Die Freiheitsmaschinen

Freiheit. Dieses Wort begleitet uns. Nicht nur das Wort. Vielmehr die Sehnsucht nach ihr. Wann fühlen wir uns frei? Wann sind wir noch frei? Ein Gespräch über Fahrräder, Freiheit und die Suche nach Sinn und Glück.

Gravelbiker, Staubstraße, Freiheit, Natur
Foto: Bergamont
Christian, was hältst du davon, Fahrräder als Freiheitsmaschinen zu bezeichnen?

Christian Thill: Puh, eine Paarung aus zwei sehr großen und gleichermaßen gegensätzlichen Wörtern. Da ist zum einen dieses unendlich emotionale, menschliche, mit Sehnsucht getränkte Wort Freiheit, zum anderen dieser mechanische, brachiale und kalte Begriff Maschine. In der Kombination ein unglaublich starkes Statement, das in der Tat das Potenzial eines jeden Fahrrads beschreibt, nämlich ein wundersames Vehikel zur persönlichen Freiheit zu sein. Ein Blick zurück in Zeiten der Coronakrise hat uns
aufgezeigt, wie es sich anfühlt, wenn Freiheiten vorübergehend eingeschränkt werden. Von einem Tag auf den anderen war die Bewegungsfreiheit nicht mehr da. Zack! Weg! Aber auf dem Fahrrad, unseren Freiheitsmaschinen, konnten wir raus, uns bewegen und auch den Gedanken freien Lauf lassen.

Abenteuer Fahrrad
Jetzt haben wir das Wort schon so oft benutzt, aber was bedeutet Freiheit für dich eigentlich?

Es ist absolut paradox. Obwohl unsere Freiheit im Artikel 2 des Grundgesetzes verankert ist, um die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die körperliche Unversehrtheit eines jeden zu schützen, scheuen wir oft keine Kosten und Mühen, um unsere persönliche Freiheit zu beschneiden. Wir umgeben uns mit unzähligen Dingen und Verpflichtungen, geben viel Geld aus für Dinge, die wir nicht brauchen, oder verschulden uns gar, hetzen zur Arbeit oder stehen auf dem Weg im Stau. Freiheit bedeutet für mich, diesen Zwängen nicht mehr ausgeliefert zu sein oder sie zumindest vorübergehend abzuschalten und tun und lassen zu können, was man möchte.

Das ist nachvollziehbar. Aber wie hilft uns das Fahrrad dabei?

Ganz einfach: Raus aus dem Hamsterrad, rauf aufs Fahrrad! In die Pedale zu treten, befreit dich aus der Zwangsjacke des Alltags. Stell dir vor, die Nase im Wind, neue Wege und Gebiete erkunden, Gerüche, Farben und Menschen intensiver begegnen, sich selbst spüren – das klingt doch nach Freiheit und Abenteuer, oder?

Absolut – sollten wir da nicht ein Grundrecht auf ein Fahrrad oder E-Bike haben?

Grundrecht klingt für mich irgendwo auch nach Pflicht. Letztlich, wenn wir schon von Freiheit reden, dann sollte es auch jedem freigestellt sein, das zu tun, wonach ihm ist. Aber wir wissen ja: Die eigene Freiheit hört dort auf, wo sie die des anderen einschränkt. Ich will hier keine Diskussion Auto contra Fahrrad anheizen, aber ich denke, es muss stärker in die Köpfe rein, dass unsere Straßen im öffentlichen Raum gerechter aufgeteilt werden müssen, so dass wir Radfahrer uns auch frei darauf bewegen können.

Dem Fahrrad kommt aber auch eine wichtige Rolle in der Frauenbewegung zu?

Mehr noch. Fahrräder, auch wenn sie in meinen Augen beseelt sind, machen keinen Unterschied zwischen Geschlecht, Herkunft oder Hautfarbe. Im Gegenteil, Fahrräder bringen Menschen unterschiedlicher Couleur und Gesinnung zusammen. Vielleicht verbindet uns die Erinnerung an unsere Kindheit, die ersten Meter auf dem eigenen Rad. Endlich waren wir frei, fühlten uns unabhängig und konnten aus eigener Kraft große Distanzen zurücklegen. Ich denke, die strahlenden Kinderaugen auf einem Rad sind der beste Beweis, dass ein Fahrrad eine Freiheitsmaschine ist.

Sich frei zu fühlen ist am Ende doch die Vorstufe für vollendetes Glück?

Ich mag das Bild, dass uns das Fahrrad glücklich machen kann. Wer Fahrrad fährt, befreit Körper, Geist und Seele. Daran
glaube ich ganz fest.