
Es lässt sich einfach nicht wegdiskutieren: Der Giro d’Italia ist die klare Nummer zwei.
Die zweitgrößte, zweitwichtigste und zweitberühmteste Rundfahrt der Welt – hinter der Tour de France. Eine unumstößliche Tatsache, die die radsportbegeisterten Tifosi lediglich mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nehmen.
Die Italiener vergöttern ihren Giro, der seit einem Jahrhundert jeden Frühling aufs Neue Heldensagen schreibt. Meist liegen die Schauplätze dafür in den Bergen: Über den Anstiegen der Alpen und Abruzzen stiegen schon die Sterne von Radsportheroen wie Bartali, Coppi, Merckx und Pantani auf.
Sie alle mussten sich mit ihren Rivalen an den Felsmassiven messen – Stilfser Joch, Passo di Pordoi und Mortirolo pflastern die Rundfahrt schon seit ihren Anfängen. Im neuen Jahrtausend ergänzt durch extreme Prüfungen wie der brutale Monte Zoncolan.
Diese Giro-Giganten entscheiden über Triumphe und Tränen, sie geben dem Giro d’Italia sein unverwechselbares Gesicht, sie lassen Fans aus der ganzen Welt mit ihren Idolen fiebern, feiern, aber auch verlieren.
Sich selbst diesen Herausforderungen zu stellen, gehört zum größten, was Rennradfahrer erleben können. Deshalb: Einfach das Rad schnappen, über den Brenner fahren und sich von der Faszination Giro d’Italia anstecken lassen!
Mögen die Franzosen auch das größte Rennen der Welt veranstalten und die höchsten Berge Europas haben. Die Seele des Radsports liegt in Italien und den Herzen dieser radsportverrückten Nation.
Forza Giro – vorwärts Radsport.
Passo di Gavia
Wenn Radfahrer im Frühsommer noch durch meterhohe weiße Wände fahren, stehen die Chancen gut, dass sie am Passo di Gavia unterwegs sind.
So war es auch am 5. Juni 1988, als sich die schmale Passstraße in einen Eiskanal verwandelte und ein Schneemann in kurzen Hosen Giro-Geschichte schrieb.
Andy Hampsten trotzte am Gavia der Eiseskälte, als Gegner einfroren und reihenweise aufgaben.
Dieser Wille brachte dem winterharten US-Amerikaner zwar leichte Erfrierungen ein, aber dafür auch das begehrte Rosa Trikot und schließlich den Gesamtsieg.
Wer dem Wetterbericht mehr Glauben schenkt als die Giro-Verantwortlichen, kann den Gavia als einen der schönsten Pässe der Alpen erleben.
Nur 3 Meter Breite misst das asphaltierte Sträßchen, dass in 2618 Meter über die Passhöhe führt. Doch wer die wilde Landschaft genießen will, braucht den Biss eines Andy Hampsten.
Rennradfahrer müssen knapp 1400 Höhenmeter sammeln, die es sich auf Rampen mit bis zu 16 Prozent zu verdienen gilt.
Pass: 2618 Meter hoch. Nordrampe von Bormio: 26 km, 1401 Hm/Südrampe von Ponte di Legno: 18 km, 1360 Hm
Tour: Wer eine Rundtour über den Passo di Gavia plant, muss wohl oder übel auch über den Mortirolo: 110 km, 3020 Hm.
Strecke: Bormio – Mazzo – Passo del Mortirolo – Monno – Ponte di Legno – Passo di Gavia – Bormio
Karte: Regionalkarte Nr. 2 Lombardei (Como–Mailand–
Brescia) Maßstab 1:200 000
Drei Zinnen
Als der Giro 1967 zum ersten Mal vom Misurina-See zu den Drei Zinnen abbog, spielten sich auf der Superstrada Panoramica skandalöse Szenen ab.
Die Fahrer waren so überrascht von den steilen Rampen, dass sie sich von Begleitfahrzeugen ziehen und von schreienden Fans schieben ließen. Die Etappe wurde annulliert.
Doch schon ein Jahr später stand die Stichstraße erneut im Streckenplan, und ein belgischer Jungprofi fraß Anstieg und Gegner förmlich auf.
Sein Name: Eddy Merckx.
Wenn nicht der Giro-Tross hier entlangrauscht, gehört die gut 7 Kilometer lange Straße, die auf 1750 Meter beginnt und unterhalb der Felsen auf einer Höhe von 2320 Meter endet, ganz den Touristen.
Da Autofahrer Maut zahlen müssen, haben Radler eine freie, aber auch anstrengende Fahrt vor sich: Gleich zu Beginn steigt die Straße kurzzeitig auf 12 Prozent an. Auf den finalen 4 Kilometern stehen dauerhaft zweistellige Zahlen in der Steigungsanzeige.
Pass: 2320 m hoch.
Stichstraße: 7,2 km, 628 Hm
Tour: Rund um den Monte Cristallo mit Abzweig „Drei Zinnen“: 51,5 km, 1393 Hm
Strecke: Cortina d’Ampezzo – Schluderbach – Misurina – Abzweig Drei Zinnen – Passo Tre Croci – Cortina d’Ampezzo
Karte: Falk Urlaubskarte Aldo Adige, Trentino, Dolomiti, Maßstab 1:150 000
Passo di Pordoi
Es sind die 33 Kehren des Campionissimo: Zwischen 1947 und 1954 erreichte der Italiener Fausto Coppi immer als Erster das Dach der Dolomiten, wenn der Giro über den Passo di Pordoi stürmte.
Grund genug, ihm ein Denkmal auf der Passhöhe zu setzen. 35-mal überquerte die Italien-Rundfahrt bereits den Pordoi – so oft wie keinen anderen Anstieg.
Diese Tatsache macht den Anstieg gleichermaßen zum Klassiker für Profis und das riesige Heer der Jedermänner.
Viele tausend Hobbyfahrer erklimmen jedes Jahr die rund 10 Kilometer lange Straße und die 637 Höhenmeter von Arabba zur Passhöhe, auf denen die Steigung immer einstellig bleibt. Entweder auf eigene Faust oder als Teilnehmer des Maratona dles Dolomites.
Aber den Pordoi sollte man nicht als einzelnen Pass in Angriff nehmen, schließlich ist er Teil einer der berühmtesten und schönsten Rennradrunden überhaupt: der Sella Ronda.
In Kombination mit dem Sellajoch, dem Grödner Joch und dem Passo di Campolongo führt eine 55 -Kilometer-Runde durch die Dolomiten, die durch die abwechslungsreiche und imposante Bergwelt das Auge verwöhnt und die Beine fordert.
Pass: 2239 Meter hoch.
Westrampe von Canazei: 12 km, 786 Hm/Ostrampe von Arabba: 9,4 km, 637 Hm
Tour: Den Passo Podoi nimmt am besten als Teil der Sella Ronda unter die Räder: 55 km mit 1800 Hm.
Strecke: Arabba – Passo Pordoi – Pian
Schiavaneis – Sellajoch – Grödner Joch – Corvara – Passo di Campolongo – Arabba
Karte: Bikeline Radatlas Südtirol, Maßstab 1:75 000, Verlag Esterbauer
Monte Zoncolan
Wenn ein Radprofi seinen Mechaniker um ein 36er-Kettenblatt oder ein 32er-Ritzel bittet, kann dies nur eines bedeuten: Es geht auf den Zoncolan.
Zweimal stand der Monsterberg im Streckenprofil des Giro, zweimal zitterten die Profis, zweimal hieß der Sieger Gilberto Simoni. „Die leichtesten Passagen am Zoncolan sind vergleichbar mit den schwierigsten Passagen bei der Tour“, lautet Simonis Einschätzung der Westrampe, die verdeutlicht, welch Quälerei hier wartet.
Der Skiberg im Friaul bringt selbst bergfeste Profis an die Grenzen des Machbaren. Bis zu 22 Prozent steile Rampen und kilometerlange Abschnitte mit durchschnittlichen Steigungswerten von über 15 Prozent bedeuten einen ultimativen Härtetest.
Wer hier nicht absteigt, tut dies nur aus Stolz. Um das Tempo kann es nicht gehen – wer laufen würde, wäre auch nicht langsamer.
Pass: 1750 Meter hoch. Westrampe von Ovaro: 10 km, 1210 Hm/Ostrampe von Sutrio: 13,3 km, 1192 Hm
Tour: Die Runde des Granfondo „Carnia Classic Zoncolan“ hat 140 km und 3480 Hm
Strecke: Tolmezzo – Villa Santina – Ampezzo – Sauris di Sotto – Casera Razzo – Prato Carnico – Ovaro – Zoncolan – Sutio – Paluzza – Ligosullo – Paularo – Salino – Zuglio – Tolmezzo
Karte: Regionalkarte Nr. 5 Friaul-Julisch Venetien, Maßstab 1:200 000
Stilfser Joch
Wann immer das Stilfser Joch im Roadbook des Giro auftaucht, gilt es, am Gipfel eine Trophäe zu erobern: die „Cima Coppi“.
Jenen Preis, der seit 1965 zu Ehren des „Campionissimo“ Fausto Coppi Jahr für Jahr auf dem Dach der Rundfahrt vergeben wird. Näher als auf der Passhöhe des „Stelvio“ können Radfahrer in Italien dem Himmel nicht kommen.
Ausgerechnet bei der Giro-Premiere des Passes im Jahr 1953 zeigte Coppi eine seiner letzten Großtaten und sicherte sich dort mit dem Sieg seinen fünften und letzten Gesamterfolg bei der Italien-Rundfahrt.
„Ich glaubte zu sterben“, beschrieb Coppi seine furiose Flucht durch die 48 Kehren. Ein Gefühl, auf das sich auch Hobby-Rennradfahrer einstellen können, die sich mit der „Königin der Alpenpässe“ anlegen.
Zwar beträgt die Durchschnittssteigung nur 8 Prozent, aber auf den rund 25 Kilometern zwischen Prad und Passschild zermürben immer wieder Rampen mit bis zu 15 Prozent Steigung. Diese 1844 Höhenmeter sind Pflicht für jeden Pässesammler!
Pass: 2758 Meter hoch. Nordrampe von Prad: 24,6 km, 1844 Hm/ Südrampe von Bormio: 21,5 km
Tour: Kurze, aber sehr knackige Kletterrunde, mit Anstieg auf der klassischen Seite des Stilfser Jochs: 65,5 km, 2042 Hm
Strecke: Laatsch – Prad – Stilfser Joch – Umbrailpass – St. Maria – Münster – Laatsch
Karte: Regionalkarte Nr. 2 Lombardei (Como–Mailand– Brescia) Maßstab 1:200 000
Passo del Mortirolo
Wie muss es sich wohl anfühlen, am Abend vor der Königsetappe ein Streckenprofil zu studieren, das einen Anstieg aufführt, der im Durchschnitt über 10 Prozent steil ist? Vor allem, wenn es davor zum „Aufwärmen“ über das Stilfser Joch geht?
Angst wäre verständlich, aber einen kleinen Mann von der Adria scheint diese Aussicht beflügelt zu haben. 1994 flog Marco Pantani über die bis zu 18 Prozent steilen Rampen des Mortirolo – und siegte.
Selbst der Tourminator Lance Armstrong, der den Pass im Training bewältigte, sprach später vom härtesten Anstieg, den er je gefahren sei.
Für den Autoverkehr ist die Verbindung zwischen dem Veltin und dem Val Camonica nahezu unbedeutend. Für sportliche Pässesammler gehört sie zu den bedeutendsten Trophäen.
Pass: 1852 Meter hoch. Westrampe von Mazzo:
12,4 km, 1300 Hm/ Südrampe von Monno:
12,5 km, 1000 Hm
Tour: Die Kombination mit dem Gavia ist ein Klassiker: 110 km, 3020 Hm
Strecke: Bormio – Mazzo – Passo del Mortirolo – Monno – Ponte di Legno – Passo di Gavia – Bormio
Karte: Regionalkarte Nr. 2 Lombardei (Como–Mailand– Brescia) 1:200 000
Blockhaus
Hätten die Giro-Favoriten von 1967 ihre härtesten Gegner aufzählen sollen, wäre ihnen der Name Eddy Merckx nicht in den Sinn gekommen.
Und genau so verhält es sich mit dem Blockhaus, wenn man an die schwersten Rennradfahrer-Berge denkt. Dabei ist der Abruzzen-Anstieg, an dem Merckx seinen ersten Klettersieg feierte, eine echte Prüfung.
Auf der Westseite gilt es, satte 2031 Höhenmeter zu überwinden. Eine Gelegenheit, die sich nur an ganz wenigen Orten in Europa bietet.
Pass: 2068 Meter hoch. Rampe von Scafa: 31,7 km, 2031 Hm/Rampe von Lettomanoppello: 23,2 km, 1792 Hm/Rampe von Fara Filiorum Petri: 29,7 km, 1858 Hm
Tour:
In diesem Jahr bietet sich die Original-Etappe an: 79 km und 2400 Hm
Strecke:
Chieti – Pescara – Francavilla a. M. – Sant’Eufemia – Rapino – Pretoro – Passo Lanciano – Blockhaus
Karte:
Die Generalkarte Italien 6, 1:200 000