Langsam wird's im Reigen der Mittelmotoren sehr unübersichtlich: Nachdem ZF mit seinem CentriX-Motor neulich quasi einen Neustart gewagt hat, stieß 2024 zu Bosch, Shimano und Co. ein weiterer Player – und mit Drohnen-Profi DJI auch gar kein Kleiner, aber im E-Bike-Markt noch Unbekannter. Allerdings war das Publikumsinteresse auf der Eurobike 2024 in Frankfurt enorm groß, lange Schlangen bildeten sich am DJI-Stand auf dem Außengelände. Warum? Wir dürfen vorstellen:
Kurz & knapp: DJI Avinox Drive System
- Neuer E-Bike-Motor von Drohen-Profi DJI
- 2,52 Kilo leichter Mittelmotor, 600- & 800-Wh-Akkus
- 800-Wh-Akku soll nur 2,87 Kilo wiegen
- 105 Nm "Dauer"-Drehmoment, kurzzeitig bis zu 120 Nm
- mit Firmware 1.2.0 nun bis zu 1000 Watt im Turbo-Modus
- wie gehabt: 250 Watt Dauerleistung
- Schnellladung: 0-75 % in 1,5 Std. (nur 800 Wh)
- OLED-Display, Smartphone-Anbindung & App
- Preis DJI Amflow E-MTB: 6499 / 9799 oder 9999 Euro
Bis zu 1000 Watt im Turbo-Modus: DJI zieht nach!
Mit einem Firmware-Update schaltet DJI den Turbo-Modus frei – das ist bei nun bis zu 1000 Watt
Spitzenleistung buchstäblich so zu verstehen. Vormals waren es noch 850 Watt. Ab dem 6. Mai können Avinox-Biker ihre Firmware auf die neue Version 1.2.0 updaten – ein Frontalangriff auf das neuerliche Firmware-Update vom Stuttgarter Konkurrenten Bosch. Der hatte kurz zuvor seinem CX der fünften Generation nämlich einen Schubser auf 100 Nm, 750 Watt Spitzenleistung und bis zu 400 % Unterstützung spendiert.Erster Test: Wie gut fährt sich der Avinox-Motor?
Ob der Avinox wirklich Bosch, Shimano und Co. überflügeln kann? Schon beim Aufladen der Batterie zeigt sich, dass die DJI-Entwickler an jedes Detail gedacht haben. So ist nicht nur der Ladeport samt Abdeckung gelungen, das OLED-Display zeigt sogar die Restladedauer minutengenau an! Apropos: Mit dem serienmäßig mitgelieferten Schnellladegerät soll sich der Akku von null auf 75 Prozent in anderthalb Stunden aufladen lassen beziehungsweise in unter drei Stunden von 0 auf 100 Prozent – was sich in unserem Test bestätigte.
Einmal losgefahren, fühlt man sich sofort in der Avinox-Umgebung wohl. Der Einschaltknopf sitzt zentral am Oberrohr-Display, auch die ungewöhnliche Bedienung über die zwei links und rechts in der Nähe der Lenkergriffe positionierten, funkgesteuerten Remotes funktioniert nach Eingewöhnung sehr gut. Beide sind haptisch gelungen, bieten definierten Tastendruck. Drei "klassische" Unterstützungs-Modi mit den typischen Bezeichnungen Eco, Trail und Turbo lassen sich über den linken Remote anwählen. Dazu gibt es einen Auto-Modus, der – ähnlich wie der adaptive Trail-Modus – die Unterstützung in Echtzeit an die Neigungsposition sowie den Biker-Input anpasst. Der Boost-Modus wird per langem Druck auf die obere Taste aktiviert, die Schiebehilfe über die untere Taste. Apropos: Diese besitzt eine "Auto-Hold"-Funktion, sodass das Bike nicht zurückrollt, wenn man kurz beim Schieben pausieren muss. Die Modi lassen sich über die ausgezeichnete App auf enorm vielfältige, dennoch intuitive Weise individualisieren. So ist sogar der Nachlauf, also wie lange der Motor beim Aussetzen des Tretens nachschiebt, von kurz bis (extrem) lang einstellbar.
DJI Avinox gegen Bosch CX: Wer hat hier das Sagen?!
Bosch bringt ein 100-Nm-Power-Update für den CX-Motor der fünften Generation. Doch reicht das, um dem starken DJI die Stirn zu bieten? Wir haben beide Systeme im harten Vergleich gegeneinander getestet:
Ein- und Aussetzen quasi nicht spürbar
In der Ebene stellt sich ein ungemein natürliches Fahrgefühl ein. Hier agiert der Motor flüsterleise und im tollen Auto-Modus nahezu unscheinbar. Platt gesagt: Man fährt um die 25 km/h, weiß aber gar nicht so genau, warum – so sanft schiebt das nominell starke Aggregat an. Ein- und Aussetzen des Motors? Quasi nicht spürbar! Geht es bergauf, hört man ihn dann doch. Erst eher hochfrequent surrend, dann kommt bei längeren Uphills ein sonores Brummen dazu – beides aber im leisen Bereich. Viel spannender: Wer gemütlich mit geringer Trittfrequenz vor sich hin "gondelt", spürt von der Kraft des Motors gar nicht so viel. Fast gelangweilt schiebt der DJI dann selbst im Turbo-Modus (der sich per App noch etwas steigern ließe) mit.
Dr. Jekyll oder Mr. Hyde: Am Berg geht die Post ab!
Wird es steil und/oder ändert man seine Fahrweise – mehr Kadenz, mehr Druck –, ändert sich dies komplett. Mit einem Schlag scheint das halbe Reich der Mitte mit ins Pedal zu hämmern, und es pulverisieren sich jegliche Uphill-Bestzeiten. Da verliert manchmal gar das Hinterrad an Traktion – was aber primär am weniger grobstolligen Reifen des Amflow-Bikes liegen dürfte. Generell zeigt sich der Avinox nämlich extrem feinfühlig. Kein Wunder, laut Hersteller sitzen zehn Sensoren im Bike, die Rad, Fahrer und Motor überwachen. Übrigens: Einige dieser Daten wie etwa der Neigungswinkel des Bikes lassen sich auch im vorzüglichen Display anzeigen, viele spannende Infos muss man allerdings per App erst "freischalten".
Überragende Reichweite mit dem 800er-Akku
Überragend ist die Reichweite mit dem 800er-Akku. Da der Motor zumindest bei geringer Trittfrequenz nicht ständig an seiner Leistungsgrenze arbeitet, ist er sparsam. In unserem Uphill-Test schafften wir mit einer Akkuladung im Turbo-Modus in Werkseinstellung fast zweimal eine durchgehende Strecke von 1000 Hm mit im Schnitt 12–13 Prozent Steigung auf Schotter und Asphalt. Nur knapp 100 Hm fehlten zum "2000er". Ein sogenanntes Derating, also einen Leistungsverlust während der langen Auffahrt, konnten wir nicht feststellen. Auch in einem weiteren Test im Steilen mit ständig wiederholtem "Boost-Feuerwerk" lieferte der Motor konstante Power.
Erstes Fazit: So gut gefiel uns der Avinox-Motor
In Summe liefert der DJI ein beeindruckendes Debüt ab. Er feuert in der Spitze wahrhaftige 1000 Watt und mehr ab, ist dabei hochgradig sensibel, sehr ausdauernd, beständig sowie perfekt individualisierbar. Auch Bedienung, Display und Konnektivität sind meisterhaft. Ob man dennoch lieber auf Bosch, Shimano und Co. setzt, bleibt Geschmackssache, ein herausragender neuer Motor ist der Avinox aber allemal – auch wenn Langzeittests noch fehlen.
Meinung: Das sagt der MOUNTAINBIKE-Autor zum DJI-Antrieb!
"Das ist ein Gamechanger!" – Ich weiß gar nicht, wie oft ich diesen Spruch in den letzten Monaten in Bezug auf neue Bikeparts gehört habe. Am häufigsten sicherlich im Zusammenhang mit dem DJI-Motor, der bei der Eurobike 2024 zum Publikumsmagneten wurde. Doch ist er es nun, der Gamechanger? In meinen Augen nicht. Fraglos ist der DJI Avinox ein großartiger E-Bike-Motor, wahrscheinlich in der Summe aller Attribute – Leistung, Abmaße, Gewicht, Reichweite, Sensorik, Bedienung, App, Connectivity – sogar der beste der Welt. Aber er verändert das Spiel nicht. Man kann auch mit dem DJI keine senkrechte Wand hinauffahren. Nicht mal fliegen kann er (der Gag auf Kosten des weltgrößten Herstellers nicht militärisch genutzter Drohnen sei erlaubt). Wer sich also gerade ein Bike mit Bosch, Shimano- oder einem anderen Topmotor zugelegt hat, muss sich nicht grämen. Auch wenn die Leistungsdaten des DJI wirklich beeindrucken.
Persönlich hat mich am DJI etwas anderes fasziniert. Erwartet hatte ich einen typischen Kraftprotz der 100+-Nm-Kategorie. Brachial, stark, aber etwas ungehobelt. Zudem bin ich angesichts der kompakten Abmaße und der damit einhergehenden geringen Möglichkeit zur Wärmeableitung von einem deutlichen Derating, also Leistungsabbau bei langen Anstiegen, ausgegangen. In beiden Fällen: Pustekuchen. Der Avinox liefert. Und das konstant. Dabei braucht er überraschenderweise strenge Herrinnen oder Herren. Klarer gesagt: Wer stumpf vor sich her tritt, kommt gar nicht in den Genuss der enormen Kraft, wird nicht hoch geshuttelt. Es braucht eine höhere Trittfrequenz, es braucht echte Anstiege, es braucht "Schmackes" auf dem Pedal. Dann aber brennt die chinesische Luft! Laut Display/App unterstützte mich der Motor im Boost-Modus in steilen Passagen mit ordentlich Druck auf Front und Pedal sowie mit einer 90er-Kadenz teils mit rund 1100 Watt – holy shit! Laut DJI messen zehn Sensoren dabei alles, was rund um das Bike passiert, und geben die Daten in Echtzeit an das System weiter. Entsprechend fährt sich der Motor schon jetzt (viele Hersteller müssen mit Firmware-Updates erst nachhelfen) überragend sensibel und teils gar unmerklich, quasi auf dem Niveau des ebenso fantastischen neuen Bosch-CX-Motors der fünften Generation. Die ganze Avinox-Welt mit App und Co. ist ebenso meisterhaft gemacht und ein herrlicher Spielplatz für Technerds.
Kurzum: Dieser Motor hält sich an die Spielregeln, er ist unfassbar stark, macht aber genau dies nicht zum Alleinstellungsmerkmal. Dennoch bleiben Fragen, die sich jetzt noch nicht beantworten lassen. Welche Radhersteller lassen sich auf eine Kooperation mit DJI ein? Wie lange hält der Motor? Wie gestaltet sich der Service? Haben die Chinesen auf diese Fragen positive Antworten, ist der DJI-Motor für mich noch immer kein Gamechanger, aber ein Riesengewinn für die E-MTB-Szene.
- André Schmidt, Testfahrer MOUNTAINBIKE
Erster Test: So gut ist das Amflow au den Trails!

Traumwerte, Mini-Maße: Der DJI Avinox macht auf dem Papier viel her.
105 Nm Drehmoment, bis zu 1000 Watt Spitzenleistung!
Für Augenreiben dürften zunächst die technischen Daten sorgen: Laut DJI wiegt der Avinox-Motor gerade einmal 2,52 Kilo – und damit ungefähr so viel wie der neue ZF CentriX – hat aber satte 850 Watt Spitzenleistung (bei gesetzeskonformen 250 Watt Dauerleistung) und fette 105 Nm Drehmoment. Im zeitgleich vorgestellten Amflow-E-MTB sollen es gar bis zu 1000 Watt sein. Der Motor wird dabei entweder aus einem 600 oder 800 Wattstunden-Akku gespeist. Laut DJI setzt der Motor zusätzlich auf ein "innovatives Planetengetriebe" mit "leistungsstarken Zahnrädern aus Polymer" – was das genau bedeutet, verschweigt DJI noch.
Irre: Schnellladen in 1,5 Stunden!
Ebenfalls in die Vollen geht DJI beim Thema Akkuladen: Der große 800-Wh-Akku soll mit einem GaN-Schnelllader in superflotten eineinhalb Stunden von null auf 75 Prozent laden können. Das ist schwer in Relation zu setzen, da wir keine vergleichbaren Messwerte haben. Bosch gibt beispielsweise nur auf 50 oder 100 Prozent an, da dauert's bis 50 Prozent beispielsweise 2,3 Stunden mit dem 4-A-Ladegerät und dem 750-Wh-Stromfass. Ebenfalls nicht weniger beeindruckend dürfte das Gewicht des 800-Wh-Akkus sein: DJI verspricht 2,87 Kilo für den Stromspeicher.
Wie üblich: Konnektivität wird großgeschrieben
DJI bietet den Avinox-Motor mit einem zwei-Zoll-OLED-Display an, das als Schnittstelle des Systems dienen soll. Zusätzlich wird es noch eine App geben, in der man seine Fahrten aufzeichnen kann, die Unterstützungsstufen anpassen kann oder den Motor überprüfen kann. Auch Drittanbieter-Apps wie Strava werden unterstützt.
Welche Räder wird es mit DJI Avinox geben?
Bislang verbaut nur DJI den Avinox in ein eigens entwickeltes E-MTB namens "Amflow PL": Nur 19,2 Kilo soll es wiegen, der Rahmen gar sensationell-leichte 2,27 Kilo. Wie viel Federweg das Rad haben wird, darüber macht DJI indes noch keine Angaben. Was bekannt ist: Das Amflow rollt auf 29-Zöllern, optional ist auch ein 27,5"-Hinterrad dank eines nicht näher spezifizierten Flip-Chips möglich. Das Federwerk stammt von Fox und ist laut DJI auch von denen abgestimmt worden. Als Federweg gibt DJI mittlerweile 150 mm an.
Mit der neuen, eigenen E-Bike-Marke Amflow möchte DJI sein E-Bike-System im Markt platzieren, bekannt machen und natürlich auch positionieren. Die Macher hoffen auf die Abstrahleffekte der bekannten Drohnen. Getreu dem Motto: Mit uns bist du sicher, intuitiv und zuverlässig in der Luft unterwegs, das gelingt dir mit unserem System auch auf den Trails.
Das kosten die ersten E-MTBs mit dem DJI-Motor!
Seit Mitte September kommuniziert DJI auch endlich die Preise für die eigenen Amflow-E-MTBs: Das Amflow PL Carbon mit 800-Wh-Akku kostet konkurrenzfähige 6499 Euro, das Carbon Pro hingegen bereits saftige 9799 Euro mit 600er-Akku, den 800er gibt's für 200 Euro extra. Weitere E-MTBs mit DJIs Avinox findet ihr in der folgenden Sammel-News. Mit dabei: Räder von Forbidden und Edelschmiede Unno.