Welche Rolle spielen Zyklus und Hormonschwankungen für das Training im professionellen Frauenradsport? Dazu haben wir Rutger Tijssen, Team Manager bei Visma Lease a Bike, gesprochen.
Interview
Welche Rolle spielt der Zyklus für professionelle Rennfahrerinnen?Ein regelmäßiger Zyklus ist ein gutes Zeichen. Das ist sicherlich nicht überall so, aber in unserem Team sprechen wir sehr offen darüber, denn die Periode gehört für Frauen zum Leben dazu und sollte auch vorhanden sein. Natürlich ist das auch ein Faktor, auf den wir gelegentlich Rücksicht nehmen müssen, deswegen arbeiten wir eng mit den einzelnen Fahrerinnen und Spezialisten zusammen, um bestmöglich damit umzugehen. Auch das gehört zur ganzheitlichen Herangehensweise unseres Teams. Generell ist die Periode ein wichtiges Signal für gute Gesundheit, daher hoffe ich, dass alle Fahrerinnen sie bekommen. Fällt sie mehrere Monate aus, gehen die Alarmglocken an. Das ist ein Warnsignal, dass etwas nicht stimmt, dass die Sportlerin womöglich für ihr Trainingsvolumen zu wenig Energie aufnimmt. Deswegen achten wir sehr genau darauf und sehen es als frühzeitiges Warnzeichen [Anm. d. Red.: für die Erkrankung RED-S, vgl. auch RB 10/23].
Ich würde nicht sagen, dass wir bei Fahrerinnen mit hormoneller Verhütung große Effekte spüren. Fahrerinnen, die Hormonpräparate nehmen, haben vielleicht etwas mehr Kontrolle und können ihre Leistungsfähigkeit für wichtige Renntermine besser steuern, aber das ist jeder Athletin selbst überlassen und sollte sich in einem engen Rahmen von ein paar Tagen bewegen. Viel wichtiger ist die Frage: Was ist gesund? Denn ich sehe mich auch in der Verantwortung, sicherzustellen, dass die Athletinnen auch nach der sportlichen Karriere noch ein gutes Leben haben. Daher halte ich nichts davon, im großen Stil mit dem Hormonsystem "herumzuspielen". Wir müssen uns bewusst sein, dass das langfristige Auswirkungen haben kann.
Natürlich gibt es physiologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern, hauptsächlich mit Blick auf die Hormone. Doch alle unsere Rennfahrer sind in erster Linie Athleten, die individuelle Betreuung brauchen. Unterschiede in der Veranlagung, Leistungsfähigkeit und Entwicklungsstufe bedürfen individueller Trainingssteuerung, damit sich jede Fahrerin und jeder Fahrer optimal entwickelt. Dabei spielt es für die Trainingsumfänge keine Rolle, ob ich eine Frau oder einen Mann vor mir habe, das Niveau im Training ist heute dasselbe.
Ob Frauen aufgrund physiologischer Unterschiede anders trainieren, lässt sich nicht pauschal sagen. Der Testosteronlevel etwa hat großen Einfluss auf die Sprintleistung, daher könnte man bei den Fahrerinnen davon ausgehen, dass die Erholung und die anabole Reaktion des Körpers für den Muskelaufbau womöglich etwas länger dauern. Doch jede Fahrerin hat je nach Veranlagung eigene Stärken und Schwächen und daher eigene Entwicklungsziele.
Noch nicht, denn eine Abstimmung des Trainingsplans auf verschiedene Zyklusphasen erfordert ein sehr hohes Maß an Individualität und ist komplex, besonders bei mehr als einem Dutzend Fahrerinnen. Dennoch sehen wir hier großes Potenzial und möchten diesen Schritt in Zukunft gerne gehen. Aber wenn wir etwas machen, dann richtig, und das erfordert Zeit und einige Monate an individuellen Messungen und Tests als Vorbereitung. Langfristig wird sich der Aufwand aber mit Sicherheit bezahlt machen.

Dein Weg zur persönlichen Bestleistung
Ernährung
Es ist kein Geheimnis, dass die Ernährung von Athletinnen im Training und Rennen einen großen Unterschied machen kann“, sagt Sport- und Ernährungsmedizinerin Beate Zunner. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass Proteine bzw. Aminosäuren hier eine wichtige Rolle spielen. Das ist in der Wissenschaft keine neue Erkenntnis, umso verwunderlicher ist es, dass sich so viele Rennradfahrerinnen noch rein auf Kohlenhydrate als Wettkampfverpflegung konzentrieren. Außerdem ist es für Frauen sehr wichtig, auf gute Flüssigkeitsversorgung und effektive Kühlung im Rennen zu achten.
Kraft
Frauen verschenken oft viel Leistungspotenzial durch fehlendes Krafttraining, womöglich aus der Angst heraus, zu muskulös zu werden“, weiß Athletiktrainer Steffen Conrad. „Da Frauen eher eine Ausdauerveranlagung haben, kann bereits ein kurzes, intensives Krafttraining von Beinen und Hüftstreckern erhebliche Leistungsverbesserung auf dem Rad bewirken – ohne Muskelberge aufzubauen.
Anpassung an den Zyklus
Ich trainiere seit einigen Jahren nach meinem Zyklus und kann es nur empfehlen“, rät die ambitionierte Triathletin und Rennradfahrerin Rebecca Sack. „Mein Training ist so ausgelegt, dass die erste Zyklushälfte viel Intensität beinhaltet, auch im Krafttraining. In Woche 3 sind Einheiten wie Kraftausdauer/Umfänge noch ganz gut möglich, in Woche 1 und 2 bin ich aber einfach stärker, das ist durch Zahlen belegt. Die 4. Zykluswoche ist meine Entlastungswoche.
Konkret gefragt: Was tun, wenn ich am Wettkampftag meine Periode habe?
Zuerst einmal heißt es, Ruhe bewahren“, sagt Beate Zunner. „Der Beginn des neuen Zyklus muss kein Hindernis, sondern kann sogar ein guter Zeitpunkt für einen Wettkampf sein. Dabei ist es natürlich sehr individuell, wie leistungsfähig du in den ersten Tagen der Periode bist: Geringe bis moderate Schmerzen können durch etwas Bewegung und Tee bereits abgemildert werden, sodass deinem Rennen nichts im Weg steht. Sind die Schmerzen so stark, dass an Radfahren kaum zu denken ist, musst du ehrlich zu dir selbst sein. Und solltest dir womöglich einen Ruhetag gönnen, auch wenn die Versuchung groß ist, zu Schmerzmitteln wie Ibuprofen, Buscopan und Co. zu greifen. Sei dir bewusst, dass sich diese Wirkstoffe sehr schlecht mit intensiver Belastung vertragen und aus einem schlechten Tag keinen Rekordtag machen werden. Höre auf deinen Körper! Und mach, was am besten für deine Gesundheit ist.