Das Testrad
Immer mehr Frauen fahren nicht nur einfach Rennrad, sondern starten mit Ambitionen bei Radrennen oder Radmarathons – und zeigen der männlichen Konkurrenz nicht selten das Hinterrad. Umso besser, dass es immer mehr dezidierte Wettkampfrennräder für Frauen gibt. Wie das Enviliv Advanced Pro AXS von Liv – einer Tochtermarke von Giant, die sich auf Frauenrennräder spezialisiert hat. Was der Aero-Renner im harten Praxiseinsatz zu bieten hat? Das klärt der 1000-Kilometertest mit unserer Testerin Lara.
Das verspricht der Hersteller
Liv will ein superschnelles Wettkampfrad gebaut haben, das nach eigener Aussage "optimal auf die Körpermaße von Frauen zugeschnitten" ist, mit "verbesserter Aerodynamik" aufwartet und den "goldenen Mittelweg findet von Steifigkeit und Gewicht" für höchste "Sprinteffizienz".

Ein Toprenner – wendig, schnell und auch optisch ein Hingucker. Nur die stotternde Bremse hat genervt – für unsichere Abfahrerinnen wäre die ein Super-GAU&9;... Laura von Kürten, Testerin
Der erste Eindruck des Liv Enviliv Advanced Pro
Schon im Stand sieht das Enviliv schnell aus – richtig schnell! Tragflächenförmige Aero-Profile, vollständige Integration der Bremsleitungen, D-förmige Shapes von Steuerrohr, Unterrohr und Sattelstütze, dazu die 50 Millimeter hohen Aero-Felgen. Dem Trend zu immer breiteren Reifen auch bei Wettkampfrädern widersetzt sich Liv: Das Enviliv rollt auf 25-mm-Pneus, werkseitig bereits tubeless montiert, inklusive Dichtmilch.
"Der erste Fahreindruck war überwiegend positiv", so Testfahrerin Lara. "Das Rad ist recht wendig, geht gut nach vorn, rollt sehr schnell. Nur die Bremsen fand ich vom ersten Tag an eher schlecht." (Siehe auch: "Der größte Aufreger")

Links: Die Bremse ruckelte allerdings vergleichsweise stark, die Vibrationen übertrugen sich auch auf das Rad. Mit anderen Scheiben war das Problem sofort verschwunden. Kein Fehler von Liv, dennoch ärgerlich. Mitte: Sattel und auch das Cockpit sind frauenspezifisch – und ernteten viel Lob. Rechts: Aero-Optimierung, wohin man schaut: das Steuerrohr tailliert, der Oberlenker abgeflacht, die Bremsleitungen integriert.
Die größte Überraschung
"Wie oft ich auf das Rad angesprochen wurde", schmunzelt Lara, "egal ob bei einem Besuch bei der Tour de France, bei Amateur- oder Hobbyrennen – immer wieder haben Leute das Rad intensiv begutachtet und positives Feedback gegeben. Das habe ich so noch nie erlebt!"

Marginal Gains: Auch die Flaschenhalter und Flaschen sind aerodynamisch optimiert.
Erfahrungen im Testverlauf
Insgesamt sogar 1528 Kilometer fuhr Lara von Kürten mit dem Liv Enviliv Advanced Pro – mehrheitlich in welligem Terrain bei Solo-Trainingsfahrten, aber auch mit Freund Jakob oder in der Gruppe. Highlights waren lange Tagestouren jenseits der 100 Kilometer im Schwarzwald und in den Vogesen. Dabei wuchs Testfahrerin Lara das Enviliv richtiggehend ans Herz: "Mir fällt es sehr schwer, mich von dem Rad zu trennen, am liebsten hätte ich es behalten – es macht einfach viel Spaß, trifft die goldene Mitte aus Speed und Laufruhe, Gewicht und Komfort." Diesen persönlichen Eindruck bestätigen die Werte aus dem Roadabike-Labor: Sowohl mit 7,6 Kilogramm für das Komplettrad ohne Pedale als auch mit 320 N/mm Komfort am Heck liefert das Enviliv sehr gute, wenn auch nicht herausragende Werte, die in der Praxis einem großen Nutzerinnenkreis entgegenkommen sollten. Zum sportlichen Fahreindruck tragen die mit 2674 Gramm Komplettgewicht recht leichten Laufräder stark bei. "Positiv: Trotz der 50-mm-Felge fahren sich die Laufräder sehr stabil", so das Urteil von Lara.

Links: Lara von Kürten ist Roadbike-Foto- und Testfahrerin. 8000 Rennradkilometer sammelt die Fachreferentin für Lebensmittelzertifizierung pro Jahr. Mitte: Die Felge ist trotz ihrer 50 mm Höhe fahrstabil, die Reifen kommen werkseitig tubeless. Rechts: Die Sram Force AXS-Gruppe gefiel mit knackigen Gangwechseln und geringem Verschleiß.
Der größte Aufreger
Zweifellos die Sram Force-Bremse. "Von Tag eins an war die Bremsleistung eher schwach", klagt Testfahrerin Lara. "Anfangs dachte ich, das System ist halt noch nicht eingebremst, aber es wurde im Testverlauf kaum besser. Vor allem die vordere Bremsscheibe hat geruckelt und vibriert, was sich bei längeren Abfahrten auf das ganze Rad übertragen hat. Je heißer die Scheibe wurde, umso stärker hat sie auch geknackt. Insgesamt eher unangenehm. Erfreulich: Mit neuen Scheiben war das Problem sofort weg." Roadbike-Werkstattchef Jens Kraft schmirgelte die Bremsbeläge ab und stellte einen leichten Schmierfilm auf den Scheiben fest, dessen Ursache nicht eindeutig zugeordnet werden konnte. Ein Ärgernis an einem neuen Rad und bedauerlich für Liv, für Sram, vor allem aber für Lara als betroffene Nutzerin. Davon abgesehen funktionierte die Sram Force AXS einwandfrei (siehe auch Test in RB 09/23).

Das Liv Enviliv Advanced Pro musste im Dauertest ordentlich Kilometer schrubben.
Versprechen gehalten? Alle Punkte im Check
👍 Wettkampfrad: Da gibt es nichts zu deuteln – das Enviliv liebt Geschwindigkeit, gefällt mit geringem Gewicht und hohen Steifigkeiten und ist ein heißer Tipp für ambitionierte Wettkämpferinnen. Allerdings sollten diese entweder über sehr viel Bums in den Beinen verfügen oder bei eher flachen Rennen am Start stehen, denn die Übersetzung ist fast schon zu konsequent auf Wettkampf ausgelegt: Mit 48/35er-Kurbel und vor allem 10–28er Kassette machen längere und/oder steilere Anstiege wenig Spaß, von Alpenpässen/-radmarathons ganz zu schweigen.
👍 Verbesserte Aerodynamik: Aero-Rohrformen, Systemintegration, Hochprofillaufräder – Liv spielt alle Karten für ein schnelles Rennrad aus. In der Praxis spürt man die Aero-Optimierung: im eigenen Drang, auch wegen des starken Vortriebs des Rads immer Höchstgeschwindigkeit anzupeilen. Oder am hohen Durchschnittstempo.
👉 Frauenspezifische Anbauteile: "Im Großen und Ganzen ja", urteilt Testfahrerin Lara von Kürten, "der Sattel ist sehr bequem, auch der Lenker liegt mit angepasstem Drop und Reach sehr gut in der Hand, die Griffe selbst könnten Frauen mit kleinen Händen aber zu groß sein.
Weitere Infos gibt es bei Liv