Wer sich auf den Straßen der Republik umschaut, sieht sie immer häufiger: Menschen auf High-End-Rennrädern und in stylishen Rad-Klamotten verpackt. Vorbei die Zeiten, als Rennräder irgendwie nach Midlife-Crisis und verpasstem Tour-de-France-Traum rochen. Heute rollt das Rennrad blitzblank gewienert und mit breiter Brust durch Stadt und Land – und zwar nicht nur als Sportgerät, sondern als Lifestyle-Statement, Outdoor-Fitnessstudio und Statussymbol in einem.
Der Schweiß hat wieder Stil
Fitnessstudios sind out (darüber lässt sich bekanntlich streiten), Straßenkilometer sind in. Wer was auf sich hält, tritt heute stilecht mit Aero-Helm, Kompressionssocken und Carbon-Rahmen über die Landstraße – am besten mit Sonnenuntergang im Rücken und der Strava-App im Anschlag. "Bist du nicht auf Strava, bist du nicht gefahren," ist einer der Sprüche aus der florierenden Rennradszene. Rennradfahren ist das neue Joggen, nur mit mehr Coolness, höherem Puls und besseren Insta-Stories.

Blitzeblank geputzt geht es heutzutage mit den Renn-Boliden gerne mal ins Café.
Lifestyle mit Klickpedalen
Es geht längst nicht mehr nur ums reine Training. Rennradfahren ist zum Ausdruck eines ganzen Lebensgefühls geworden: Disziplin, Minimalismus, Freiheit. Der Look? Möglichst clean und aerodynamisch. Die angesagten Modemarken rufen Preise auf, dass es einem schwindelig wird. Früher kaufte man sich davon ein ganzes Rad, heute ist es nur die Bib, mit etwas Glück ist noch die linke Socke drin. Doch der Preis scheint (fast) egal, Hauptsache, man ist dabei.
Das Ganze muss dann in jeder Position (im schweißtreibenden Wiegetritt, von links, rechts, oben, unten, per Drohne, per Actioncam und am besten noch aus dem All) in den einschlägigen Sozialen Medien jedem mitgeteilt werden, der gerade die Nase vor dem Smartphone hält. Mancher Content ist sicherlich cool und bietet Mehrwert, vieles aber auch nicht. Es spielt scheinbar keine Rolle.

Die Profis machen's vor, wie es geht. Zum harten Training gehört auch cooles Chillen im Team-Dresscode.
Carbon ist das neue Chrom
Früher war es das Auto, heute ist es das Bike. Ein feines Rennrad mit sündhaft teurer elektronischer Schaltung, Hochprofil-Laufrädern und handgefertigtem Rahmen? Das sagt mehr über den Lifestyle eines Fahrers aus als jeder SUV. Es zeigt: Derjenige achtet auf Technik, Stil, Gesundheit – und auf sich selbst. In manchen Kreisen ist das Rennrad inzwischen so etwas wie die mechanische Rolex für die Beine. Oder muss dann doch für die Midlife-Crisis Einzelner herhalten.

Schnittig, aber teuer: die angesagten Radklamotten kosten teils ein Vermögen.
Pandemie-Kick und Alpenziele
Dass Corona dem Rad einen Extraschub gegeben hat, ist kein Geheimnis. Plötzlich war da diese neue Lust am Draußensein, an der körperlichen Herausforderung – aber mit Abstand bitte. Der Boom blieb auch nach der Pandemie. Ein Segen. Die Communitys wuchsen und wachsen weiter. Zahlreiche Community- oder Social-Rides sprießen aus dem Boden und sind der momentan "heiße Scheiß". Und wer sich einmal einen fiesen Anstieg hochgequält hat und oben mit zittrigen Beinen und breitem Grinsen herunterblickt, weiß: Das ist mehr als Sport. Das ist Suchtstoff auf zwei Rädern. Gut so.
Meinung

Manches oben aufgezählte mag überspitzt sein, doch ein Körnchen Wahrheit steckt dort sicherlich drin. Das Rennrad ist mittlerweile mehr als ein reinrassiges Fortbewegungsmittel für die spezielle Klientel der Radsportler. Dass es als neues Statussymbol taugt, kann nicht geleugnet werden. Doch es ist auch schön mitanzusehen, wie es erneut im Mainstream ankommt. Nach Jahren des unwürdigen, mit hochgezogenen Augenbrauen Herabblickens - aus Gründen.
Jetzt trifft dieses ganz und gar wunderbare Gerät wieder den Zeitgeist von unterschiedlichen Generationen. Das Rennrad steht für gesundheitsbewusste, sportliche Bewegung, Lifestyle, top-moderner Mode und Genuss – sowie Freud und Leid am Limit der eigenen Beine. Wer einmal aufgesattelt hat, steigt so schnell nicht mehr ab.