicht?

Die Intervalle sind nicht die Sessions, die Spaß machen (lacht). Da sind mir lange Ausdauerausfahrten lieber.

Wo siehst du dich sportlich in fünf Jahren?

Wahrscheinlich mache ich dann keine Wettkämpfe mehr – nur noch aus Spaß. Just for fun, als Hobby.

Wir fahren mit der Gondel über die Downhill-Weltcup-Strecke. Ob Nino den Track auch mit seinem Enduro fährt, das uns gerade im Lift begleitet? "Na klar, bin ich auch schon! Vor drei, vier Jahren habe ich zusammen mit Claudio Caluori hier eine Challenge gemacht – 10000 Höhenmeter mit dem E-MTB hoch und auf der DH-Strecke wieder runter. 26 Mal." Wundert es euch? Mich auch nicht.

Was war deine Lieblingsstrecke? Hattest du eine?

Mont-Sainte-Anne hatte coole Jahre. Und Nové Mesto na Morave hat mir auch immer gelegen und viel Spaß gemacht.

Du bist seit 23 Jahren auf Scott unterwegs. Was war die größte Entwicklung?

Wenn ich mich auf etwas beschränken muss, dann sind es für mich auf jeden Fall die Räder und die Bereifung. Wenn du die ersten Räder von mir siehst: 26 Zoll, schmale Reifen, weniger Volumen, noch kein Tubeless ... An den Rädern gab es die meiste Entwicklung.

Wir kommen vom Stöckchen aufs Steinchen – obwohl die Gondel nicht bummelt – und schließlich aufs Thema Alter. Nino ist Jahrgang ’86, wird also nächstes Jahr 40.

Beschäftigt dich das?

Nee, gar nicht. Das macht nichts mit mir.

Hast du das Gefühl, was zu verpassen? Wärst du jetzt gerne bei den Übersee-Weltcups?

Auf keinen Fall. Ich hätte gerade überhaupt keinen Bock, rüberzufliegen und Rennen zu fahren. Jetzt ist auch einfach mal gut. Da gehe ich lieber nach Portugal surfen.

Mit der zweiten Gondel fahren wir bis auf 2.865 Meter zum Rothorn. Oben angekommen, erwartet uns Schnee! Hier nochmal die Zeit nutzen für Fotos, Trails und letzte Fragen – wie gewohnt ist Nino umgänglich, offen und selbstbewusst.

Was ist abseits des Sports ein Thema, das dich begeistert?

Nicht Sport? Bei mir dreht sich schon sehr viel um Sport. Was ich aber als Hobby bezeichnen würde, ist das Fotografieren. Ich habe eine Fuji XT-4 und seit Kurzem auch eine XT-5. Malene ist da auch richtig gut drin, und wenn wir unterwegs sind, machen wir das viel.

Was wäre eine Sache, die du am XCO-Sport ändern würdest?

Wenn es regnet: Absage (lacht). Nur bei schönem Wetter fahren.

Deine XC-Zeit ist jetzt vorbei. Wenn du noch mal ein Race fahren dürftest, welches wäre es?

Nächstes Jahr Lenzerheide noch mal!? (lacht) Dann mache ich mein Comeback.

"Jetzt ist auch mal gut!", sagt Nino mit einem letzten Grinsen und verabschiedet sich in die Herbstweiten der Lenzerheide. Nach zweieinhalb Dekaden als Profiathlet gönnt er sich Ruhe, bleibt dabei bodenständig, nahbar und offen für Familie, Sport und die Natur – bereit, seine Welt weiterhin zu genießen, ganz ohne Treppchen und Regenbogentrikot.

Christoph Laue

Du willst noch mehr über Nino erfahren? In diesem Artikel findest du fünf spannende Fakten über Nino Schurter.