Der fiese Drop aus der Hausrunde. Der lange Tag im Bikeoder Trailpark. Das epische MTB-Abenteuer im Alpinen. Es gibt unzählige Herausforderungen auf Stollenreifen, die sich abseits von Ausdauerschlachten sprichwörtlich vor uns aufbäumen. Doch welches Bike ist das ideale dafür? Die Antwort ist erst mal simpel: Je gröber das Terrain, desto mehr Federweg und damit Bergabpotenz bietet sich an. Echte Downhill-Bikes mit rund 200 mm Federweg wären der Kracher – selbst den Berg hoch biken ist damit aber nahezu ausgeschlossen.
Den Sweetspot aus viel Hub bei gleichzeitig manierlicher Pedalierbarkeit bilden Enduro-Fullys. Aktuell bieten diese um rund 170 mm Federweg, genug selbst für die knüppelharten Trails einschlägiger Reviere à la Finale, Latsch, Nauders oder Sölden. Für die Hausrunde im Mittelgebirge mag das "drüber" erscheinen, aber auch da kann so ein Ballermann wie ein Potenzmittel für die eigene Fahrtechnik wirken. Und ein Plus an Spaß ist ja nicht strafbar!
Wie in kaum einer anderen Kategorie geht es bei den Enduros vielseitig zu, was die Kaufentscheidung nicht gerade erleichtert. Alu- oder Carbon-Rahmen? 29"- oder Mullet-Bereifung? Moderate oder moderne Geo? Stahl- oder Luftfederbein? Schon ein erster Blick auf unser Testfeld von Enduros ab 4999 Euro zeigt Unterschiede en masse – aber auch Gemeinsamkeiten. So bieten alle Bikes vorne die klassentypischen 170 mm, hinten sind es 160 bis 170 mm Federweg.
Insgesamt acht propere Kandidaten buhlten im Kurventanz, Anliegerrausch und Wurzelgeballer um die Gunst unseres Teams aus versierten Testern. Bei der Zusammensetzung des Felds haben wir den Fokus auf neue Enduros gelegt, die erst kürzlich auf den Markt kamen. Zum anderen war es uns wichtig, möglichst viele spannende Technologien abzubilden. So setzt Scotts Neuauflage des Ransom wie seine kleinen Geschwister im Portfolio der Schweizer auf einen im Rahmen integrierten Dämpfer – samt Lenkerfernbedienung. Ebenfalls aus der Schweiz kommt das Arc8 Extra mit innovativem "Slider"-Hinterbau. Das Trek Slash konnten wir bereits in der Carbon-Variante testen, nun haben wir das preiswertere Alu-Gegenstück auf unsere Trails entführt. Technisches Gustostück ist der "High-Pivot"- Hinterbau mit weit hoch gesetztem Drehpunkt sowie gleich zwei Umlenkrollen.
Technische Schmankerl
Die Dortmunder Marke Last ist bekannt für in Deutschland gefertigte Carbon-Rahmen, wir wählten jedoch die "nur" teils hierzulande hergestellte Alu-Variante des Enduro Coal – samt mutiger Geometrie. In den letzten Monaten ebenfalls überarbeitet wurde das Orbea Rallon. Der Baske kommt dank Online-Konfigurator sogar mit Custom-Lackierung. Gegen das Quintett aus Novitäten stellt sich Vorjahres-Testsieger Tyee CF von Propain, diesmal im Mullet-Setup. Apropos: Auch Arc8 und Trek kommen im Aufbau mit 29"-Vorder- und 27,5"-Hinterrad. Das soll das Beste beider Welten kombinieren – Spurtreue und top Überrollverhalten vorne, Agilität und Traktion hinten –, vor allem aber bietet das kleine Hinterrad mehr Bewegungsfreiheit im steilen Bergab. Auch dabei sind Simplon mit dem Rapcon und GT mit dem Force Carbon. Beide Bikes sind nicht mehr taufrisch, setzen aber ebenfalls auf spannende, zeitgemäße Konzepte. So findet sich am Force wie am Trek ein High-Pivot- Heck. Der Clou bei beiden ist, dass die Raderhebungskurve nicht nur senkrecht, sondern leicht schräg nach hinten verläuft. Dadurch kann das Hinterrad Hindernisse besser überfahren, jedoch verändert sich dabei der Radstand.

Wurzelbehandlung einmal anders. Bei den zumeist sehr schluckfreudigen Fahrwerken der Enduros kommen hier keine Schmerzen auf.
Von der etwas billig anmutenden Sram-SX-Schaltung über Shimanos beliebte XT-Parts bis zur drahtlosen Sram-GX-Transmission-Funkschaltung: Schon der Blick auf die Schaltgruppen zeigt, wie groß die Unterschiede in Sachen Ausstattungsgüte zwischen den acht Herstellern sind. Scott und GT bilden in dieser Hinsicht das Schlusslicht, sie kommen mit funktionalen, aber doch wenig hochwertigen Parts. Auch das Simplon sorgt mit Shimano-Deore-Schaltgruppe nicht gerade für Glanz in der Hütte. Fürstlich staffiert hingegen Versender Propain sein Tyee aus, das Orbea erfreut mit SLX-Gruppe und edlem Fox-Factory-Fahrwerk, das Last mit XT-Komponenten. Doch auch Trek schnürt dank des Alu-Rahmens ein grundsätzlich attraktives Gesamtpaket mit elektronischer Schaltung und dem neuen Vivid- Luftfederdämpfer von Rock Shox.
Leichtbau vs. Heavy Metal
Rund drei Kilo trennen das leichteste und schwerste Bike des Testfelds. Während das Arc8 dank des federleichten Carbon-Rahmens die Waage nur mit 14,5 Kilo beschwert, wiegt das Trek 17,4
Kilo. Im Schnitt liegen die Bikes bei 15,9 Kilo. Doch nicht nur das Gesamtgewicht solltest du beachten, die rotierende Masse nimmt noch größeren Einfluss auf Spurtfähigkeit und Agilität. Mit rund 6100 g ist diese Masse (Laufräder, Reifen, Ventile, Dichtmilch, Kassette und Bremsscheiben) am GT die schwerste, ausgerechnet beim Trek kreiseln nur 5252 g!Bei den Reifen herrscht fast Uniformität. Der enorm gripstarke Maxxis Assegai schafft es ans Vorderrad von sechs der acht Testbikes. Maxxis’ Minion DHR II rotiert an fünf Hinterrädern, Scott setzt auf den Dissector. Löblich: Arc8, Last, Propain und Scott greifen heckwärts zu einer doppelverstärkten, pannensicheren Karkasse – wohingegen wir mit den Bontrager-Pneus am Trek mehr Pannenprobleme hatten. Das Simplon kam mit leichtlaufenden Schwalbe-Nobby-Nic-Reifen. Auf Nachfrage schrieben uns die Österreicher, dass es sich um ein Versehen handelte.
Moderne Geometrien
Wurden die Geometrien an Enduros in den letzten Jahren immer progressiver mit flacheren und längeren Frontpartien, "beruhigen" sich die Maße jetzt. Sie sind im Schnitt fast identisch zum Vorjahrestest. Der Lenkwinkel misst im Mittel sehr flache 63,3°, "steiler" als 64,1° (Propain) ist kein Testrad. Auch der für Laufruhe und Fahrsicherheit wichtige Reach (quasi die Reichweite im Stehen bis zur Front) hat sich bei modern-langen, aber selten extremen Werten eingependelt. Lediglich das Arc8 ist mit 475 mm in Größe M sehr ausladend gezeichnet. Apropos: Neben dem Extra kam noch das Scott in Größe M, alle anderen in Größe L. Auch daher variieren die Radstände etwas stärker mit 1239 bis 1297 mm.

Kurvenräuber? Mit Radständen von bis zu 1297 mm (Last) in Größe L präferieren die Testbikes schnelle Anlieger mehr als enge Kurven.
In der Praxis rocken die Geometrien! Um mangelnde Spurtreue muss man sich bei diesen Dampfhämmern wahrlich keine Sorgen machen, wer moderne Fahrtechniken beherrscht (Bike neigen statt lenken), wird aber auch keine oder nicht allzu viel Drehfreude vermissen. Kein Wunder, dass alle acht Bikes in Sachen Handling mit sehr gut und besser abschneiden. Das gilt auch für die gefräßigen Fahrwerke, wobei sich hier durchaus Unterschiede zeigen. So führt etwa das Last progressiv-straffer durch den Heckfederweg als etwa das Propain. Hier gilt es, den eigenen Geschmack auszuloten: Mag ich hohen Komfort oder eher ein direktes "Feedback" vom Untergrund?
Am Ende hat uns mit dem Extra von Arc8 ein vermeintlicher Außenseiter am besten gefallen. Das Schweiz-Bike trumpft mit niedrigem Gewicht, sahnigem Fahwerk sowie topmoderner Geometrie auf. Knapp dahinter platzieren sich die beiden Allrounder von Orbea und Propain, während das zünftige Trek unseren "Bergab-Tipp" erhält. Ein wirklich schlechtes Enduro ist sowieso nicht dabei. Zwar schrammt das GT knapp am "Sehr gut" vorbei, es bildet dennoch eine klasse Basis für anspruchsvolle Enduro-Ausritte.
Hier den vollständigen Test als PDF downloaden!
Diese Bikes haben wir getestet: