Specialized Kenevo SL (2021)
Light-E-MTB im 3000km-Test!

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Specialized Kenevo SL D
Foto: André Schmidt

Kurz und knapp: Specialized Kenevo Expert SL

  • Light-E-MTB mit 170mm Hub
  • Gewicht ab 18,5 Kilo
  • Voll-Carbon-Rahmen
  • Motor: 35 Nm, Akku: 320 Wh
  • Vielfältig anpassbare Geometrie
  • Zwei Top-Versionen vorgestellt
  • Preise: 9.499 (Expert), 13.999 Euro (S-Works)

Wer hat’s erfunden, das Light-E-MTB? Nein, nicht Specialized, auch wenn deren E-Bike-Entwicklung in der Schweiz für Furore sorgt. Aber wie so oft besetzen die "Spezialisten" einen aufkommenden Trend konsequenter als alle anderen. Die Leichtigkeit des E-MTB-Daseins eröffnete dabei vor eineinhalb Jahren das Levo SL – das diätische Brüderchen des kreuzbeliebten Turbo Levo mit Schmalspur-Motor und -Akku. Nun zieht Specialized mit dem Kenevo SL nach, das mehr als "nur" die leichte Version des bekannten E-Enduros Kenevo ist; es vereint quasi alle jüngsten Innovationen der US-Marke zu einem Hightech-Feuerwerk auf 29"-Stollenrädern.

Kenevo SL
Specialized
Specialized Kenevo SL Expert

Mit dem Levo SL teilt sich das Kenevo SL den kleinen Motor, der zusammen mit dem deutschen Automobilzulieferer Mahle aus Stuttgart entstanden ist und vergleichsweise niedliche 35 Nm liefert. Auch der schlanke 320-Wh-Akku ist gleich dem des Levo SL. Vom brandneuen Levo III stammt hingegen das formschön ins Oberrohr integrierte, individualisierbare Farbdisplay ("Mastermind TCU2").

Kenevo SL
André Schmidt

Auch bei den nicht motorisierten Bikes griff sich Specialized das Beste aus dem eigenen Baukasten: So debütierte die via Flip-Chip in der Kettenstrebe sowie drei Steuersatzschalen vielfach variierbare Geometrie im Stumpjumper Evo und die eher "längenorientierte" Größenwahl (S2–S5 statt S, M, L ...) im Enduro. Absolutes Highlight ist der dem Downhill-Bike Demo entliehene Sechsgelenker-Hinterbau, der zusammen mit dem Motor für einen extrem tiefen Schwerpunkt und superbe Performance sorgen soll.

Kenevo SL
André Schmidt

Wie beim Levo III bietet Specialized zunächst nur zwei Carbon-Topversionen an: das von uns getestete Kenevo SL Expert für 9499 Euro sowie das exorbitant ausgestattete S-Works für – hüstel – 13 999 Euro. Weitere Modelle dürften aber folgen.

Kenevo SL
Specialized
Specialized Kenevo SL S-Works

Was für ein Bergabfest!

Wohin der erste Check mit einem Light-E-MTB führt, dürfte klar sein: an den Haken der geeichten Waage. Die zeigt für das Modell Expert in Größe S3 (ein "langes Medium") 19,1 Kilo an. Klingt viel für "Light"? Jein. Denn an der Waage baumelt ein extrem solide ausgestatteter E-Dampfhammer mit massigen 29 x 2,6"-Reifen, 220/200er-Discs und bocksteifen Alu-Parts – sowie Motor, Akku, Peripherie und prallen 170 mm Federweg. Die werden, wie erwähnt, heckwärts von einer komplex verschachtelten Kinematik bereitgestellt, vorne von der ebenso Ehrfurcht einflößenden Fox-38-Gabel. Zusammen mit dem schon in Neutralstellung ultraflachen Lenkwinkel von 63,5° sowie der generell langen (aber nicht extremen) 29"-Geo liegt das Kenevo SL erstaunlicherweise nicht wie das viel zitierte Brett – es liegt viel, viel besser!

Kenevo SL
Specialized

Kleine Stöße, dicke Schläge, sanfte Wellen, hohe Drops – alles schnupft das Specialized mit krasser Selbstverständlichkeit weg. Dabei agiert das Fahrwerk nie zu soft, es steht hoch im Hub, bietet unglaublich viel Reserven. Selbst mit einem perfekt abgestimmten Downhill-Bike dürfte man bergab nur Bruchteile von Sekunden schneller sein! Dem tiefen Schwerpunkt sei Dank, bewegt sich das Kenevo SL aber selbst im engen Kurventanz geschmeidig, drehfreudig, sogar verspielt – ein Traum! Wem das im Grund-Setup immer noch nicht taugt, kann das Tretlager um 6 mm in der Höhe variieren, den Lenkwinkel im Extrem um rund 2°.

Kenevo SL
André Schmidt
Flip-Chip im „Horst-Link“ zum Variieren der Tretlagerhöhe

Erstaunlich gute Reichweite

Und im Gipfelsturm? Da gefallen die angenehm vorgerückte Sitzposition sowie das recht antriebsneutrale Heck – jeweils perfekt für steile Kraxeleien. Das kleine Mahle-Aggregat schiebt dabei beherzt mit, aber natürlich bei weitem nicht mit der Power "großer" Motoren. Stattdessen liebt es hohe Trittfrequenzen und Pedaldruck des Fahrers. Platt gesagt: Ohne Schweiß kein Preis. Im Turbo-Modus geht es dennoch etwa doppelt so fix wie mit dem "Bio-Bike" empor, und der 320-Wh-Akku hielt auf unserem Prüfstand sowie im Praxischeck je über 1000 Hm bei maximaler Unterstützung durch – gar nicht übel!

Kenevo SL
André Schmidt

Wer noch höher hinaus will, muss eben stärker an Unterstützung sparen oder den optionalen 160-Wh-Zusatztank (ca. 330 Euro) im Flaschenhalter platzieren. Apropos Unterstützung: Die Stufen lassen sich via TCU in 10-Prozent-Stufen feinanpassen. Kritik? Einzig das hochfrequente, etwas penetrante Surren des Motors kann empfindliche Ohren stören. Dafür fährt sich dieses Traumrad bergab nahezu lautlos.

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Kenevo SL
Specialized

Im Dauertest: Specialized Kenevo SL

Über ein Jahr mit dem hochgelobten Light-E-Enduro Specialized Kenevo SL: Hielt das 19-Kilo- Bike der Belastung stand? Wir haben es gestrippt!

Specialized Kenevo SL D
Dennis Stratmann
„Auch nach über einem Jahr im harten Einsatz habe ich nur Detailkritik. Davon ab ist und bleibt das Kenevo SL ein geniales Light-E-MTB.“ André Schmidt, Redaktionsleiter

Rund 19 Kilo schwer, propere 170 mm Federweg vorne wie hinten, progressive Enduro-Geometrie, zig spannende Details sowie Individualisierungsmöglichkeiten und alles kombiniert mit Winzmotor und -akku: Das Specialized Kenevo SL ist seit bald zwei Jahren auf dem Markt und damit einer der ersten Leuchttürme der aktuell so richtig boomenden Kategorie der Light-E-MTBs. Seit dem Tag der Präsentation fährt es auch unser Redaktionsleiter André Schmidt – im zumeist alpinen Gelände. Und zwar in der zweitteuersten Modellvariante Expert, die bei Einführung 8999 Euro kostete, heute sind es 10 000 Euro.

Specialized Kenevo SL D
André Schmidt
Bis an jede Ritze des SL-1.1-Motors konnte sich der Staub vorarbeiten. Das Motorgehäuse ist perfekt abgedichtet.

Rund 3000 Kilometer sowie 102 000(!) Höhen- bzw. Tiefenmeter stehen nun auf der GPS-Uhr. Zeit für ein Resümee: Macht ein E-MTB mit minimaler Motorkraft auf Dauer Spaß? Hat "e-mobiler" Leichtbau seine Grenzen in Sachen Haltbarkeit oder ist so ein Light-E-Bike wirklich der Gamechanger, von dem die Industrie nun spricht.

Specialized Kenevo SL D
André Schmidt
Auch der FSA-Steuersatz hat viel Dreck eingesammelt, die Fettpackung ist aber noch vollständig da, der Lauf der Lager top.

Die erste gute Nachricht: Im harten Trail-Alltag gab es nur ein Problem. Die Alu-Kurbel von Praxis Works wies von Beginn an ein unsauber geschnittenes Gewinde des Pedalauges auf, nach einem halben Dutzend Pedalwechseln war es glatt geschliffen. Mit Spezialwerkzeug wäre das weiche Gewinde nachschneidbar, Schmidt wechselte jedoch kurzerhand auf eine Praxis-Carbon-Kurbel (wie sie am noch teureren S-Works-Modell verbaut ist) aus eigenem Fundus. Ansonsten? Kein Klappern, kein Knacken, kein Knarzen, keine Defekte oder andere Unannehmlichkeiten. Und das, obwohl, das Kenevo SL bergab fast nur harte Trail-Kost verdauen musste, wie die vielen Kampfspuren etwa am Schaltwerk zeigen. Der postautogelbe Carbon-Rahmen stünde nach einer Grundreinigung sogar fast wie neu da. Die wenigen und sehr kleinen Lackabplatzer muss man schon genau suchen.

Specialized Kenevo SL D
André Schmidt
Schlecht: An der Praxis-Works-Kurbel schliff sich das Gewinde im Pedalauge glatt.

Apropos genau: Wie üblich in unseren Dauertestreports haben wir das US-Fully komplett gestrippt und jede Schraube, jedes Lager, jede Dichtlippe buchstäblich unter die Lupe genommen.

Specialized Kenevo SL D
André Schmidt
Ins Innere des Fox-Dämpfers drang Dreck ein. Gut: Am weißen Dichtring konnte er sich nicht vorbeiarbeiten.

Wieder gilt dem Kenevo SL Lob. Zwar konnte sich Dreck und Staub in nahezu jedes Lager des komplexen, sechsgelenkigen Hinterbaus arbeiten, die Dichtungen der Lager selbst sind aber unisono intakt.

Specialized Kenevo SL D
André Schmidt
An allen Hinterbaulagern hat sich Schmutz angesammelt – aber ohne die Dichtungen zu beschädigen oder den Lauf zu beeinträchtigen.

Was auch den Lauf der Lager betrifft: Fast alle drehen sich noch supersanft, einige wenige laufen minimal schwerer, aber noch im grünen Bereich. Das gilt auch für andere drehbare Teile. Der FSA-Steuersatz sowie die Roval-Naben (am Hinterrad von DT Swiss hergestellt) sind zwar preiswerter Machart, haben ebenfalls viel Dreck "gefressen", weisen aber weder Spiel noch rauen Lauf auf.

Prima Allgemeinzustand

Der Blick auf Schaltungs- und Antriebsparts zeigt angesicht der Laufleistung Erwartbares: Die Sram-GX-Eagle-Kette ist fast 1 mm gelängt und damit "am Ende". Sram-X01-Eagle- Kassette sowie das Kettenblatt aus (löblich!) Stahl sind hingegen noch für ein paar weitere tausend Kilometer gut. Selbiges gilt für das nachgerüstete Sram-XX1-AXS-Funkschaltwerk, das zwar reichlich vermackt ausschaut, aber nicht ausgeschlagen oder verbogen ist.

Der Zustand der Federelemente von Fox passt ins Bild. Sowohl die wuchtige 38-Performance- Elite-Federgabel wie den ebenso massiven X2-Dämpfer (Güteklasse Performance) "zieren" viel Schmutz und manche Kratzer, funktionell und im Inneren schaut es gut aus: leichter Dreckeinschluss, aber intakte Dichtungen, kein Ölverlust, kein Buchsenspiel, unbeschädigte Gleitflächen. Übrigens: Das Gehäuse des tief im Rahmen sitzenden Dämpfers ist trotz des kleinen Fenders Dreckbeschuss ausgesetzt.

Motor, Akku, Display? Allesamt "gesund", ins Innere des Rahmens, wo sich Akku und Anschlüsse befinden, konnte weder Staub noch Nässe vordringen. Etwas Kritik erntet am Ende nur die X-Fusion- Vario-Sattelstütze, deren seitliches Spiel inzwischen recht hoch ist.

Auch in der Praxis genial

Und wie fuhr und fährt sich das E-Enduro? Famos! Das 170-mm-Fahrwerk gehört zum Besten, was je einen Trail berührt hat. Sensibel ansprechend, ideal im Hub stehend, mit hohen Reserven. Das Handling kommt dank des flachen 63,5°-Lenkwinkels (per Steuersatz-Inlays um +/–1° anpassbar), des angenehm langen Reach-Wertes und der im E-MTB-Segment eher kurzen Kettenstreben äußerst nah an das eines unmotorisierten Enduros heran. Lediglich beim Anbremsen an Kurven oder bei verspielten Manövern à la Bunny Hop sind die rund vier bis fünf Kilo Mehrgewicht spürbar, auf der anderen Seite liegt es dadurch auch wunderbar satt. Generell fühlt sich das Kenevo SL ein Stück mehr nach "Bio-Bike" als nach E-Bike an.

Specialized Kenevo SL D
André Schmidt
Und es werde Licht! Schmidt: „Egal ob für die Straße oder bei Dämmerung auf dem Trail: Ein festverbautes, vom Motor-Akku versorgtes Frontlicht wie das leichte Modell von Cateye mag ich nicht mehr missen.“

Dass der vom deutschen Autozulieferer Mahle gebaute Motor mit nur 35 Nm nicht einmal die Hälfte des Drehmoments von Bosch, Shimano und Co. liefert, gehört ebenso zur Philosophie. Wer ein Power-E-MTB moderner Prägung sucht, sitzt hier falsch im Sattel. Zumal es sich empfiehlt, die geringe Motorleistung per App noch weiter zu drosseln, um dem filigranen 320-Wh-Akku mehr Reichweite zu entlocken (optional gibt es einen 160-Wh-Zusatzakku für 400 Euro, der im Flaschenhalter Platz findet und per Zusatzkabel angedockt wird).

Specialized Kenevo SL D
André Schmidt
Passend zum E-MTB rüstete Schmidt die Schaltung auf Elektronik um: Das XX1-AXSSchaltwerk von Sram funktioniert(e) einwandfrei, die Kratzer zeugen von vielen Steinkontakten.

Im Reigen der vielen gerade neu erscheinenden Light-EMTBs mit Fazua- oder TQ-Motor wirkt das Mahle-Specialized-Paket gar mickrig. Das Fazua-Ride-60-System bringt es immerhin auf 60 Nm und 430 Wh-Akku-Leistung. Dafür fährt sich der Motor im Kenevo SL nach wie vor sehr harmonisch, kaum spürbar einsetzend und "spritsparend".

Specialized Kenevo SL D
André Schmidt
Für mehr Komfort und ein paar eingesparte Gramm: ein altgedienter SQ-Lab-Sattel 611 Ergowave Carbon.

André Schmidt: "Auch wenn nun viele Light-E-MTBs mit mehr Motorkraft und Ausdauer auf den Markt kommen ist das Kenevo SL für mich ein Gamechanger. Weniger im typischen E-MTB-Bereich, vielmehr als Enduro. Denn da bringt es die Ursprünge des Segments zurück. Es fährt sich bergab auch auf extremen Trails brillant und es ermöglicht mir, hochalpine Touren ohne Lift und Shuttle zu fahren – was mit aktuellen, unmotorisierten Enduros mehr denn je zur Qual wird."

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André Schmidt
Von einigen gehasst, von vielen geliebt: Die nachgerüsteten Esi-Griffe aus Silikon wiegen fast nix, bieten aber viel Dämpfung – bei hohem Verschleiß.

Verbesserungsvorschläge für die nächste Kenevo-SL-Generation gibt es dennoch: Der Hub der Vario-Sattelstütze ist vor allem bei den Größen S2 und S3 (entspricht grob S und M) mit 125 bzw. 150 mm für den Einsatzbereich zu gering. Auch das hochfrequente Surren des Motors passt nicht zum sonst superleisen Dreambike.

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André Schmidt
Unser Redaktionsleiter André Schmidt fährt das Kenevo SL fast ausschließlich im per Specialized-App individualisierten Trail-Mode mit 35 % Dauerleistung und 100 % im Peak. Letzteres hilft bei entsprechendemPedaldruck auch steile Stiche hoch. Die geringe Dauerleistung des winzigen 35-Nm-Motors sorgt auf langen Schotteranstiegen nur für sehr dezente Unterstützung, lässt den schlanken 320-Wh- Akku aber auch über 1600 Hm durchhalten.

Technische Daten & Geometrie

Specialized Kenevo SL D
MOUNTAINBIKE
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06 / 2023

Erscheinungsdatum 02.05.2023