Kaum ein Technikthema hat in den vergangenen Monaten so viel Wirbel im Mountainbike-Sport verursacht wie die möglichen 32-Zoll-Laufräder. Was als Experiment begann, nimmt nun konkrete Formen an und könnte die Zukunft des Mountainbikens entscheidend prägen. Aber wie realistisch ist der Durchbruch dieser neuen Laufradgröße? Wir haben die Entwicklungen für euch verfolgt.
Die ersten Impulse: 32 Zoll wird zum Thema
Bereits im Sommer hatten wir das Thema mit einem Kommentar angestoßen – die starke Resonanz unserer Leser*innen, nicht zuletzt in den Readly-Auswertungen, zeigte, dass das Thema 32 Zoll einen Nerv trifft. Kurz darauf folgte unser Bericht über das auffällige Prototypen-Bike am Maxxis-Stand auf der Eurobike, das mit einem 32-Zoll-Aspen-Reifen für Aufsehen sorgte.
Und plötzlich wurde es konkret: Beim Weltcup in Andorra tauchte ein fahrbarer 32-Zoll-Prototyp von BMC auf. Über ihn, das „Project Fahrenheit“ hier haben wir berichtet. Das Thema geht also in die nächste Runde.
Fotostory: Chronik der Laufradgrößen
Wie fährt sich der 32-Zoll-Prototyp?
"Die ersten Tests auf unseren Hometrails und der Weltcup-Strecke in Andorra lassen vermuten, dass 32 Zoll unter bestimmten Bedingungen echte Performance-Vorteile bringen kann", sagt BMC. "Besseres Abrollverhalten über Steine und Wurzeln – aber auch ein anderes Fahrgefühl, das etwas Umstellung verlangt. Aktuell sammeln wir Daten im Vergleich zum Fourstroke 29. Serienpläne gibt es aufgrund der schwierigen Komponentensituation aber noch nicht."

Tiefes Cockpit: Die spezielle Vorbauklemmung ist beidseitig am Steuerrohr befestigt – so bleibt die Front trotz größeren Laufrädern niedrig.
Die Herausforderung der Verfügbarkeit
Denn genau hier liegt das große Fragezeichen: Weder Felgen noch Reifen sind bislang breit verfügbar – die auf dem Prototypen gezeigten Parts stammen wohl aus Vorserien von BMC-Partnern Duke und Pirelli. Viele Marken wollen sich aktuell noch nicht in die Karten schauen lassen.
Ein Beispiel für die experimentelle Entwicklung: Die auf dem Maxxis-Prototyp bei der Eurobike verbaute Upside-down-Gabel war zum Beispiel eine umgebaute 29er-Version mit reduziertem Federweg – auch das zeigt, wie experimentell derzeit noch gearbeitet wird. Fachleute sagen, dass es vor allem bei der Entwicklung steifer und gleichzeitig leichter Gabeln, Laufräder sowie Rahmen noch Herausforderungen gibt.
Geheimniskrämerei der großen Hersteller
Ein großer Parts-Hersteller bleibt kryptisch: "Aktuell würden wir uns typisch schweizerisch verhalten und keine Aussage (Anm. d. Red.: zum Thema 32 Zoll) treffen." Und auch aus der Parts-Branche hört man Presse-Stimmen wie: "Als alter Langbeiner sehe ich da schon Potenzial. Offiziell äußern möchten wir uns derzeit aber nicht."
Schon 2020 sorgte das Thema für erste Schlagzeilen – in einem Interview auf Pinkbike.com mit Trek-Entwickler Travis Brown, der damals bereits über interne Versuche mit 32-Zoll-Laufrädern sprach. Angesichts der Zeitspanne, die seitdem vergangen ist, könnte das erste Serienbike bereits in den Startlöchern stehen.
Reifenhersteller zeigen sich deutlich offener
Die Reifenhersteller hingegen sind vergleichsweise offener gegenüber der neuen Laufradgröße. Kenda erklärt: "Es besteht durchaus Nachfrage großer Hersteller. Wir passen unsere Produktportfolios entsprechend an." Und auch Schwalbe bestätigt auf Nachfrage: "Wir beobachten das Thema 32 Zoll seit einiger Zeit und stehen dazu im permanenten Austausch mit unseren Partnern. Da wir uns noch in der Testphase befinden, ist es zu früh für ein Statement zur Performance."

Bereits auf der Eurobike konnte man einen 32-Zoll-Reifen von Maxxis bestaunen.
Dass die Offenheit bei Reifenherstellern größer ist als bei anderen Parts-Produzenten, liegt vermutlich auch an den geringeren Investitionshürden: Eine neue Form für einen MTB-Reifen kostet laut Insidern rund 4500 Dollar – deutlich weniger als eine neue Carbonrahmen-Form, die schnell mehr als das Zehnfache verschlingt.
Dennoch bringt das Maß auch hier Herausforderungen mit sich: Manche Hersteller berichten, dass die Maschinen, auf denen derzeit 29-Zoll-Reifen gefertigt werden, zu klein für 32-Zoll-Karkassen sind. Auch hier wären also größere Investitionen notwendig.
"Die Branche geht diesmal durchdachter vor"
Ulrich Guppenberger, Geschäftsführer von Maxxis-Importeur Bikemarketing, bleibt dennoch zuversichtlich: "Die Reifen sind tatsächlich das kleinste Problem. Ich glaube aber, die Branche hat aus den Umstellungen von 26 auf 29 Zoll gelernt – diesmal geht man durchdachter vor."
Damals waren die ersten Twentyniner geometrieseitig und in Sachen Steifigkeit eine Katastrophe. Dann führte man das Boost-Nabenmaß ein, um Laufräder steifer zu bekommen – und plötzlich kam 27,5 Zoll sowie 27,5-Plus, was viele Konsument*innen verwirrte.
Auch Canyon beobachtet das Thema intensiv, bleibt aber vorsichtig: "Die Frage, ob 32-Zoll-Laufräder zum Standard werden, wird vor allem im Wettkampfeinsatz beantwortet. Aus heutiger Sicht sehen wir das größte Potenzial im XC-Bereich – hier zählen Effizienz, Speed und technologische Weiterentwicklung. Klar ist: Wir beobachten die Entwicklung genau, testen intensiv und stimmen uns eng mit Fahrer*innen und Partnern ab."
Zudem bestätigt Canyon: "Wir arbeiten aktiv an Prototypen mit 32-Zoll-Laufrädern. Für Canyon gilt: Eine neue Laufradgröße muss als Gesamtkonzept gedacht werden – nur dann kann sie echten Fortschritt bringen." Bei Scott hält man sich (noch) bedeckt: "32-Zoll-Laufräder sind ein spannendes und interessantes Thema, das in der Branche derzeit heftig diskutiert wird. Mal sehen, was die Zukunft bringt." Aus Insiderkreisen heißt es, dass Nino Schurter bereits 32 Zoll testet.
Warum überhaupt 32 Zoll?
Die Antwort liegt im Gelände: XC-Strecken und Trails im generellen werden immer technischer; das Überrollverhalten (siehe Schaubild rechts) gewinnt an Bedeutung. Mehr Reifenkontakt verspricht mehr Grip, größere Räder sollen mehr Speed ermöglichen. Doch nicht alle sind begeistert. Redakteur und Racer Lukas Hoffmann bleibt skeptisch: "Ich hab Bedenken, dass ich mir mit meinen 1,76 m auf dem neuen Maß etwas verloren vorkomme."

💡Die Zeichnung verdeutlicht, dass der Winkel, mit dem ein größeres Rad auf ein Hindernis trifft, deutlich flacher ausfällt. Dadurch ist weniger Kraft nötig, um über Steine, Wurzeln und Kanten zu rollen. Ein großes Rad wird also weniger abgebremst. Das reduziert Überschlagsgefühle: mehr Laufruhe, Sicherheit und dadurch höhere Geschwindigkeiten sind die Folge. Auf langen oder technischen Downhills kann dieser Effekt den Unterschied zwischen nervösem und souveränem Fahrstil ausmachen.
In den USA sind Bikes mit 32 oder gar 36 Zoll übrigens längst Realität. David Folch, Gründer der Marke DirtySixer und selbst 1,98 m groß, bietet maßgefertigte Bikes für besonders große Menschen an – darunter Kunden wie Shaquille O’Neal oder Dirk Nowitzki. Seine Erfahrung: Größere Laufraddurchmesser bringen bei entsprechender Körpergröße klare Vorteile.