Mallorca – von vielen als Radsport-Mekka mit mildem Klima, Traumstrecken und nahezu garantierter Sonne geliebt – steht zunehmend im Spannungsfeld zwischen sportlicher Faszination und lokalem Widerstand. Rennradfahrer genießen die Insel wie ein riesiges, abwechslungsreiches Trainingscamp unter freiem Himmel. Gepaart mit dem Gesamttourismus bringt dies Konfliktstoff mit sich.

Traumhafte Buchten locken zahlreiche (Rad)Touristen nach Mallorca. Doch der Massentourismus hat auch Schattenseiten.
Mallorca zwischen Speichen und Spannungen
Die Morgensonne taucht die Küstenstraße zum Cap de Formentor in goldenes Licht. Salzwassergeruch liegt in der Luft, die Wellen glitzern – und dann kommt sie, die Karawane aus Carbon und Lycra. Zwei Dutzend Rennradfahrer rauschen im gleichmäßigen Tritt durch die erste Kurve, Räder surren, Trikots flattern. Für die einen ist es das Geräusch purer Freiheit, für andere der Sound touristischer Überfüllung.
Mallorca erlebt 2025 einen Boom, wie ihn selbst die Tourismusrekorde der vergangenen Jahre kaum kannten. Spanien begrüßte allein im ersten Halbjahr 44,5 Millionen internationale Gäste, ein Plus von 4,7 Prozent. Die Balearen waren Spitzenreiter: 2,26 Millionen ausländische Besucher im Juni, 2,83 Milliarden Euro Umsatz – und eine wachsende Zahl an genervten Einheimischen.
Nicht zu unterschätzen ist dabei der wirtschaftliche Faktor allein durch den Radtourismus. Lag der Umsatz der Insel 2019 noch bei rund 180 Millionen Euro, wurden 2023 rund 300 Millionen Euro nur in diesem Wirtschaftszweig umgesetzt.
Worum es bei den Protesten geht
Trotz dieses enormen finanziellen Profitierens sind die Probleme handfest und wir als Radsportler genauso Teil des Tourismus wie alle anderen Gäste der Insel: Ferienwohnungen verdrängen Mieter, Mieten steigen, und Hotspots wie die Caló des Moro platzen aus allen Nähten. Bis zu 4.000 Menschen drängen sich dort an der beliebten "Insta-Bucht" an manchen Tagen – genug, dass die Insel die Zusammenarbeit sogar mit Influencern beendete. Die nachhaltige Tourismusabgabe ("Ecotasa") wird in der Hochsaison angehoben, Zufahrten wie zum Cap de Formentor werden für Autos stundenweise gesperrt.

Im Juni dieses Jahres entlud sich die Wut der Einwohner gegenüber dem Tourismussektor in aufsenerregenden Protesten. Die Wortwahl auf den Plakaten war oft harsch, gerade Deutsche Touristen wurden aufgefordert nach Hause zu gehen. Restaurants im ausländischen Besitz wurden mit Parolen beschmiert. Die Fronten sind verhärtet.
Am 15. Juni dieses Jahres machten in Palma Tausende ihrem Ärger Luft. Mit Transparenten und klaren Worten, gerade auch gegen den überbordenden deutschen Tourismus, forderten sie eine neue Balance zwischen Besuchern und Bewohnern, zwischen Wirtschaftskraft und Lebensqualität. Nicht der Urlaub ist das Problem, sondern seine Dosis.
"Overtourism" ist das Schlagwort. Das bedeutet, dass viel zu viele Touristen auf ein kleines Reiseziel, in dem Fall Mallorca, treffen und somit für eine enorme Überlastung der Infrastruktur sorgen. Hinzu kommt eine gravierende, negative Auswirkung auf die Umwelt und das Leben der ansässigen Menschen.
Eine starke Lärmbelästigung, zu viel Müll und auch ein enormer Parkplatzdruck sind daher weitere Punkte auf der Liste, die die einheimische Bevölkerung zu massiven Beschwerden veranlassen. Und vor allem die horrenden Mietpreise, die es den Einheimischen immer schwieriger machen, adäquaten Wohnraum zu finden und bezahlen zu können. Sie fordern mehr Rücksicht und eine geregelte Nutzung öffentlicher Flächen und Regulierung der Mieten.
Was Rennradfahrer damit zu tun haben
Für Rennradfahrer ist das eine heikle Ausgangslage. Vor allem der Norden um Alcúdia und Can Picafort verzeichnet seit Jahresbeginn rund 30 Prozent mehr Radsportgäste.
Die Serra de Tramuntana, der Puig Major und Formentor sind sportliche Pilgerstätten – und Konfliktzonen. Eng, kurvig, landschaftlich spektakulär, aber auch viel befahren von Pendlern und Lieferwagen.

Traumstraße für Rennradfahrer nach Sa Calobra. Wer die Straßen auf Mallorca für sich haben möchte, muss früh los. Sonst kann es, anders als auf dem Bild, sehr voll werden.
Das Cap de Formentor ist Sinnbild und Streitpunkt zugleich: Autos dürfen von Juni bis Oktober zwischen 10 und 22 Uhr nicht fahren, Radfahrer schon. Das entlastet zwar den motorisierten Verkehr, sorgt aber zu den Randzeiten für wahre Peloton-Staus. Autofahrer klagen über lange Überholmanöver, Einheimische über blockierte Dorfstraßen.
Dazu bewegen sich Rennradgruppen oft rasant, in enger Formation und mit hohem Tempo – das erzeugt sowohl akustische als auch visuelle Dominanz. Für Autofahrer wirken sie teils wie Hindernisse, für Fußgänger wie eine potenzielle Gefahr. Und natürlich lassen sich solch Gruppen von Rennradfahrern nicht einfach ausweichen wie einem einzelnen Radfahrer.
Vermeintliche Lösungen
Ja, auch wir Rennradfahrer dürfen uns deshalb einmal an die eigene Nase packen und vermehrt, wenn nicht sogar besser ganz und gar an die Regeln halten, um den Frust bei allen beteiligten Parteien nicht weiter zu befeuern. Rücksichtnahme sollte bei allen Credos sein. Doch in engen Gassen und auf schmalen Küstenstraßen ist Rücksicht von allen Verkehrsteilnehmern, oft leider keine Frage der Paragrafen, sondern der Haltung. Und genau dort entzündet sich der Konflikt.
Die Rennrad-Community bringt ohne Frage wirtschaftliche Impulse: Hotels, Fahrradverleih, Gastronomie und Werkstätten profitieren. Doch die Balance zwischen touristischem Nutzen und Alltagsleben gerät ins Wanken – wenn nicht mit Blick aufs Ganze gehandelt wird.
Mallorca muss auf Lenkung statt Verbot setzen – höhere Abgaben, strengere Vermietungsregeln, die Entzerrung von Hotspots. Ein langwieriger und schwieriger Prozess. Ob das am Ende reicht, wird sich zeigen müssen.

"Wir als Radsportler sind daher genauso gefordert. Das schließt das Verhalten als normaler Tourist ebenso mit ein. Wer grüßt, Platz macht und die Trittfrequenz auch mal drosselt, wird selten zum Problem. Und: Wer clever plant, früh startet, beliebte Routen zu bestimmten Zeiten meidet und die Regeln lebt, wird weiter das erleben, was die Insel für sie so besonders macht – ein Trainingsparadies im Mittelmeer. Und vielleicht, ganz nebenbei, auch dazu beitragen, dass Mallorca für die, die hier leben, ein Ort bleibt, an dem Alltag, Tourismus und Abenteuer nebeneinander Platz haben."
Interview mit Jan-Eric Schwarzer
Wir führten das ROADBIKE-Interview bereits in Ausgabe 3/25, aus dem aktuellen Anlass gibt es hier einen Auszug. Das komplette Interview kann auch hier im ROADBIKE-Podcast, Folge 166 angehört werden.
Jan-Eric Schwarzer: Mallorca ist wieder voll zurück im Radsportmodus. Ich würde sogar sagen, dass es noch voller ist als vor der Pandemie. Neben Deutschen, Briten oder Niederländern kommen auch immer mehr US-Amerikaner. Denn es gibt jetzt eine Direktverbindung nach New York.
Es gibt schon Veränderungen. Zum Beispiel haben wir jetzt mehr Radfahrer auf der Insel, aber weniger Radsportler. Also im Sinne von ambitionierten Athleten, die sich hier auf eine möglichst erfolgreiche Rennsaison vorbereiten.
Es gibt einfach mehr Menschen, denen der Stil wichtiger ist als die Leistung auf dem Rennrad. Also zum Beispiel die farblich zum Helm passenden Socken. Das kann aber auch ganz spannend sein, wenn die hier mal auf echte Radprofis treffen und sehen, wie der Hase wirklich läuft.
Ja klar, aber auch das hat sich verändert. Das Publikum ist insgesamt jünger geworden. Das sind heute weniger die Kunden der klassischen Radreiseanbieter, die geführte Touren anbieten. Die laden die Strecken eher auf ihren Radcomputer und fahren sie dann auf eigene Faust ab.
Die Mallorquiner selbst sind da eigentlich sehr geduldig und rücksichtsvoll. Das größere Problem sind eher die Touristen, die im Mietwagen auf den Straßen unterwegs sind. Aber die Geschichte hat natürlich auch zwei Seiten.
Die Straßen gehören ja nicht nur uns Radsportlern. Wenn ich zum Beispiel am Vormittag hoch zum Coll de Sa Bataia fahre, muss ich ja nicht unbedingt in der Straßenmitte fahren und den Verkehr blockieren. Auch hier gehört es sich eigentlich, wie gewohnt rechts zu fahren. Dann gibt’s auch keine Probleme.
Das ist ganz einfach: Später losfahren, wenn die großen Gruppen von den Hotels hier durch sind. Die starten in der Regel um 10 Uhr. Wer also etwas später aufs Rad steigt oder erst eine Schleife fährt, hat deutlich mehr Ruhe am Berg. Ganz abgesehen davon ist Mallorca groß. Es gibt noch so viele andere schöne Ecken auf der Insel.

Zur Person
Jan-Eric Schwarzer lebt seit 15 Jahren als Wahl-Mallorquiner auf der Insel. Der Ex-Radprofi führt das Radhotel MA13 und das Café Sa Mola 13 in Sineu. Zudem veranstaltet er das Bergzeitfahren Kill the Hill am Puig Major.