Kurz gesagt, ist gerade einfach zu viel Ware im Markt. Da sind einige Faktoren zusammengekommen. Zum Beispiel der Ketchupflaschen-Effekt, als die Fahrradhändler vor allem im Winter 22/23 mit Warenlieferungen regelrecht zugestellt wurden, die teilweise schon zwei Jahre zuvor bestellt worden waren. Dieses Überangebot traf auf eine rückläufige Nachfrage, weil sich die Kauflaune der Verbraucher abgekühlt hatte und deren verfügbares Einkommen nach Corona zudem wieder zunehmend für andere Dinge wie Urlaubsreisen ausgegeben wurde. Dann mag bestimmt auch eine gewisse Marktsättigung nach drei außergewöhnlichen Boom-Jahren eine Rolle gespielt haben. Die stark gestiegenen Zinsen verschärfen die Lage zudem noch. Das Geschäft mit Fahrrädern ist auf allen Ebenen sehr kapitalintensiv. Fahrradhersteller müssen Erstausrüstungskomponenten teilweise schon zwei Jahre vor dem Liefertermin bezahlen. Das geht meistens nur mit Fremdkapital. Die entsprechenden Kosten zur Finanzierung sind seit 2022 um ein Mehrfaches gestiegen. Das höhere Zinsniveau macht vor allem auch jungen Unternehmen zu schaffen, weil diese kaum noch an neue Investorengelder kommen.
Die gegenwärtige Situation ist insbesondere für langjährige Marktteilnehmer durchaus nicht ungewohnt. Im Fahrradmarkt gab es schon immer starke Wellenbewegungen mit Boom-Phasen und einem Warenüberangebot, wenn die Welle bricht. Allerdings hatten wir noch nie so eine Wellenhöhe wie in den vergangenen Jahren. Im Fahrradmarkt gehen Unternehmen bei ihrer Planung regelmäßig eine Wette ein, wie sich der Markt in den nächsten zwei bis drei Jahren entwickelt wird. Die Summen, die bei dieser Wette zuletzt auf den Tisch gelegt wurden, sind exorbitant im Vergleich zu früher. Da bekommen auch die "alten Hasen" in der Branche ein mulmiges Gefühl.
Die Mutter aller Probleme im Fahrradmarkt ist die Abhängigkeit von Rahmenbedingungen, die sich nicht oder nur schwer beeinflussen lassen. Ein Fahrrad ist für viele Menschen ein Lustkauf; da spielt die allgemeine Konsumstimmung, aber schlicht auch das Wetter mitunter eine entscheidende Rolle bei der Kaufentscheidung. Aber es gibt auch einige hausgemachte, strukturelle Probleme, wie die teilweise sehr langen Vorläufe im Materialfluss. Die machen es schwer, kurzfristig auf Nachfrageschwankungen zu reagieren. Das Problem wird zwar von den Herstellern schon angegangen, zum Beispiel indem Produktionsprozesse zunehmend von Asien nach Europa verlagert werden, aber das ist trotzdem eine Herausforderung, die allen Playern im Markt weiterhin noch viel Kopfzerbrechen bereitet. Andere Themen wie die Digitalisierung wurden zwar nicht verschlafen, aber es gab in den letzten Jahren auch keinen großen Druck sich damit zu beschäftigen. Die Fahrräder haben sich auch ohne Investitionen in solche Themen gut verkauft. Das ist jetzt bestimmt anders.
Eine Anti-Fahrrad-Stimmungsmache fällt bereits in manchen Teilen der Gesellschaft durchaus auf fruchtbaren Boden.
Das Konsumklima ist insgesamt auf einem historisch schlechten Niveau. Aber der Fahrradmarkt hatte zuvor eine besonders große Flughöhe, insofern ist vielleicht auch der Absturz gerade etwas dramatischer als in anderen Branchen. Die meiste Sorge bereitet mir mit Blick auf die Zukunft der Branche, dass sich in der Gesellschaft ein Gegentrend zum Radfahren als Mobilitätsform und auch als Freizeitsport aufbauen könnte. Da droht etwas in der Gesellschaft zu kippen. Der Radverkehr, aber auch der Radsport befindet sich mitten in einem Verteilungskampf um den öffentlichen Raum. Die Alltagsradfahrer beanspruchen mehr Straßenraum und auch die Mountainbiker müssen sich dagegen wehren, nicht aus dem Wald verdrängt zu werden. Das Bonmot, dass das Fahrrad keine natürlichen Feinde habe, stimmt leider nicht mehr. Eine Anti-Fahrrad-Stimmungsmache fällt bereits in manchen Teilen der Gesellschaft durchaus auf fruchtbaren Boden.
Das ist gerade die Eine-Million-Euro-Frage im Fahrradmarkt. Fast alle Marktteilnehmer haben extrem vorsichtig für dieses Jahr eingekauft. Wenn die Saison jetzt im Frühjahr kräftig anspringt, kann es gut sein, dass die Lagerbestände rasch abgebaut sind und die nächsten Warenengpässe entstehen. Es gibt aber auch Stimmen im Markt, die prophezeien, dass die Branche ihr Überangebot noch bis 2025 vor sich herschieben wird. So oder so ist es kein Fehler, ein gutes Angebot jetzt wahrzunehmen. Im Moment ist die Auswahl in den meisten Bike-Segmenten groß und die Preise sind günstig. Das wird in dieser Konstellation nicht ewig so bleiben.