Das Projekt
Eine Saison lang trainiert Redakteur Moritz Pfeiffer angeleitet vom Radlabor streng nach Plan: 5–10 Stunden pro Woche im Familien- und Berufsalltag. Leistungsexplosion oder Stimmungskiller? Die Ziele: Eschborn–Frankfurt und der Granfondo La Stelvio Santini. Ein Selbstversuch zum Mitmachen.
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Noch besser in Form kommen mit diesen Tipps:
Fokuswechsel
Zur Erinnerung: Die erste, zehn Wochen dauernde Grundlagenphase meines Projektes "Trainieren nach Plan" war eine Mischung aus ruhigen GA-Einheiten und hochintensivem Intervalltraining. Ziel: die maximale Sauerstoffaufnahme sowie die Laktattoleranz zu verbessern (vgl. Infos und Workouts siehe entsprechende Artikel). Nun rückt das Haupttrainingsziel immer näher: der Granfondo La Stelvio Santini. Um die 130 Kilometer und 4270 Höhenmeter über den Mortirolopass und das Stilfser Joch erfolgreich zu meistern, verschiebt sich nun für mich und für alle, die mittrainieren, der Schwerpunkt des Trainings: Die konkrete Aufbauphase in Richtung Alpen-Radmarathon beginnt. "Das bedeutet: weniger kurze und hochintensive Einheiten, dafür längere, ruhigere Touren, mehr Höhenmeter, lange Intervalle an der Schwelle", erklärt Michi Ecklmaier, Trainingswissenschaftler und Coach beim Radlabor in München. Gleichzeitig hat die Rennsaison begonnen: Eine Vielzahl an Events lockt Woche für Woche. Wie man die "richtigen" aussucht und wie man diese angehen sollte, verrät Coach Ecklmaier im Interview.
Das Experteninterview: "Der Trainingsfokus verschiebt sich – und erste Wettkämpfe stehen an."
Sportwissenschaftler Michael "Michi" Ecklmaier ist Trainer beim Radlabor in München, coacht Redakteur Moritz Pfeiffer und bietet im Interview Hilfe zur Selbsthilfe.
ROADBIKE: Inwiefern ändert sich das Training, je näher der Hauptwettkampf rückt?
Michi Ecklmaier: In der Aufbauphase wird spezifischer trainiert – die Trainingsinhalte konzentrieren sich auf das, was auch beim Haupttrainingsziel abgerufen werden muss. Beispiel Radmarathon: Wer über 100 Kilometer in den Alpen fahren will, muss vorher auch mal längere Distanzen mit mehr Höhenmetern fahren. Nur einstündige Rolleneinheiten holen nicht das Optimum raus, egal wie clever sie konzipiert sind. Trotzdem bleibt auch Intervalltraining wichtig – allerdings seltener mit hochintensiven Workouts, vielmehr trainiert man nun jene Bereiche, in denen man mehrheitlich beim Hauptevent fährt. Um beim Beispiel Radmarathon zu bleiben: lange GA2-Einheiten mit bis zu 40 Minuten Länge, kraftorientierte Workouts an der Schwelle oder auch mal Ermüdungsintervalle, sprich: Man fängt erst mit den Workouts an, wenn man schon drei Stunden im Sattel gesessen hat. Und entsprechend angeknockt ist.
Gibt es eine Mindestzahl an Wochentrainingsstunden, die man aufbringen muss, wenn man für einen Radmarathon trainiert?
Eine pauschale Untergrenze gibt es nicht, denn die benötigte Trainingsdauer hängt stark von derindividuellen Trainierbarkeit ab – manche Menschen reagieren stärker und schneller auf Trainingsreize als andere. Und natürlich reichen im Winter weniger Wochenstunden als im Sommer.Um dennoch eine Orientierung zu geben: Meiner Erfahrung nach sollten es schon um die sieben bis acht Wochenstunden sein, um gut durchzukommen.
Muss man vorab schon einmal die komplette Distanz oder Höhenmeterzahl des Trainingsziels gefahren sein?
Es schadet nicht, ist aber auch keine zwingende Voraussetzung. Und je nachdem, wo man wohnt, ist es topografisch ja vielleicht auch gar nicht möglich, die kompletten Höhenmeter schon mal zu fahren. Die gute Nachricht: Am Tag X hat man immer mehr im Tank, als man denkt: die Euphorie des Augenblicks, die Sogwirkung des Pelotons, vielleicht sogar abgesperrte Straßen... Ich empfehle, vorab eine Wettkampfsimulation durchzuspielen, bei der man dann bis zu zwei Drittel der Zieldistanz bzw. Höhenmeter absolviert.
Welchen Zweck verfolgt das?
Einerseits den profanen Trainingszweck, den Körper vorzubereiten – ein großer Trainingsreiz, der mit entsprechender Regeneration fitter macht. Andererseits ist es mindestens ebenso wichtig, Material, Bekleidung und Ernährung auszuprobieren. Damit man keine Überraschungen erlebt, wenn’s darauf ankommt. Kriege ich meinen leichtesten Berggang auch am vierten oder fünften langen Anstieg des Tages noch flüssig getreten? Wie vertragen sich mein Hintern und das Radhosenpolster nach 120 Kilometern im Sattel? Und braucht mein Magen nach fünf Stunden Riegel oder Gels, Süßes oder Herzhaftes, um mir die notwendige Energie bereitstellen zu können? Bei so einem Anlass kann und darf man auch mal Fehler machen – um hinterher schlauer zu sein. Diese Simulation kann übrigens eine besonders lange Trainingsfahrt sein – alleine oder in einer vom Tempo her gut passenden Gruppe. Oder auch ein Trainingswettkampf.
Wie wähle ich die richtigen Trainingswettkämpfe aus?
Im Idealfall haben diese ein ähnliches Anforderungsprofil wie der Hauptwettkampf, sind aber deutlich kürzer. Wichtig ist, sich vorher zu überlegen, mit welchem Ziel man in Trainingswettkämpfe geht: Möchte man eine gute Platzierung erreichen, eine bestimmte Zeit fahren oder nur trainieren? Mein Tipp: keine völlig andere Zielsetzung verfolgen als im Hauptwettkampf! Ebenfalls wichtig: Wie viele Vorbereitungswettkämpfe will man absolvieren? Eine pauschale Antwort, was richtig ist, gibt’s nicht. Denn manche Menschen brauchen solche Zwischenziele, um sich zu motivieren, andere hingegen verlieren dadurch den Fokus auf das eigentliche Saisonziel. Man sollte allerdings vermeiden, wegen zu vieler Wettkämpfe vorab bereits körperlich und auch mental erschöpft in das Hauptevent zu gehen. Je nach Saisonziel rate ich, zwei oder drei kürzere Prio-C-Events auszuwählen, um ohne Ergebnisdruck in Stimmung zu kommen und dabei Routinen zu entwickeln. Sich danach ein- oder höchstens zweimal bei einem mittellangen Prio-B-Wettkampf gezielt zu testen, um schließlich im Prio-A-Saisonziel alles rauszuhauen.

ROADBIKE-Redakteur Moritz Pfeiffer - mit weißem Helm und schwarzem Trikot mit roten Armringen - im April 2024 beim Schwarzbräu Straßenpreis des RV Phönix Augsburg in Zusmarshausen.
Erste Wettkämpfe
Fehler lieber machen, wenn es nicht unbedingt drauf ankommt: Diese Vorgabe setze ich für meinen Geschmack fast schon zu gut bei meinem ersten Wettkampf des Jahres um – beim Rundstreckenrennen in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Bei acht Grad und strömendem Regen esse ich vorab zu wenig, fahre mich zu wenig warm und kämpfe unmittelbar vor dem Start noch mit technischen Widrigkeiten. Folgerichtig werde ich im Rennen paniert: leere Energiespeicher, Zitterbeine, fehlender Fokus, 37er-Schnitt statt – wie im Vorjahr – 39er, 230 Watt durchschnittliche Leistung statt 291. Am Ende werde ich mit zwei Runden Rückstand auf die Spitze 23. – von 30 gestarteten Fahrern.

Acht Grad, Regen, Wind - der Große Osterpreis der Bade- und Rotweinstadt Ahrweiler ausgerichtet vom RSV Sturmvogel stand 2024 unter keinem guten Stern. Redakteur Moritz Pfeiffer ganz links im Bild.
Beim Lizenzrennen in Zusmarshausen läuft es dafür erheblich besser: Bei allen drei Passagen über den Scharfrichter – den 800 Meter langen, bis zu 15 Prozent steilen Kaiserberg – bin ich teils deutlich schneller als im Vorjahr, statt frühzeitig abgehängt und alleine unterwegs zu sein, fahre ich lange im Hauptfeld bzw. in Gruppen mit. Auch wenn zur ersten Gruppe noch viel Luft bleibt, geht es mit gutem Gefühl in die nächste Trainingsphase und das Jedermann-Rennen Eschborn–Frankfurt (fand nach Redaktionsschluss für diesen Artikel statt).
Die Workouts der Aufbauphase
Länger, dafür in der Regel ruhiger sind die Workouts in der wichtigen Aufbauphase – den lezten acht Wochen vor dem Radmarathon. Mehrheitlich finden diese Einheiten draußen statt, die Rolle kommt seltener zum Einsatz.

Beim K3-Training fährt man mit sehr niedriger Trittfrequenz. Der hohe Krafteinsatz fordert die Muskeln und senkt die Laktatbildungsrate. Um das Training sauber auszuführen, fährt man am besten einen Anstieg mehrmals nacheinander. In den Pausen hochfrequent pedalieren. Die Belastung mit der Zeit auf bis zu 10 Minuten verlängern.

Wer bei einem Radmarathon fünf Stunden und länger im Sattel sitzt, muss auch bei fortschreitender Distanz und Dauer kräftig in die Pedale treten können. Genau diese Ermüdungswiderstandsfähigkeit trainieren diese Einheiten, die man je nach Körpergefühl im GA2- bis EB-Bereich fahren kann – und auch auf bis zu 40 Minuten verlängern kann.

Nicht durch den Maßstab täuschen lassen: Die fünf 30-Sekunden-Sprints sind All-out. Alles, was geht, mit unvollständiger Erholung. Das tut schweinisch weh, daher auch der von Coach Michi Ecklmaier erfundene Name für dieses „Ekeltraining“. Ziel der langen, anaeroben Sprintsmit mit jeweils „nur“ fünf Minuten Pause: die Laktatbildungsrate zu drücken.