Hardcover, 220 Seiten, 21 Kapitel, vier Fotos. Das sind die nackten Zahlen zu Rick Zabels Buch "On the Road. Von der Freiheit auf dem Rennrad", erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, erhältlich für 24 Euro. Der Ex-Radprofi und heutige Medien-Tausendsassa schildert darin seinen sportlichen und persönlichen Werdegang. Manche Stationen kennt man: Rick, der Sohn des erfolgreichen Sprinters Erik Zabel, der als Knirps mit grün gefärbten Haaren in Paris auf den Schultern seines Papas trohnt, der mal wieder im Grünen Trikot die Tour de France beendet hat. Rick, der selbst als Radprofi seinen Weg geht, viermal den Giro d'Italia und viermal die Tour de France fährt. Rick, der nie um einen starken Spruch verlegene YouTuber, Podcaster, Content Creator und Influencer.
Wer regelmäßig Rick Zabels Podcasts hört oder seine YouTube-Videos schaut, kennt auch manche Anekdote. Zum Beispiel die von Opa Manni – bester Mann -, der zusammen mit Oma Ulla und Mutter Cordula maßgeblich Ricks Karrierestart in den Nachwuchsklassen prägte: als Chauffeur, Trainer, Mechaniker und Masseur in Personalunion. Der beim Einreiben von Zabel Juniors Beinen mit Startöl vor einem Rennen gleich spürte "heute haste gute Beine", nur um anschließend auch die Reifen einzureiben – mit Essig, für das Plus an Grip in den Kurven. Auch die durchaus selbstkritische Darstellung der Zeit im Sportinternat, wo Zabel in einer Mischung aus Rebellentum, überbordendem Selbstbewusstsein und Verwahrlosung niemand war, "den ich selbst gern kennengelernt hätte" (S. 74), ist aufmerksamen Zabel-Fans bereits von anderer Stelle bekannt.
Weniger bekannt dürfte manchen hingegen das lange Zeit angespannte Verhältnis zum erfolgreichen Vater sein. Dass es auch mal knallt, erscheint fast zwangsläufig zwischen Zabel junior, der sich selbst als eine Mischung aus Schlendrian und Talent darstellt, und Zabel senior – trainingsfleißig, hart gegen sich selbst, anspruchsvoll gegenüber Rick. Beim Lesen wird schnell klar, wie herausfordernd es sein muss, mit einem so erfolgreichen Vater aufzuwachsen: "Mein Name hat nicht geholfen" (S. 26) – fährt Zabel als Jugendfahrer gut, heißt es "kein Wunder, bei dem Vater", fährt er schlecht, wird dies kritischer beäugt und kommentiert als bei anderen.

"On the Road" ist Rick Zabels Autobiografie - geschrieben in Zusammenarbeit mit Harald Braun, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.
Wer den Lebensweg mit Bildern untermalt sehen will, wird übrigens enttäuscht: Anders als bei zahlreichen anderen Sportlerbiografien, gibt es bei "On the Road" keine visuellen Eindrücke aus dem Familienalbum. Auch wer wilde Zeitsprünge und aufregende Twists sucht, wird nicht fündig – "On the road" erzählt weitgehend chronologisch den Lebensweg Rick Zabels – von der unbeschwerten Kindheit auf dem Dorf am Rande des Ruhrgebiets über den Einstieg in den Sport und die Entwicklung echten Ehrgeizes bis hin zum sicher ungewöhnlichen Entschluss, als gerade mal 13-Jähriger das Elternhaus zu verlassen, um aufs Sportinternat in Erfurt zu gehen.
Geradlinig erscheint der Weg nie zu sein, Zabel schwankt zwischen überragenden Ergebnissen und Rückschlägen, eckt auch mal bei Bundestrainern an, nur um bei der Junioren-WM 2011 urplötzlich Fünfter im Straßenrennen zu werden. Sehr spannend ist das Kapitel, in dem der Teenager Zabel entscheidet, die Schule abzubrechen, um beim Nachwuchsteam von Rabobank Radprofi zu werden. Damit einhergehend allerdings: Zabel muss wieder zu Hause bei den Eltern einziehen – ein "Kind im Körper eines Erwachsenen" (S. 89), zurück in seinem alten Kinderzimmer. Es folgt erneut eine eher durchwachsene Saison, bevor Zabel – wie aus dem Nichts – 2012 als gerade mal 19-Jähriger Deutscher Meister in der U23 wird. Es folgt der Sieg bei der U23-Ausgabe der Flandernrundfahrt 2013 – die Radsportwelt liegt Zabel zu Füßen.
Interessant ist, dass dieser durchaus reflektiert, ob alle Karriereschritte richtig gewesen sind. Und auch hier nicht an Selbstkritik spart: Für die Saison 2014 sagt Zabel mündlich dem Team Garmin-Barracuda von Andreas Klier zu – unterschreibt dann aber doch einen deutlich besser dotierten Vertrag bei BMC und muss dies den angefressenen Garmin-Barracuda-Verantwortlichen in einem überaus unangenehmen Gespräch verklickern. Im Nachinein die falsche Entscheidung? (S. 106)

Dem Thema Doping widmet Rick Zabel ein eigenes Kapitel - und erzählt auch, wie er den widersprüchlichen Umgang seines Vaters mit dem Thema bewertet.
Was folgt, sind Beschreibungen der Jahre im Profizirkus, bei denen man sich – abgesehen vom "Flow-Jahr 2017" – irgendwann fragt, warum Zabel seine Karriere nicht schon viel früher beendet hat. Spannend ist, zu lesen, wie Zabel sein Interesse an Social Media, Fotografie und Videografie nach und nach immer stärker auslebt – und hier früh beginnt, ein zweites berufliches Standbein aufzubauen. Ausgehend von einem Social Media-Workshop seines damaligen Teams Katusha Alpecin – das Zabel 2017 als einziger von 30 Katusha-Profis besucht (S. 148-155).
Überraschend sind die Einblicke in das Karriereende von Marcel Kittel. "Nicht ein persönliches Wort zum Abschied" (S. 168) habe Kittel seinen Teamkollegen geschickt, die von dessen Entschluss, seine Karriere mitten in der Saison zu beenden, gerade mal eine Stunde vor der Öffentlichkeit erfahren. Doch Zabel verurteilt seinen damaligen Teamkapitän nicht, sondern nimmt seinen sang- und klanglosen Abgang eher als Beleg für den Druck, der im Team herrschte und besonders auf den Schultern von Kittel lastete – Rahmenbedingungen, in denen besonders jemand wie Kittel nicht habe performen können. Nicht nur in diesen Passagen werden die Schattenseiten des Berufs Radprofi deutlich. All das weist schließlich auch den Weg zu Zabels eigenem Karriereende – rechtzeitig genug, um nicht den Spaß am Radfahren zu verlieren (S. 13 und 212).
So ist das Buch – neben der Biographie Zabels – auch als Liebeserklärung an das Radfahren, speziell das Rennradfahren zu verstehen. Es adressiert nicht nur alte Rennradhasen sowie Fans des Profiradsports, sondern insbesondere auch diejenigen, die noch vergleichsweise neu im Radsport sind – und vielleicht sogar wegen des Social Media-/Lifestyle-Hypes rund ums Rennradfahren und letztlich womöglich dank Influencern wie Rick Zabel selbst überhaupt erst mit dem Sport angefangen haben. So endet jedes Kapitel mit einem kleinen Extra-Kasten, der zentrale Begriffe, Insider und ungeschriebene Gesetze des Radsports erläutert – von Hungerast und Belgischem Kreisel über die Formel n+1 bis hin zu grundlegenden technischen Erklärungen. "On the Road" erzählt vom Radsport – und wirbt für ihn.

Jedes Kapitel endet mit einem Extra-Kasten, der einen Begriff des Radsports erläutert.
Wer den medial dauerpräsenten Rick Zabel über hat, mag vielleicht nicht der richtige Adressat des Buches sein – ansonsten dürfte es viele Zielgruppen ansprechen. Gerade auch über die alteingesessene Radsport-Bubble hinaus. Und das ist auch gut so.
Rick Zabel: On the Road. Von der Freiheit auf dem Rad, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2025, ISBN 978-3-462-00951-4, 24 Euro.