Alpencross "Via Migra" im Detail:

Route: Acht Etappen führen von Mittenwald an den Monte Grappa. Daher der Name: Mi-Gra – Via Migra. Mit Karwendel, Zillertal, dem Alpenhauptkamm, den Dolomiten und schließlich dem Finale am Monte Grappa ist dieser Alpencross mit landschaftlichen wie fahrtechnischen Highlights nur so gespickt.
Charakter: Im vorgestellten Etappenschnitt konditionell wie fahrtechnisch sehr anspruchsvolle Route. Durch die vielen möglichen Varianten lässt sich die Strecke aber entschärfen – genauso, wie sich jederzeit ein Singletrail zusätzlich draufpacken lässt. Insgesamt bleibt die Via Migra aber auch in der leichtesten Streckenführung anspruchsvoll und ist daher eher nicht für Einsteiger geeignet.
Beste Reisezeit: Werden die höchsten Pässe gemieden, ist die Strecke ab Anfang Juli bis Mitte Oktober fahrbar, von Ende Juli bis Ende September dann komplett. Allerdings laufen ab Mitte September keine Seilbahnen mehr.
Anreise: per Auto oder per Bahn nach Mittenwald. Parken am Parkplatz P1 am Bahnhof Mittenwald.
Rückreise: am besten Shuttletransport buchen. www.bikeshuttle.it
Gepäcktransport: "Self guided package" mit Gepäck- und Rücktransport, ggf. Unterkünften bei www.bike-sportreisen.de
Unterkünfte: Liste der empfohlenen Unterkünfte unter www.via-migra.de
Guiding: geführte Tour bei www.bike-sportreisen.de
Karten: benötigte Karten unter www.via-migra.de
Führer: "Via Migra" von Ralf Glaser, ISBN 978-3-00-030173-5, 24,90 Euro, lieferbar ab Mitte März 2010.
GPS: Sämtliche Varianten des Alpencross zum Gratis-Download unter www.via-migra.de
Touren
Via-Migra-Reportage "Kreuzritter"





Alpencross "Via Migra" im Detail:
Den Witz mit den blauen Pillen habe ich diesen Sommer öfter gehört. Da schuftet man eine ganze Saison an einer Alpencross-Strecke, sammelt GPS-Daten, checkt Trails und sucht unermüdlich neue Streckenalternativen. Dann tauft man die acht Etappen von Mittenwald zum Monte Grappa, nichts Böses ahnend, "Via Migra" – und wird scheinheilig gefragt, ob man das Gewerbe wechseln wolle und nun Arzneimittel vertreibt? Schnöde Welt!
Egal. Ein wenig mehr Standvermögen könnte ich im Moment ganz gut gebrauchen. Die Beine sind dick. Der Rücken ist steif, und dieser Prügel von Anstieg will einfach nicht enden. Das Einzige, was mich aufrichtet, ist der Gedanke, dass dies der letzte Berg ist. Ginge es jetzt noch zwei Tage weiter, wer weiß, ob ich bei der Stange bliebe. Willkommen am Monte Grappa, auf der letzten Etappe der Via Migra!
Der Laubwald lichtet sich. Weit unten glitzert der Lago del Corlo, an dem wir vor zwei Stunden aufgebrochen sind. Richtung Norden verstellen die Dolomiten von Belluno den Horizont und den Blick auf die Strecke, die uns hierher geführt hat. Eine gute Woche sind wir jetzt unterwegs. Das scheint wenig und fühlt sich doch an wie eine Ewigkeit. Wir sind noch nicht einmal angekommen, doch die Erinnerungen verschmelzen schon jetzt zu einem der intensivsten Abenteuer meines Biker-Lebens.
Der gute Stern über dieser Unternehmung hatte sich lange nicht blicken lassen. "Zehn kleine Bikerlein" schien das Motto während der Organisation, denn Terminprobleme und zwei schwere Bike-Unfälle hatten das Teilnehmerfeld dieser Erstbefahrung gelichtet. Fehlte noch das Genua-Tief, das sich in der Woche vor Aufbruch nicht verziehen wollte, und die Moral war schon vor Tourstart auf eine Probe gestellt. Gewicht hin oder her: Voll banger Vorahnungen wanderten auch Goretex-Socken und Winterhandschuhe in den Rucksack.
Als am ersten Morgen ein pastellenes Blau durch den Mittenwalder Morgennebel schimmert, war die Überraschung perfekt. Sollte Petrus ein Einsehen haben? Bestens gelaunt cruisen wir zu viert in der morgendlichen Kühle durch die Isarauen Richtung Scharnitz. Gut, dass Bernd, Flo und Beat mit von der Partie sind.
Alle drei sind gestandene Mountainbiker und haben mich schon während der vielen Erkundungstouren der Strecke immer wieder begleitet. Wir sind als eingespieltes Team am Start. In Sachen Durchhaltevermögen muss ich mir also nur um mich selbst Sorgen machen.
Im Karwendeltal, Teil der Karwendelrunde, treffen wir die ersten Biker. Besser gesagt: Sie treffen uns. Denn in unserem gemütlichen Alpencross-Tempo fühlen wir uns wie ein Trabi auf der Autobahn. Immerhin: Ihr Grinsen ist ansteckend.
Der Klassiker legt sich ins Zeug. Keiner hat an diesem Tag mit Kaiserwetter gerechnet. Auf dem Trail vom Hochalmsattel und der langen Abfahrt durch das Johannestal kommt richtig Freude auf. Makellos blau spannt sich der Himmel über das Gemäuer der Karwendelkette. Die Ahornbäume im Engtal haben spätsommerliche Patina aufgelegt – ein Bild wie aus dem Hochglanzprospekt.
Erst vor der Binsalm zeigt das Karwendel richtig die Zähne und bremst uns vor dem Lamsenjoch gewaltig aus. Doch wer die Alpen liebt, der schiebt schon mal. Der ausgesetzte Trail zur Lamsenjochhütte, doch vor allem der ellenlange Downhill ins Inntal sind diesen Stress aber allemal wert.
In Weerberg wartet schon Siegi, der Fahrer unseres Begleitshuttles. Man gönnt sich ja sonst nichts! Doch da das Vinschger Urgestein 2010 den Gepäcktransport auf der Via Migra sichern soll, können ein paar Routenkenntnisse auch ihm nicht schaden. Was für ein Auftakt! Die erste Etappe des Alpencross ist also geschafft.
Immer wieder hatte ich mich während der letzten Jahre bei demselben Gedanken ertappt: „Wow! Dieser Trail in einem Alpencross – das wäre der Hammer!“ Irgendwann war es an der Zeit, diese Hammerstrecken zu einer Route zu verbinden. Keine leichte Übung, wie sich während der Planung herausstellen sollte.
Irgendwie wollten die Bausteine nicht zusammenpassen. Hammertrail A und Hammertrail B in einer Etappe? Viel zu hart, das geht nicht. Dann eben dort entlang. Aber dann lässt man ja jenes aus! Mist!
Es dauerte eine Zeit, bis ich bemerkte, dass ich eigentlich an mehreren Routen arbeitete. Und so wurde die Via Migra wieder zur Idee: Der eine will auf Schotterwegen heizen, der andere liebt technische Trails. Das Nordwandgesicht trägt sein Bike, während der Endurist mit Handkuss in die Seilbahn steigt.
Doch während der eierlegende Wollmilchsau-Alpencross Wunschdenken bleibt, gibt es zwischen Mittenwald und Monte Grappa, Mi-Gra, zig Tourvarianten, auf denen jeder das perfekte Alpencross-Glück erlebt – ganz nach seiner Fasson. Anders ausgedrückt: Die Via Migra ist kein Alpencross. Sie ist Dutzende Alpencrosse. Und jede Alpenüberquerung auf ihr ist ein Unikat!
Dass sich am Alpenhauptkamm das Alpencross-Rad kaum neu erfinden lässt, stört uns auf der zweiten und dritten Etappe kein bisschen. Zwar gäbe es andere Wege, doch die Route sollte ja fahrbar sein! Das Geiseljoch ist ein Evergreen und wird es auch in 20 Jahren noch sein. Und den Downthrill vom Tuxer Joch könnte ich fahren, bis man mich mit den Füßen voran vom Bike-Sattel hebt.
In Südtirol werden die möglichen Strecken ohnehin wieder zahlreicher. Und der Wettergott bleibt uns gewogen: Auf dem Weg über die Lüsner Alm genießen wir ein 360-Grad-Panorama vom Feinsten. Dank an dieser Stelle dem Wanderer, dem wir den Tipp mit dem Col Dalle verdanken – dieser Sahnetrail ist in keiner Karte verzeichnet! Und dann die Dolomiten: Aus Überzeugung ledig, würde ich dieses Gebirge vom Fleck weg heiraten. Kaum zu glauben, dass man sich hier auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges bewegt.
Und doch irgendwie zum Glück: Denn die vielen Militärstraßen und -steige, die Singletrails und historischen Karrenwege ergeben ein unvergleichliches Tourenrevier mit Mörderoptik.
Ein Beispiel? Gerne. Die Beine sind gut, durch die Trails der letzten Tage haben wir Blut geleckt. Eigentlich ist die sechste Etappe zum Kräftesammeln gedacht. Doch das Wetter hält, und die Civetta grinst unverschämt nach Alleghe hinab. Seilbahn und Sessellift bringen uns zum Col dei Baldi. Eine halbe Stunde das Bike getragen, und der Trailzauber beginnt.
Handtuchbreit schlängelt sich die Pfadspur am Fuß der Civetta-Nordwestwand entlang. Mit sechs Kilometern Breite und 1300 Metern Höhe ist sie das mit Abstand größte Gemäuer der Dolomiten. Und wenn dort auch nicht alles fahrbar ist – kann man sich Eindrücklicheres vorstellen?
Am Nachmittag die Quittung: Der Weg durchs Val Venegia ist nicht steil. Doch im losen Schotter habe ich das Gefühl, gegen ein Gummiband anzufahren. Die Kameraden warten lange, bis ich an der Baita Segantini ins Gras sinke. Mir geht es hundeelend. Egal, es fehlen nur noch zwei Tage. Das muss doch zu schaffen sein, motiviere ich mich selber.
Doch wer einmal überzockt, der zahlt den Preis. Die drei Pässe hinter San Martino di Castrozza sind ja eigentlich ein Genuss, wenn auch ein anstrengender, für mich diesmal eher zweiteres. Und auch den Monte Grappa bekommt keiner geschenkt. Doch dann naht der Gipfel. Der letzte. Worte sind überflüssig. Hier versteht jeder, warum ich vom Monte Grappa als einem "Traumfinish" spreche: Unmittelbarer können die Alpen nicht enden!
Vom Rifugio Bassano aus überblickt man die komplette Tiefebene von Venedig – jetzt noch 1500 Höhenmeter Downhill auf Trails, und die Alpen sind definitiv durchquert. In einer letzten Anstrengung balancieren wir über die "Frontsteige" zur Malga Vedetta, rammeln dann wie geistesgestört den schmalen Flowtrail bergab. In Asolo sind wir uns breit grinsend einig: Das war der Höhepunkt des Jahres! Ob’s besser als Sex war? Muss jeder selbst wissen. Am besten probieren! Ich bin gespannt, was künftige Via-Migra-Bezwinger zu meiner Route sagen werden.
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Alpencross "Via Migra" im Detail:
Termine: 3. bis 10. Juli, 17. bis 24. Juli, 31. Juli bis 7. August und
4. bis 11. September 2010.
Leistungen: 8 Tourentage, Guiding, Übernachtung/HP, Gepäcktransport, Shuttleservice, Rücktransport, Via-Migra-Tourenbuch und MountainBIKE-Überraschungspaket.
Preis: pro Person 1449 Euro im Doppelzimmer.
Info und Anmeldung unter: www.mountainbike-magazin.de/reisen
und www.bike-sportreisen.de