Ukraine-Hilfe durch Rennradcommunity

Ukraine-Hilfe durch Rennradcommunity
1400 km bis Lwiw: Rennradler helfen der Ukraine

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Veröffentlicht am 01.08.2025
Übergabe der Krankenwagen in Lwiw
Foto: Chainreaction BikeConvoy for Ukraine
ROADBIKE: Sebastian, eure Initiative 'Chainreaction BikeConvoy' hat das Spendenziel erreicht, ihr seid tatsächlich im Konvoi mit Krankenwagen und Rennrädern in die Ukraine gefahren [ROADBIKE berichtete]. Was denkst du?

Sebastian Herrmann: Ich bin total überwältigt und dankbar. Wir haben Geld für 14 Fahrzeuge gesammelt, insgesamt über 230 000 Euro. Das zeigt mir: Die Menschen nehmen Anteil am Schicksal der Ukraine, die sich seit über drei Jahren des Angriffskriegs durch Russland erwehrt. Für die tolle Spendenbereitschaft und jeden einzelnen gespendeten Euro möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken!

Die Strecke führte von München nach Lwiw über Wien und entlang der Donau
Chainreaction BikeConvoy for Ukraine
Wer hat gespendet?

Querbeet – von Privatleuten mit unzähligen kleinen und großen Spenden über organisierte Ausfahrten, Events und Verkaufsaktionen bis hin zu Großspenden aus der Industrie. Kalas hat beispielsweise ein Spendentrikot aufgelegt, das man für 79,95 Euro über den Rose-Onlineshop kaufen konnte – Rose hat dann pro verkauftem Trikot 20 Euro draufgelegt, so dass für jedes Trikot 50 Euro gespendet werden konnten. Aber es gab auch viele kreative Aktionen von Rennradfahrenden: In Frankfurt haben Engagierte ein 300-Kilometer-Brevet organisiert und Spenden gesammelt, in München, Landshut, Freiburg und Tübingen wurden Spendenevents organisiert, und auch verschiedene Eventveranstalter – etwa der Schwarzwald Super, Eroica Germania und Lakes’n’Knödel in Österreich – haben sich engagiert. Das war das, was wir erreichen wollten: eine Kettenreaktion, in der Menschen, denen das Schicksal der Ukraine nicht egal ist, motiviert werden, kreativ werden und sich engagieren. Manchmal fehlen ja nur konkrete Anlässe, Anstöße und Rahmenbedingungen, um Engagement zu entfesseln.

An wen wurde gespendet?

Wir arbeiten mit dem Verein Bamberg:UA zusammen. Die organisieren schon seit 2017 einen Bildungs- und Kulturaustausch zwischen Deutschland und der Ukraine und fahren seit der russischen Annexion der Krim regelmäßig Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern in die Ukraine. Seit Beginn der Vollinvasion 2022 hat sich die Arbeit verstärkt. Ein Handlungsfeld ist es, ausrangierte, aber voll ausgestattete und funktionstüchtige Rettungswagen zu kaufen. Diese werden in die Ukraine gebracht, wo sie in Frontnähe zum Einsatz kommen, verwundete Soldaten und Zivilisten versorgen und ins Krankenhaus bringen. Pro Tag evakuiert ein Fahrzeug im Schnitt fünf Verwundete. Trotz eindeutiger Kennzeichnung werden die Rettungswagen oft gezielt von den Russen angegriffen – deshalb gibt es immer wieder Bedarf an neuen Fahrzeugen. Seit 2022 sind so mehrere Dutzend Rettungswagen in die Ukraine gekommen.

Spenden für 14 Krankenwagen sammelte die Initiative Chainreaction BikeConvoy for Ukraine
Chainreaction BikeConvoy for Ukraine
Eure Aktion hat nun 14 solcher Krankenwagen finanziert.

Genau, das sind sogar mehr als wir erhofft haben. Wir haben ursprünglich mit zehn bis zwölf Fahrzeugen gerechnet. Der Verein Bamberg:UA hat den ganzen bürokratischen Part übernommen: die Anschaffung, den Papierkram, die Zollabwicklung – das darf man nicht unterschätzen. Uns war aber auch klar: Wir wollen die Krankenwagen nicht nur finanzieren, sondern das Ganze soll in einer größeren Aktion kulminieren, die Aufmerksamkeit schafft. So kam die Idee auf, im Konvoi aus Rennradfahrenden und Fahrzeugen in die Ukraine zu fahren und die Krankenwagen dort zu übergeben.

Was ihr dann auch gemacht habt.

Ja, wir sind am 5. Juli in München losgefahren. Das war schon eine sehr schöne und würdige Auftaktveranstaltung: Über 300 Menschen waren an der Theresienwiese, wo die Fahrzeuge aufgereiht waren, ein Chor hat gesungen, es wurden kurze Reden gehalten. Dann hat die Polizei uns mit Motorrädern und Blaulicht durch München geleitet, teilweise durch die üblichen Staus hindurch.

Der Start an der Theresienwiese in München, eskortiert durch die Polizei
Chainreaction BikeConvoy for Ukraine
Wie viele Rennradfahrende haben sich auf den Weg gemacht?

Die erste Etappe durch München und Richtung Passau sind tatsächlich über 300 Menschen angegangen. Es war klar, dass uns viele davon nur ein Stück begleiten und dann wieder umkehren. Aber insgesamt hatten wir 67 Mitfahrende, die mehrere Etappen gefahren sind, und 28 sind tatsächlich die ganzen 1400 Kilometer von München bis Lwiw/Lemberg gefahren. Das konnte man übrigens in mehreren Etappen mit organisierter Übernachtung oder als selbstorganisiertes Brevet. Die Teilnehmenden kamen aus ganz Deutschland, natürlich aus unserem Umfeld in München, aber auch aus Stuttgart, Bremen, Frankfurt…

Wie lief die Tour?

Die Strecke führte von München über Passau, dann die Donau entlang nach Wien und via Slowakei und Tschechien ins polnische Krakau. Von dort dann über Przemysl an die ukrainische Grenze und die verbleibenden ca. 80 Kilometer nach Lwiw. Landschaftlich unglaublich abwechslungsreich und schön, wir hatten aber ab Wien unsagbares Pech mit dem Wetter: tagelangen Dauerregen, keine trockene Minute, dazu Kälte und Gegenwind. Das hat schon Kraft und Nerven gekostet, manche sind da auch für Teilstrecken in den Zug gestiegen. Aber wir hatten keine ernsten Probleme unterwegs, keine Verletzungen, nur hier und da mal einen Platten. Und ein abgerissenes Schaltwerk, aber der Betroffene konnte mit einem Leihrad weiterfahren.

Teile des Chainreaction BikeConvoy for Ukraine-Pelotons an der polnisch-ukrainischen Grenze
Chainreaction BikeConvoy for Ukraine
Wo habt ihr übernachtet?

Ganz unterschiedlich, mal organisiert vom Rotary-Club, mal vom Roten Kreuz, manchmal haben wir in Turnhallen geschlafen. Und im Klostergymnasium in Wien. In Prerov in Tschechien hat uns der Schulleiter einfach den Schlüssel für die örtliche Schule gegeben mit den Worten "Richtet euch ein!" In Przemysl haben wir in einer ehemaligen Flüchtlingsunterkunft für Ukrainerinnen und Ukrainer übernachtet. Wir haben überall viel Unterstützung erfahren, die letztlich der Ukraine galt.

Sind dir von der Fahrt besondere Momente in Erinnerung geblieben?

Ja, da gab es viele. In Wien sind wir von den Rotaries ins Hotel Sacher geleitet worden, da fand gerade ein Clubtreffen statt. Alle schick angezogen, wir komplett verschwitzt und verdreckt. Das hat aber niemanden gestört, das Interesse an dem, was wir tun und warum, war sehr groß. In Polen führte die Strecke am Stacheldrahtzaun von Auschwitz-Birkenau entlang – das hat mich sehr berührt, weil ich dort noch nicht war. Wir standen einige Minute an dem berüchtigten Torhaus herum – keiner wusste, was er sagen sollte. Was mich bewegt hat: Nur wenige Meter von dem Torhaus befinden sich Wohnhäuser, gepflegte Gärten, spielende Kinder. Die schauen jeden Tag auf einen Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte… Auch Krakau ist mir in Erinnerung geblieben. Zum Einen wegen der unglaublich schönen Stadt, zum Anderen, weil wir dort den deutschen und den ukrainischen Generalkonsul getroffen haben. Ein sehr schöner Austausch – und natürlich auch viel Aufmerksamkeit. Überhaupt haben wir entlang der ganzen Strecke viele Gespräche geführt, viel Neugier erlebt und viel Solidarität mit der Ukraine gespürt. Der Konvoi aus Fahrrädern und Krankenwagen war natürlich auch optisch ungewöhnlich.

Das Chainreaction BikeConvoy for Ukraine-Peloton hinter einem der Krankenwagen
Chainreaction BikeConvoy for Ukraine
Wie war die letzte Etappe?

Der deutsche Generalkonsul ist von Krakau aus nochmal 90 Kilometer mitgefahren, der ist selbst Rennradfahrer. Die Übernachtung in Przemysl war die letzte vor der Ukraine. Am nächsten Morgen ging es zur Grenze, zu Fuß haben wir nach der Passkontrolle die Räder über die Grenze geschoben, dort haben uns dann fünf Rennradfahrer vom Lviv Bicycle Club abgeholt. Dort angekommen hat uns wieder die Polizei mit Blaulicht durch den Stau eskortiert – da hat sich der Kreis zur Abfahrt in München geschlossen.

Wie war es in Lemberg?

Sehr beeindruckend. Wir haben im Vorfeld natürlich diskutiert: Können wir mit den Fahrrädern in ein Land fahren, das sich im Krieg befindet, hat das nicht was von Sensationstourismus? Wie denken die Menschen darüber? Ich kann sagen: All diese Zweifel waren in der Ukraine sofort wie weggeblasen. Wir haben eine unglaubliche Dankbarkeit gespürt, dass wir da waren, dass wir Anteil nehmen, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten helfen. Am Samstag, 12. Juli haben wir die 14 Krankenwagen in einer schönen Zeremonie vor dem Rathaus von Lwiw an die ukrainischen Behörden übergeben. Die Tage in Lwiw waren bewegend, bedrückend, manchmal bizarr.

Übergabe der Krankenwagen in Lwiw durch Chainreaction BikeConvoy for Ukraine
Chainreaction BikeConvoy for Ukraine
Inwiefern?

Die Bevölkerung in Lwiw und vermutlich in der ganzen Ukraine lebt in einem emotionalen Ausnahmezustand. Man versucht, so viel Normalität wie möglich zu wahren. Man geht zur Arbeit, trifft Freunde, in unserem Hotel feierte eine Hochzeitsgesellschaft. Man verteidigt Normalität, vermutlich um nicht verrückt zu werden. Gleichzeitig befindet sich das Land spürbar im Krieg, man sieht Militär, man sieht verletzte und kriegsversehrte Menschen, teilweise Zerstörung. Wir haben ein Krankenhaus besucht und einen Friedhof. Die Anzahl der Gräber hatte sich verdoppelt seit März 2024, als ich das letzte Mal dort war. An einem Tag haben wir einen Beerdigungszug von drei Soldaten gesehen – wenn der vorbeifährt, knien sich auf der Straße ausnahmslos alle Menschen hin. Und wir haben selbst Luftalarm erlebt: Wir wurden um zwei Uhr nachts aus dem Schlaf gerissen und mussten in den Luftschutzkeller unseres Hotels. Erst waren wir da die Einzigen, viele Ukrainer sind da schon abgebrühter oder auch abgestumpfter. Als klar wurde, dass tatsächlich ein Angriff stattfindet, wurde es dann aber voller. Ein Teil unserer Gruppe war in einem anderen Hotel untergebracht, da gab es keinen Luftschutzkeller, die mussten unten in einem Treppenhaus sitzen. Die haben Drohnen gehört, Abwehrfeuer, Einschläge. Das lässt einen nicht kalt.

Wie war die Stimmung in dem Luftschutzkeller?

Gedrückt, angespannt. Da saß ein acht-, vielleicht neun-jähriger Junge, der hat keinen Ton gesagt, nur bewegungslos an die Wand gestarrt. Da habe ich gedacht: Das darf nicht sein, dass der solche Dinge erleben muss. Die Menschen tragen Verwundungen in sich, selbst wenn sie körperlich unverletzt bleiben. Die Geschichte von einem der Rennradfahrer, der uns an der polnischen Grenze abgeholt und nach Lwiw begleitet hat, hat mich auch sehr bewegt. Roman stammt ursprünglich aus Kiew und war an der Front. An einem Tag ist sein Fahrzeug von einer Rakete getroffen worden, manche seiner Mitfahrer waren tot oder verletzt, er selbst wurde am Arm verwundet, was man auch im Radtrikot sehen konnte. Roman wurde nach der Verwundung aus dem Armeedienst entlassen, er ist mit seiner Frau nach Lwiw umgesiedelt, aber man merkt, dass die Erlebnisse tiefe Spuren hinterlassen haben, dass eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt. Er sagt, er kann sich kaum noch konzentrieren, ist nervös – er fährt jeden Tag mehrere Stunden Rennrad, weil er sich dann besser fühlt.

Zusammentreffen mit Rennradfahrern aus der Ukraine
Chainreaction BikeConvoy for Ukraine
Wie fällt dein Fazit aus?

Ich bin noch immer überwältigt. Es waren viele intensive Gefühle, positive, aber auch sehr bedrückende. Die Erlebnisse und Begegnungen haben mich teilweise sehr angefasst. Anfangs war ich auch unsicher, weil wir uns ja exponiert haben, unser Wort gegeben haben, dass wir wirklich Hilfe leisten – dabei wussten wir gar nicht, ob es klappt und ob wir die Hoffnungen nicht enttäuschen. Jetzt bin ich total stolz, dass wir einen kleinen Beitrag leisten konnten. Und bei aller Bewegtheit überwiegen die optimistisch stimmenden Emotionen, die Anteilnahme der Menschen, die Unterstützung. Viele hoffen, dass es eine Wiederholung gibt, aber das ist jetzt zu früh – wir sind alle etwas erschöpft. Aber es wird irgendwie weitergehen, und die Arbeit von Bamberg:UA läuft ohnehin weiter, und man kann auch immer noch spenden. Der Krieg geht uns etwas an. Und er ist so nah, dass man mit dem Fahrrad hinfahren kann. Unsere Möglichkeiten zu helfen sind größer, als wir glauben. Alle können aktiv werden, helfen, eigene Projekte starten oder auch "nur" spenden – und damit Zeichen setzen, dass die Ukraine nicht vergessen wird.