ABS-System im Cargobike: Bosch & Blubrake im Test

E-Cargobikes von Riese & Müller und Radkutsche
Lastenräder mit Bosch- und Blubrake-ABS im Test

Zuletzt aktualisiert am 10.08.2023
Zwei Cargobikes, zwei Redakteure: ABS-Bremstest
Foto: Agron Beqiri

Ein unbeladenes E-Cargobike zu pilotieren ist die Vorübung, die ein Lastenrad-Novize machen muss, um erste Fahrsicherheit zu bekommen. Hat er die ersten "leeren" Kilometer absolviert und sich mit der Dimension und Fahreigenheiten eines Cargobikes angefreundet, dann ist man für den nächsten Schritt bereit: Einladen bitte! Und plötzlich merkt man, dass das recht lange Cargobike gar nicht mehr so geschmeidig fährt wie das Lieblingsfahrrad: Man muss um die Kurven zirkeln, benötigt Kraft zum Lenken und muss konzentrierter und vorausschauend fahren. Und vor allem: Der Bremsweg wird ungewohnt lang.

In unserem Ratgeber haben wir deshalb 10 Tipps für Cargobike-Einsteiger zusammengestellt.

Riese & Müller und Radkutsche Testräder

Die beiden Long-John-Cargobikes Riese & Müller Load4 75 und Radkutsche Rapid sind mit jeweils einer Wanne zum Transport vorbereitet. Mit speziellen Komponenten bieten beide Hersteller hochwertige Bikes für den sicheren Transport an. Wir haben die beiden Räder, vor allem aber auch die unterschiedlichen ABS-Ausstattungen ausprobiert.

Grundsätzliches zum Bremsen mit ABS-Systemen von Bosch und Blubrake

Grundsätzlich unterscheidet sich das Bremsverhalten – analog zum Auto – zwischen einem Bremssystem mit und ohne ABS nicht. Das ABS reguliert nur im Notfall, falls das Vorderrad zu blockieren droht. Bosch hat in seinem MTB-Setup noch das Zusatzfeature, dass die Vorderbremse dann freigegeben wird, wenn das Hinterrad einen bestimmten Winkel übersteigt, eine Überschlagversicherung! Das ist allerdings im Cargobereich nicht nötig, da ein beladenes Lastenrad von einem Überschlag eher nicht bedroht ist.

Die Performance und Funktionalität der jeweiligen Bremse hat mit dem ABS grundsätzlich nichts zu tun. Der Bremsvorgang selbst, also die Dosierbarkeit, Druckpunkt und Bremsleistung sind Eigenschaften der jeweiligen Bremse. Das ABS-System greift ausschließlich im Notfall ein, wenn das Vorderrad die Bodenhaftung verliert. Und das dürfte bei umsichtiger Fahrweise äußert selten der Fall sein.

Aber auch das ABS kennt Grenzen: Reißt man urplötzlich den Lenker herum, schiebt die Massenträgheit das Rad weiter geradeaus und das Vorderrad verliert seine Bodenhaftung. Ebenso droht bei entsprechender Schräglage das Rad seitlich abzudriften. Selbst das beste ABS kann die Newtonschen Gesetze der Physik nicht außer Kraft setzen.

Für die Bike-ABS-Systeme bedeutet das, dass deren primäres Sicherheitsfeature in der Kontrolle des Vorderrades liegt. Technisch gehen Bosch und Blubrake hier verschiedene Wege: Während – vereinfacht dargestellt – Bosch die Rotationsgeschwindigkeiten des Vorder- und Hinterrades vergleicht, gleicht das Blubrake-ABS die Geschwindigkeitsdaten des Vorderrades mit den Daten der Beschleunigungssensoren im Controller ab.

Diagnostiziert der jeweilige Controller eine Gefahrenlage, wird der Druck von der Vorderradbremse reduziert und ein Blockieren verhindert.

Vollgefedert und komfortabel: Riese & Müller Load4 75 Vario

Mit dem E-Cargobike Load4 75 Vario hat Riese & Müller ein Lastenrad im Programm, das sich dank seiner üppigen Ladefläche nicht nur zum Transport allerlei Güter anbietet. Gerade dann, wenn der Nachwuchs im Mama- oder Papa-Taxi von A nach B gefahren werden möchte, empfiehlt sich das Load4 75 Vario ganz besonders. Die Vollfederung des Load4 bewies auf unseren Testfahrten tollen Komfort des vollgepackten Cargobikes. Mit knapp 60 kg beluden wir die Ladebox und fuhren kreuz und quer durch die City. Das gedämpfte Fahrwerk bügelte Bodenunebenheiten sanft aus der Fahrbahn und reduzierte selbst ruppiges Kopfsteinpflaster auf ein erträgliches Maß.

Grundsätzlich gilt es in den Kurven aufmerksam zu fahren und bei Radwegsbeschrankungen gegebenenfalls auch mal abzusteigen. Die Schiebehilfe wirkt hier Wunder und hilft zur praktischen Handhabung unterwegs.

Der Bosch Cargo Line Antrieb unterstützt hervorragend, beim Abbiegen hinein in steilere Hügel aus langsamerer Geschwindigkeit mussten wir teilweise ein wenig mittreten. Die Handhabung der stufenlosen Enviolo-Schaltung mit dem mechanischen Drehgriff hat man in wenigen Kilometern heraus und passt insgesamt gut zum Gesamtkonzept des Load4 75 Vario. Mit Verdrehen des Enviolo-Griffes verändert die Nabe das Übersetzungsverhältnis und ermöglicht die stufenlose und feine Anpassung der Trittfrequenz an Topografie und gewünschte Trittgeschwindigkeit. Für Anstiege und Abfahrten bietet die Enviolo eine gute Entfaltungsbandbreite für das Cargobike: mit der kleinsten Übersetzung sind mit Unterstützung des Bosch Cargo-Antriebs Steigungen gut zu beherrschen, bergab muss man sowieso achtsam sein, da ein vollbeladenes Cargobike eine andere Fahrdynamik entfaltet als ein normales E-Bike.

Das Riese & Müller Load4 75 Vario ist dank seines herrausragenden Fahrkomforts ein richtiges Familien-Rad und hat mit Boschs ABS-System auch noch die passenden Sicherheitsfeatures an Bord.

Das Riese & Müller Load4 75 Vario mit Bosch eBike ABS beim Bremstest

Mit der zweiten Generation des Bosch eBike ABS haben die Stuttgarter ihr System auch an die Bedürfnisse des Lastenrades angepasst. Mit dem langjährigen Service-Partner und Bremsenspezialist Magura adaptiere Bosch das ABS-System nun auch fürs Cargobike. Aktivieren muss man das ABS nicht extra, es schaltet sich automatisch zu. Das ist normalerweise der Fall, dann leuchtet die kleine Kontrollleuchte am LED-Remote nicht. Nur wenn sie gelb aufleuchtet, liegt ein Fehler vor und das ABS ist aus. Die Bremse funktioniert trotzdem einwandfrei. Als Bremssystem kommt im Load4 die hydraulischen Scheibenbremsen Magura MT-C ABS zum Einsatz. Die sind speziell aufs Bosch eBike ABS abgestimmt. Die beiden Bremssättel weisen je vier Bremskolben auf, eine 200er-Bremsscheibe ist an dan Laufrädern montiert.

Volle Verzögerung mit dem Cargobike Riese & Müller Load4 75 und Magura/Bosch ABS
Agron Beqiri

1. Bremsen auf Asphalt

Wir lasteten das E-Cargobike Riese & Müller Load4 75 Vario bis zum zulässigen Systemgewicht von 200 kg auf und beschleunigten bis auf 35 km/h. Dann verzögerten wir mit maximaler Handkraft nur die Vorderradbremse. Gemessen wurde von Hand, ein wenig Streuung haben wir uns vorbehalten.

Wer jetzt denkt, unsere Bremsmessungen fußen allein auf der Performance der Bremse und haben nichts mit dem ABS-System zu tun, irrt: Bei jedem unserer (Voll-)Bremsvorgänge setzte das ABS ein. Dies war zum einen am Bremshebel zu spüren und zum anderen von außen bei genauer Beobachtung des Vorderrades sichtbar. Das schwere Cargobike behielt bei jeder Messung die Spur und war zu jedem Zeitpunkt beherrschbar. Wer so etwas bewusst übt, muss sich herantasten. Da die Funktionsfähigkeit jederzeit gegeben ist, kann sich auch der weniger Routinierte voll drauf verlassen.

E-Cargobike Riese & Müller Load4 75 Vario Schotteraction
Agron Beqiri

2. Bremsen auf Schotter

Die Bremsversuche auf Schotter fokussierten wir auf die Beherrschbarkeit des beladenen E-Bikes. Und die war beim Load4 75 Vario durchweg gegeben. Auf die Messung der einzelnen Bremswege verzichteten wir. Das hängt völlig vom Untergrund ab, zu groß ist die Streuung. Vergleichbare Messreihen sind bei einem derart lockeren Untergrund einfach nicht möglich.

Fazit

Unsere ermittelten Werte können nur als beispielhaftes Ergebnis dienen. Als Erfahrung aus den Bremsversuchen verzeichnen wir, dass das System, solange man geradeaus fährt und das Rad senkrecht hält, tadellos funktioniert. Bei Schräglagen oder extremen Lenkeinschlägen vermag auch das ABS die Physik nicht zu überlisten. Die Magura Mt-C ABS Bremsen des Load4 75 Vario verzögerten bei den Asphalt-Messreihen ohne Fehl und Tadel, Aussetzer gab’s keine. Beobachtet man den Messversuch von außen, bemerkt man, wie die Gabel etwas eintaucht und das ABS die Reibungskräfte kontrolliert. Der Bremsvorgang selbst ist nichts für schwache Nerven: Die Verzögerungskräfte bei der Vollbremsung fühlen sich enorm an, man benötigt deshalb eine straffe Lenkerführung. Kontrolle und die Beherrschung des Fahrzeugs sind das A und O, denn es handelt sich hierbei immer um eine Extremsituation. Die Beherrschbarkeit wird durch das ABS extrem unterstützt. Macht man den gleichen Versuch mit einer normalen Bremsanlage, kommt man nur mit einer Stotterbremse sicher zum Stehen oder das Vorderrad rutscht durch. Der Sturz wäre dann nicht zu verhindern. Das Bosch eBike ABS ist aber gerade auch für Novizen ohne Erfahrung ein Retter in der Not: vor einem plötzlichen Hindernis, auf losem oder glattem Untergrund wie Schotter, Kiesel, Nässe oder Schnee.

Radkutsche Rapid: Der Laster unter den E-Cargobikes

Im direkten Vergleich zum komfortablen Riese & Müller darf man auf dem Radkutsche Rapid weniger zimperlich sein: Mit dem starren Fahrwerkskonzept rumpelt man eher über Stock und Stein und spürt jede Bodenwelle. Den großen Trumpf spielt das Rapid beim Antrieb aus: Der Sachs RS ist extrem kräftig und ging trotz voller Ladung bis zum maximalen Systemgewicht von 200 kg auch an scharfen Steigungen nicht in die Knie. Das war schon beachtlich, wie kräftig der RS unterstützt, ob aus der Kurve heraus oder auf den Hügel rauf. Da kann man getrost einiges drauf bzw. hereinpacken. Auch das Radkutsche Long John Cargobike benötigt Routine und vorausschauendes Fahren, sonst wird’s in den Kurven bisweilen etwas eng. An manch engem Radwegsübergang mit Beschrankungen ist das Rapid mitunter auch mal umgekippt. Entweder hatten wir die Enge der Radien unterschätzt oder der umgebende Radverkehr zwang zum plötzlichen Anhalten. Das Rapid lässt sich relativ leicht wieder aufrichten, es ging auch nichts kaputt, das E-Cargobike und die Familienwanne sind ziemlich robust. Die Haltung ist eher sportiv, das macht das Radkutsche Rapid auch für sportlich orientierte interessant. Das beladene Rad auf seinen Ständer zu ziehen, erfordert die richtige Technik, weniger schiere Kraft.

Wer in erster Linie schwere Dinge zu transportieren hat, ist mit dem Radkutsche Rapid sicherlich gut beraten. Der stabile Rahmen liegt gut auf der Straße und der Motor liefert, wenn er muss. Was will man mehr?

Das Radkutsche Rapid mit dem Blubrake ABS im Bremstest

Ohne Frage sind die am Rapid Testrad montierten Fahrwerker Bremsen eine Klasse für sich. Schon beim ersten kurzen Einfahren mit dem Rapid ohne Zuladung war klar: Achtung, die bremsen scharf! Die Fahrwerker Bremshebel fallen etwas klobiger aus als vergleichbare aus dem Fahrrad-Segment. Schließlich sind die Fahrwerker Bremsen aus Metzingen bei Reutlingen speziell für LEVs und Cargobikes entwickelt worden. Der Bremshebel verfügt über einen größeren Druckbehälter als eine übliche Bremse aus dem Fahrradregal und auch die Kolben des Bremssattels sind im Durchmesser mit rund 28 mm deutlich größer als herkömmliche. Ebenso die am Testrad montierten 220-mm-Bremsscheiben fallen größer aus als Serien-Bremsscheiben für den Fahrradbau.

Das BluBrake ABS ist unabhängig vom Bremssystem, so lässt sich auch die Fahrwerker-Bremsanlage des Rapid mit dem Blubrake ABS kombinieren. Einschalten muss man nichts. Die Kontroll-Leuchte auf dem Vorbau signalisiert, wenn sie nicht  leuchtet, dass das ABS aktiviert ist. Leuchtet die Kontroll-LED auf, liegt ein Fehler vor.

1. Bremsen auf Asphalt

Dass die Fahrwerker-Bremsen das vollbeladene Rapid sorgfältig zum Stehen bringen, war keine Frage. Dies zeigen die Versuche, die wir produzierten. Zur Messung beschleunigten wir das bis zur Systemgrenze von 200 kg beladene E-Cargobike ebenfalls bis 35 Km/h und zogen dann die Vorderradbremse mit der maximalen Handkraft durch.

Zwischen sechs und sieben Meter Bremsweg benötigten wir im Schnitt bei unseren Versuchen. Auch am Rapid setzte das Blubrake-ABS-System jeweils ein und verhinderte stets das Blockieren des Vorderrades. Das Rapid blieb in der Spur und beherrschbar beim Bremsen. So ist es auch auf Asphalt möglich, kleine Lenkkorrekturen bei einer Vollbremsung durchzuführen und z. B. einem Hindernis auszuweichen. Das ist, solange man nicht zu heftig einschlägt, durchaus machbar.

Schotterbremse mit dem Radkutsche Rapid Cargobike und Blubrake ABS
Agron Beqiri

2. Bremsen am Schotter

Bei unseren Schotter-Bremsern stellten wir fest wir, dass das Blubrake ABS das Rapid ebenso bedingungslos zum Stehen bringt. Der Bremsweg verlängert sich im Vergleich zum Verzögern auf Asphalt und man muss das Rad mit entsprechender Routine gerade halten.

Fazit

Die Fahrwerker-Bremsanlage verzögert wirklich vehement. Durch den starren Rahmen überträgt der Radkutsche Rahmen die Wucht der Vollbremsung auf den Fahrer. Das klingt dramatischer, als es ist, wichtig ist dennoch, dass man in derartigen Situationen sein Fahrzeug beherrscht. Dank des starren Rahmenkonzepts lässt sich das Radkutsche-Cargobike etwas direkter pilotieren und man spürt beim Bremsen ein wenig deutlicher, wie das Rad reagiert. Nach etlichen Bremsversuchen auf Asphalt und Schotter verliert man die Hemmungen und bemerkt, wie gut man sich auf das ABS verlassen kann. Auch von außen konnten wir bei den Messversuchen beobachten, wie das ABS den Bremsvorgang reguliert. Egal wie rutschig der Untergrund oder die Notsituation sich darstellt, das Blubrake ABS ist für solche Fälle gerüstet.