Wo einst Tabak und Seidenstrümpfe illegal über die Grenzen von Schweiz und Österreich gebracht wurden, radelt man heute ganz legal. Im 18. Jahrhundert wurde der Talschaft die von Kaiser Maximilian gewährte Zollfreiheit entzogen, und seitdem florierte, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, der Schmuggel. Doch die Geschichte des Paznaun reicht wesentlich weiter zurück. Bereits im 9. Jahrhundert wurde es von Rätoromanen über den Fimbapass aus dem Engadin her besiedelt und als Weidefläche genutzt. Der später emsig betriebene Schmuggel ist damit nur ein weiterer Eintrag im Geschichtsbuch des Tales, das sich scheinbar schon immer im steten Austausch mit dem Außen befand.

Der Tourismus ist wohl einfach die nächste Stufe. Ein weiterer Austausch und ein Prozess, der sich stets im Wandel befindet. Der Sommer ist hier stark vom Mountainbiken und anderen Bergsportarten geprägt. Und auch das geschieht übergreifend, immer im besagten Austausch. Nicht nur der Fimbapass dient mittlerweile als Übergang ins Engadin, auch über das Flimjoch gelangen Bergradler mittels ehemaliger Schmugglerpfade in die Schweiz.Und auch wieder zurück. Es ist nicht das erste Mal, dass ich hier oben stehe. Ich kann mich noch erinnern, wie ich vor ein paar Jahren mit Freunden zum Sonnenaufgang hier hoch kam. Im Dunkeln stiegen wir auf, und oben auf dem Joch warteten wir leicht fröstelnd zusammengekauert auf die wärmende Sonne. Noch bevor wir die ersten Strahlen erwischten, wurde uns gegenüber der 2900 Meter hohe Berglerkopf in der Verwallgruppe orange erleuchtet. Die Vorahnung auf Wärme stoppte unser Frösteln und wir begannen in uns hineinzugrinsen. Gleich würde es so weit sein. Und schließlich wurden auch wir in sanftes Morgenlicht getaucht.
Das Erbe der Schmuggler...
...und Säumer ist selbst hier auf der Höhe gegenwärtig. Der Schmugglertrail führt hinab ins Engadin, und kleine Hütten, die einst als Lager dienten, stehen noch immer. Wo damals 40 bis 50 Kilo schwere Rucksäcke mit Waren über den Berg getragen wurden, geben wir uns heute der Flow-Lust hin. Weiter geht es: Auf gut 2700 Metern startet der Flimjochtrail in beeindruckender, hochalpiner Landschaft. Er führt uns direkt von der Kammlinie bis zur 435 Meter tiefer gelegenen Idalp. In zahlreichen Kurven, Wellen und Anliegern windet er sich am Hang entlang, und wir müssen uns schon sehr konzentrieren, um nicht immer wieder auf die beeindruckenden Gegengipfel zu blicken. Mit über 2900 Meter Höhe hat es uns vor allem der Berglerkopf angetan. Noch immer wach ist meine Erinnerung an den einst erlebten Sonnenaufgang.

An der Idalp treffen wir eine Gruppe Alpencrosser. Bei Kaffee und Kuchen nehmen sie uns mit auf ihre Reise. Immer wieder ziehe es sie wegen der Mischung aus alten Schmugglergeschichten, kleinen Kapellen im Tal und der beeindruckenden Landschaft zwischen Verwall- und Silvrettagruppe ins Paznaun, erzählen sie. Ihre ersten beiden Überquerungen führten sie – so wie viele hundert andere Alpencrosser im Jahr – auf der "Joe"- und "Albrecht"-Route über den Fimbapass. Nun wollen sie mal etwas Neues, und so werden sie über das Flimjoch hinein ins Engadin queren.

Nach der kleinen Stärkung haben wir an der Idalp die Qual der Wahl. Wir können den Taja-Trail ins Tal nehmen oder noch einmal auf den Kamm zurückkehren und dem Velliltrail folgen. Wir entscheiden uns für den Taja-Trail, der uns bis zur gleichnamigen Alpe über zahlreiche Holzstege und durch sattgrüne Wiesen führt. Noch immer befinden wir uns über der Baumgrenze, und so gleitet mein Blick wieder und wieder über die Berge. Die Mischung aus Flow und technischer Herausforderung ist der ideale Abschluss für unsere Tour: erst hochalpine Felslandschaft, dann sattgrüne Wiesen und schließlich Wald. So hält das Tal nicht nur für unsere Alpenüberquerer, sondern auch für uns noch die ein oder andere Überraschung, den ein oder anderen Trail, den wir noch nicht gefahren sind, parat. Am Ende können wir wieder einen Weg von der Bucketlist streichen. Und zahlreiche weitere hinzunehmen. Den alten Schmugglern haben wir uns dabei stets verbunden gefühlt. Auch wenn unsere Rucksäcke wesentlich leichter waren.